Vorratsdatenspeicherung: Datenschützer wirft EU-Kommission "Schizophrenie" vor

Der Berliner Datenschutzbeauftragte Alexander Dix hat die Haltung der EU-Kommission zur Vorratsdatenspeicherung kritisiert. Sie plane zwar keine neue Richtlinie, gehe aber auch nicht gegen einschlägige nationale Initiativen vor.

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(Bild: dpa, Patrick Pleul)

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Datenschützer haben die EU-Kommission aufgefordert, in der Frage der umstrittenen Vorratsdatenspeicherung für einheitliche rechtliche Vorgaben im Lichte des einschlägigen Urteils des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zu sorgen. Derzeit verhalte sich die Brüsseler Regierungsinstanz geradezu "schizophren", monierte der Berliner Datenschutzbeauftragte Alexander Dix am Mittwoch bei einem Workshop in der Hauptstadt.

Vorratsdatenspeicherung

Einerseits wolle die Kommission keinen Vorstoß für eine neue Richtlinie machen, nachdem der EuGH die alte kassiert habe, erläuterte Dix. Andererseits kritisiere sie den deutschen Gesetzentwurf zum anlasslosen Protokollieren von Nutzerspuren, der am Freitag den Bundestag passieren soll, auch wegen grundrechtlicher Bedenken.

Letztendlich plane die Kommission aber auch keine eigene Klage vor dem EuGH gegen den deutschen Vorstoß oder bestehende Gesetze zur Vorratsdatenspeicherung in Ländern wie Großbritannien, erklärte der Datenschützer weiter. Eine klare Linie lasse sich daraus nicht ableiten, höchstens ein Plädoyer für Laisser-faire.

Dass die Luft für staatliche Vorgaben zum pauschalen Sammeln von Verbindungs- und Standortdaten in Europa dünner wird, zeichnet sich für Dix auch mit dem EuGH-Urteil gegen das transatlantische Safe-Harbor-Abkommen für Datentransfers zwischen Unternehmen ab. Demnach würden Kernprinzipien der Privatsphäre verletzt, wenn Institutionen personenbezogene Informationen "unterschiedslos" speicherten.

Die Kommission müsse prüfen, ob die europäische Grundrechtecharta in den Mitgliedsstaaten eingehalten werde, ergänzte der frühere Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar. In der Richtlinie zum Datenschutz in der elektronischen Kommunikation finde sich die Vorschrift, dass beim Speichern von Verbindungsdaten ein gemeinsamer Rechtsstand in der EU einzuhalten sei.

Zugleich kritisierte der Leiter der Europäischen Akademie für Informationsfreiheit und Datenschutz, dass viele Telekommunikationsanbieter hierzulande nach wie vor die begehrten Verkehrsinformationen von sich aus 90 Tage lang aufbewahrten, angeblich für geschäftliche Zwecke. Dies sei sogar länger als die gesetzlich geplante Höchstspeicherfrist.

Den bereits angekündigten Verfassungsbeschwerden gegen das neue deutsche Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung attestierte Sebastian Schweda vom Institut für Europäisches Medienrecht zumindest begrenzte Erfolgsaussichten. Das Bundesverfassungsgericht habe in seiner Entscheidung gegen die frühere Variante eine "Überwachungsgesamtrechnung" gefordert. Gerade nach den Snowden-Enthüllungen könnte Karlsruhe so zu dem Schluss kommen, dass das Maß voll sei. Der Jurist verwies zudem darauf, dass beim EuGH eine neue Klage gegen die schwedische Vorratsdatenspeicherung anhängig sei.

Steven Johnston (Kanada), Sebastian Schweda (EMR), Marc Rotenberg (USA) & Berlins Datenschutzbeauftragter Alexander Dix (v.l.n.r.)

Simon Rice vom Büro des britischen Datenschutzbeauftragten berichtete, dass in London täglich ein neuer Gesetzesanlauf zur Vorratsdatenspeicherung erwartet werde, nachdem im Juli der High Court die bestehenden Vorgaben im Prinzip gekippt und dem Gesetzgeber nur eine Übergangsfrist bis zum März 2016 eingeräumt habe.

Kanada experimentiere derweil mit einer Klausel für "Quick Freeze", wonach Ermittler Verbindungsdaten mit gerichtlicher Anordnung zunächst für 30 Tage "einfrieren" lassen könnten, erläuterte Steven Johnston von der dortigen Datenschutzbehörde. Provider speicherten aber auch ohne gesetzliche Vorgaben die gewünschten Informationen in der Regel bereits für drei Monate.

(mho)