Die algorithmische Auferstehung
Wie mit Hilfe des Internets gegen das Sterben angegangen wird und warum das Copyright auf digital wiedergeborene Menschen ein Problem ist.
- Peter Glaser
Wie mit Hilfe des Internets gegen das Sterben angegangen wird und warum das Copyright auf digital wiedergeborene Menschen ein Problem ist.
Seit "Matrix: Reloaded" (2003) hat die Digitalisierung von Schauspielern dramatische Fortschritte vollzogen. Wenn Neo mit Schallgeschwindigkeit die Matrix überfliegt, hängt Keanu Reeves nicht mehr an Drähten vor einer blauen oder grünen Wand. Es ist sein digitales Abbild, das durch eine Computersimulation rast. Ob es ihn irritiere, dass er nun auch als hochaufgelöster Datensatz in einer Welt existiere, die an die Matrix im Film erinnere? "Schon", sagt Reeves. Was dieser Datensatz tut, der exakt aussieht wie Reeves, liegt vollkommen in den Händen der Effektspezialisten. Der "Bildspender" hat mit der virtuellen Kinematografie nichts mehr zu tun.
Die digitalen Replikate ziehen auch problematische neue Fragen des Urheberrechts und der Persönlichkeitsrechte nach sich. Zwar ist es seit jeher strafbar, Prominente ohne ihr Einverständnis in Werbespots zu imitieren. Aber über einen digitalen Klon seiner selbst hat ein Schauspieler kaum rechtliche Kontrolle. In den USA hat ein Schauspieler kein Copyright an seinen digitalen Körperkopien, sofern sie nicht von ihm selbst erstellt wurden. Robert Patrick beispielsweise hatte keine rechtliche Kontrolle über den digitalen Flüssigmetall-Klon seines Körpers und seiner Bewegungen, der für "Terminator 2 – Tag der Abrechnung" erstellt wurde.
Die berĂĽhmte Drohung der Killerroboters "Ich komme wieder" hat inzwischen eine neue Bedeutung gewonnen. Unternehmen wie Virtual Celebrity Productions haben bereits die Rechte daran erworben, digitale Klone toter BerĂĽhmtheiten wie Marlene Dietrich oder Vincent Price zu erstellen und zu nutzen.
Nicht alle sind begeistert von den neuen Möglichkeiten. "Jeden Tag hören wir, dass die Welt übervölkert ist", klagt Moonyeen Lee, Mitarbeiter der Künstleragentur MLA, "und jetzt wollen sie die Toten wieder zum Leben erwecken?"
Inzwischen sind eine Reihe von Diensten entstanden, die nicht nur Schauspielern, sondern jedem das digitale Nachleben erleichtern wollen. Als die Großmutter von Jeremy Toeman starb, konnte er die vielen E-Mail-Freunde der technikaffinen Dame nicht verständigen, da er ihr Passwort nicht in Erfahrung bringen konnte. Diese Erfahrung veranlaßte ihn dazu, einen Service zu gründen, der dieses Problem löst: Anfang 2011 ging Legacy Locker ("Hinterlassenschafts-Sicherung") an den Start, um bereits kurz danach mit dem Mitbewerber Password-Box zu fusionieren und Anfang 2014 von dem Chip-Hersteller Intel aufgekauft zu werden.
Andere derartige Dienste ermöglichen es, Botschaften für Angehörige zu hinterlassen, die erst im Todesfall übermittelt werden. Und eine neue Generation von Afterlife-Services wie Eterni.me hat sich vorgenommen, auch diese Art von Abschied überflüssig zu machen und stattdessen die Kommunikation zwischen dem Toten und den Hinterbliebenen fortführen zu können. Möglich machen sollen das Avatare, die der Person des Verstorbenen mit Hilfe künstlicher Intelligenz nahekommen wollen. Sie sollen lernen, dessen Charakterzüge etwa aus dem Sprachgebrauch von Tweets, Chat-Protokollen oder Facebook-Statusmeldungen wiederzuerschaffen.
"Unser Tod ist der letzte Dienst, den wir der Welt leisten können", schrieb der Computerpionier Joseph Weizenbaum, der 2008 starb, in einer seiner letzten E-Mails. "Würden wir nicht aus dem Weg gehen, würden die uns folgenden Generationen die menschliche Kultur nicht wieder frisch erstellen müssen. Sie würde starr, unveränderlich werden, also sterben. Und mit dem Tod der Kultur würde alles Menschliche auch untergehen." (bsc)