Frankreich im 18. Jahrhundert, digitalisiert

Die so genannte Cassini-Karte lieferte zu ihrer Zeit ein ungekannt genaues Bild des damaligen Frankreich. Experten haben sie jetzt in eine digitale Form gebracht – wofür einige Tricks erforderlich waren.

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Die so genannte Cassini-Karte lieferte zu ihrer Zeit ein ungekannt genaues Bild des damaligen Frankreich. Experten haben sie jetzt in eine digitale Form gebracht – wofür einige Tricks erforderlich waren.

Im Jahr 1747 befahl König Ludwig XV. von Frankreich dem Kartografen César-François Cassini de Thury, mit einer revolutionären neuen Technik namens geodätische Triangulation eine Karte von Frankreich zu erstellen. Cassini – Enkel des Astronomen, der mehrere Saturn-Monde und die nach ihm benannten Teilung des Saturn-Rings entdeckt hatte – unterteilte das Land in 180 Rechtecke von jeweils 80 x 50 Kilometern Größe und begann mit der Arbeit an einer Karte im Maßstab 1 zu 86.400.

So begann eine der größten Leistungen in der Geschichte der Kartografie. Bis Cassini mit seinem Werk fertig war, dauerte es mehr als 50 Jahre, und es waren vier Generationen seiner Familie daran beteiligt. Das Ergebnis, heute bekannt als die Cassini-Karte, besteht aus 180 Blättern, die Frankreich so detailliert zeigen, wie es zuvor undenkbar war und noch heute bewundert wird.

Moderne Kartografen haben noch ein weiteres Interesse an der Cassini-Karte: Sie wollen mit ihrer Hilfe einige zunehmend bedeutende Fragen der Stadtplanung angehen. Wie entwickelt sich ein Straßennetz im Zeitverlauf? Und welchen Einfluss hat das auf den Prozess der Urbanisierung? Die Cassini-Karte bietet eine einzigartige Möglichkeit, diese Fragen zu untersuchen, da sie einen direkten Vergleich zwischen dem Straßennetz von damals und heute erlaubt.

Allerdings gibt es dabei ein Problem: Wie lässt sich eine mehr als 200 Jahre alte Karte in ein digitales Format bringen, das sich leicht mit modernen Versionen vergleichen lässt? In einem Fachaufsatz haben Julien Perret und Kollegen von Frankreichs nationaler Kartenbehörde in Paris jetzt erklärt, wie genau sie dabei vorgegangen sind.

Techniken zur Digitalisierung revolutionieren in vielen Bereichen die Arbeit mit historischen Dokumenten. Karten allerdings bringen besondere Herausforderungen mit sich. Beispielsweise können sie durch Alterungsprozesse physisch verzerrt werden – so kann Papier knittern und knicken. Das muss beim Digitalisieren irgendwie berücksichtigt werden. Zudem wurden die 180 Blätter der Cassini-Karte zu unterschiedlichen Zeiten und mit unterschiedlichen Detaillierungsgraden gezeichnet.

Obendrein war das Projekt nie als Straßenkarte vorgesehen. Deshalb endet die Darstellung von Straßen oft am Rand von Städten, so dass nichts darüber zu sehen ist, wie sie innen weiter verlaufen und aufeinandertreffen.

Um das Problem der Verzerrungen zu minimieren, verglichen Perret und Kollegen unterschiedliche Versionen derselben Bereiche, die zu unterschiedlichen Zeiten erstellt wurden. Außerdem entwickelten sie ein Programm, das Voraussagen über das wahrscheinlichste Straßennetz in Städten erstellt, wenn es nicht zu sehen ist.

Hinzu kamen mehrere Methoden für automatische Tests der ermittelten Netze auf ihre Plausibilität. So sollte ein Straßennetz mehr oder weniger zusammenhängend sein, weil nicht verbundene Gebiete ansonsten zu „Inseln“ würden. Eine Untersuchung von Größe und Verteilung der Vernetzung liefert also Hinweise darauf, wie realistisch sie ist.

Wie sich bei diesem Prozess zeigte, bildet die überwältigende Mehrheit der Straßen auf den digitalisieren Karten ein zusammenhängendes Netz. Allerdings zeigten sich auch Insel-Netze, aber die erschienen meist sinnvoll, wie etwa bei der realen Insel Jersey oder Wegen durch einen Wald, die nicht mit Straßen verbunden sind.

Die so berechneten Karten zeigen sehr deutlich das Straßennetz im Frankreich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Sie sind kostenlos hier abrufbar.

Die Arbeit dürfte für sehr unterschiedliche andere Forscher von Interesse sein. Insbesondere Stadtplaner wollen mehr darüber wissen, wie Straßennetze die Ausbreitung von Dörfern und Städten beeinflussen. Netzwerkwissenschaftler brauchen gute Daten, um die Besonderheiten von Netzwerk-Evolution in der realen Welt zu verstehen. Und natürlich geben die Karten Historikern eine neue Möglichkeit, die Geografie der Region zur damaligen Zeit anzusehen und zu untersuchen.

Außerdem laufen noch weitere derartige Projekte. Beispielsweise wird bereits daran gearbeitet, die Karten von Paris im Verlauf seiner Geschichte zu digitalisieren, und die New York Public Library digitalisiert derzeit verschiedene historische Karten der Stadt, um nur zwei zu nennen. Mit diesen Arbeiten wird auch Geschichte zu einer computerisierten Wissenschaft, die unseren Blick auf die Vergangenheit deutlich verändern könnte. Louis XV. wäre begeistert.

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