Wie das Gehirn - vielleicht - ein Wort erkennt
Anstatt einen normalen wissenschaftlichen Artikel über ein neues neuronales Netz zu veröffentlichen, fordern Hirnforscher ihre Kollegen auf einer Webseite zu einem Wettbewerb für deduktives Denken auf.
Bevor sie ihre Entdeckung eines neuen Algorithmus für ein leistungsfähiges neuronales Netz zur Mustererkennung in einem Aufsatz detailliert vorstellen wollen, fordern die Neurobiologen John Hopfield von der Princeton University und Carlos Brody von der New York University auf einer Webseite die Wissenschaftlerkollegen zur Mitarbeit auf. Aufgrund der dargestellten, aber unvollständigen empirischen Untersuchungsdaten oder durch weitere Experimente sollen sie deduktiv ableiten, wie das Gehirn der "Siliziummaus" funktioniert. Sie können aber auch eine andere Methode vorschlagen, mit der ein neuronales Netz dieselbe Leistung realisiert. Die Lösung muss bis zum 1. Dezember eingereicht werden.
John Hopfield ist in der Neurobiologie und im Bereich der KĂĽnstlichen Intelligenz ein bekannter Wissenschaftler. 1982 hatte Hopfield, ursprĂĽnglich ein Physiker, der ĂĽber die Molekularbiologie zur Hirnforschung kam, ein Modell fĂĽr neuronale Netze zur Simulation von Leistungen des Gehirns vorgeschlagen, das heute unter dem Namen "Hopfield-Netz" bekannt ist.
Hopfield sieht den Wettbewerb als erzieherische Aufgabe. Schließlich haben Hirnforscher niemals alle empirisch erhebbaren Daten zur Verfügung und müssen aus dem, was sie haben, ein Phänomen bestmöglichst erklären. Um das ein wenig lebendiger zu machen, wird das neue Netzwerk so beschrieben, als würde es das Gehirn eines biologischen Organismus sein: einer Sand- oder Siliziummaus eben. In der Wissenschaft vermeide man, so Hopfield, mitunter das selbständige Denken¸ indem man auf immer weiteres Sammeln von Daten ausweicht. Die daraus entstehende Datenflut aber sei der Wissenschaft nicht unbedingt förderlich.
Der fiktiven "Mus silicium" haben die Wissenschaftler eine eigene Webseite eingerichtet. Dort wird das Gehirn der Maus so vorgestellt, als wäre es ein richtiges Tier, dessen kognitive Leistung beobachtet und experimentell untersucht wurde. Man hat die Maus mit den erstaunlichen Eigenschaften anästhesiert, dann wurden Elektroden in ihr Gehirn eingeführt und die Signale eines bestimmten Areals gemessen, das aus 650 "Neuronen" besteht. Die Leistung dieses Areals besteht darin, einsilbige Worte zu erkennen - allerdings auch dann, wenn sie schnell oder langsam, laut oder leise, von unterschiedlichen Sprechern und auch bei gleichzeitigen lauten Geräuschen gesprochen werden. Trainiert wurde die "Maus" dann, das Wort "One" zu identifizieren. Mit Diagrammen, Statistiken und Grafiken werden die "neuroanatomischen" und "neurophysiologischen" Daten beschrieben. Die zum Training verwendeten Wav-Dateien lassen sich nicht nur hören, man kann das Netzwerk auch durch andere Tondateien stimulieren oder eigene Aufnahmen ins Netz stellen und vorspielen, um durch diese Experimente vielleicht weitere Hinweise zu gewinnen.
Für Hopfield zeigt das beschriebene Netzwerk ziemlich gut das Prinzip, wie auch biologische Gehirne arbeiten. In aller Regel muss sich auch das Gehirn mit einer Welt auseinandersetzen, die permanent in Bewegung ist. Oft erkennt man erst etwas, wenn es näher kommt oder wenn man etwas betastet. Solche Wahrnehmungen benötigen einige Bruchteile von Sekunden. Das Gehirn fasst andauernd Informationen in solchen unterschiedlich langen Zeitfenstern zusammen, aber man habe wissenschaftlich noch nicht verstanden, wie es das genau macht. Und um eben dies zu erklären, habe er sein neues Netzwerk entwickelt, sagt Hopfield.
Mehr in Telepolis: Das Gehirn der Siliziummaus. (fr)