.com in fester Hand
VeriSign/NSI hat es fast geschafft: Geschicktes Zeitmanagement, ein paar Konzessionen an die Konkurrenz und ein den Vorschlägen des Unternehmens offensichtlich gewogener ICANN-Chef haben dem Ex-Monopolisten auf einige Zeit seine beherrschende Stellung im Domainmarkt gesichert.
- Monika Ermert
Anfang April entschied sich der Vorstand der Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN) für neue Verträge mit VeriSign/NSI. Diese sichern dem Unternehmen auf unbestimmte Zeit das Datenbankmanagement für .com-Adressen (Registry), erlauben ihm aber gleichzeitig auch, Domains an Endkunden zu verkaufen (Registrarfunktion).
Eigentlich aber sollte am 10. Mai die neue Zeitrechnung im Domain Name System beginnen. Bis dahin hätte VeriSign/NSI sich eigentlich von seinem Endkundengeschäft im Domainverkauf, der Registrartätigkeit, trennen sollen, um sich das Management der zentralen Datenbanken der Domains .com, .net und .org bis 2007 zu sichern. Die Einführung von Wettbewerb im Registrar- und Registrygeschäft war eine der Aufgaben, die das US-Handelsministerium (DoC) der ICANN mit auf den Weg gegeben hatte. Die Trennung von Registrar und Registry, quasi eine Entbündelung von Großhandels- und Endkundengeschäft, sollte für einen fairen Wettbewerb im boomenden Domaingeschäft sorgen.
Einzelverträge
Knapp zwei Jahre später hat sich VeriSign/NSI die Sache anders überlegt. Statt sich vom Registrar zu trennen, der immer noch für jede der rund 15 Millionen Domains 35 US-Dollar im Jahr bringt, machte VeriSign das Angebot, jeweils eigene Verträge für .com, .net und .org sowie unterschiedliche Laufzeiten für die Registry abzuschließen. Dies machte sich die ICANN in einem gemeinsam mit VeriSign ausgearbeiteten neuen Vertragsentwurf zu eigen. ICANN-Chef Vint Cerf beurteilte VeriSigns Empfehlung, .org anschließend ‘wieder’ dem nicht-kommerziellen Gebrauch vorzubehalten, als positiv. VeriSign bot schließlich noch fünf Millionen US-Dollar Sponsorengelder für den ‘nicht-kommerziellen’ Registry-Betrieb - möglicherweise nicht völlig uneigennützig, kann man dadurch doch vielleicht auf den Zuschlag für den ‘technischen Betrieb’ spekulieren. Inhaber von .org-Domains laufen bis heute Sturm gegen diesen Vorschlag, fürchten doch viele um ihre gut eingeführten Domains.
Sahnestückchen
Vor allem aber behält VeriSign das Sahnestück .com und erhält dafür auch eine besondere Verlängerungsfrist über 2007 hinaus: ‘Der Vertrag über .com soll am 10. November 2007 enden. VeriSign erhält für diesen Zeitpunkt das Recht auf eine Verlängerung für erneut vier Jahre, wenn es die im Vertrag festgehaltenen Bedingungen erfüllt.’ Für immer, ächzen die Kritiker, gebe man .com damit an den Ex-Monopolisten. In einer Umkehr der Beweispflicht muss ICANN VeriSign Fehler nachweisen, um .com der Firma entziehen zu können. ICANN-Direktor Karl Auerbach, einer von fünf von den Nutzern gewählten Vertretern in dem 19-köpfigen Direktorium, äußerte sich nach der Vorstandsentscheidung jedenfalls eindeutig über das Geschick der VeriSign-Verhandlungsführer: ‘Wir sollten sie für die USA im Mittleren Osten verhandeln lassen. Wenn sie dort mit demselben Erfolg verhandeln wie bei der National Science Foundation, der NTIA und ICANN, können wir darauf setzen, dass Iran und Irak sich nicht nur um friedliche Beziehungen mit dem Westen bemühen, sondern die Zugehörigkeit zu den USA beantragen werden.’
Aus Sicht der Registrare sei zu begrüßen, dass es keine Rabatte mehr für Domaingroßabnehmer - ‘das ist eben vor allem wieder NSI’ - geben werde, meinte ein Vertreter konkurrierender Unternehmen. Außerdem entfällt für Neueinsteiger die Gebühr von 10 000 US-Dollar, die VeriSign in der Vergangenheit vor der Aufnahme ins Shared Registry System (SRS) erhob. Auch für die Übernahme der Domains eines aufgekauften Registrars soll die Konkurrenz künftig nicht mehr oder immerhin deutlich weniger bezahlen müssen. Mit Geld hat VeriSign ganz allgemein versucht, der Community den Deal zu versüßen: 200 000 US-Dollar versprach man unter anderem in die Entwicklung einer verbesserten, universellen WHOIS-Datenbank zu stecken.
Unfairer Wettbewerb
Nicht bezahlte oder nicht erneuerte Domains müsste VeriSign eigentlich im Sinne der Gleichbehandlung aller Registrare löschen und wieder in den Markt geben - doch das ist keineswegs der Fall, kritisiert Nick Lockett von der Brüsseler Kanzlei Stanbrook & Hooper. VeriSign hatte nach Kritik an dieser Praxis im vergangenen Jahr die Domainverkaufsplattform GreatDomains übernommen. Über deren Seite, betont Lockett, werden die ‘aufgegebenen’ Domains nun vertrieben - ‘sie bleiben so bei NSI/VeriSign’. Stanbrook & Hooper vertritt nach Auskunft ihres Senior Partners Clive Stanbrook derzeit bereits ein Unternehmen in einem Verfahren der Wettbewerbshüter der EU gegen VeriSign.
Das ist nicht der einzige Fall, in dem VeriSign wettbewerbsfeindliches Verhalten vorgeworfen wird. Mitte März beschuldigte Roberto Laorden vom spanischen ICANN-Registrar Interdomain auf einer ICANN-Sitzung VeriSign, beim Start der umstrittenen Registrierung multilingualer Domains keinen fairen Zugang gewährt zu haben. Innerhalb der ersten Stunden habe Interdomain nicht registrieren können und 90 Prozent der gewünschten Domains dadurch verloren. Auch Laorden drohte mit einer Beschwerde bei der EU.
Angesichts solcher Kritik schien die Frage berechtigt, warum man VeriSign mit den neuen Verträgen entgegenkommen sollte. ‘Keine Wettbewerbsaufsicht der Welt würde den Vertrag unterschreiben’, warnten Stanbrook und Lockett denn auch in ihrem Papier im Vorfeld der Entscheidung, ‘die Internet Community sollte es auch nicht tun.’
Und tatsächlich hatte sich die Community zur Wehr gesetzt. Das Names Council, der in der ICANN für Domainangelegenheiten zuständige Rat der ISPs, Registrare und Unternehmensvertreter, lehnte die neuen Verträge mehrheitlich ab und kritisierte das Verfahren, mit dem ICANN-Jurist Louis Touton und ICANN-Rechtsbeistand Joe Sims die Verträge hinter verschlossenen Türen ausgehandelt hätten. ‘Ich dachte eigentlich, die Vorstandsmitglieder entscheiden etwas und dann setzen die Juristen es um, aber hier ist das offensichtlich genau umgekehrt’, meinte Andy Müller-Maguhn. Der gewählte Vertreter für Europa im ICANN-Vorstand schimpfte auch über den künstlich erzeugten Zeitdruck, der kaum eine genaue Prüfung der komplizierten Verträge zugelassen habe.
Müller-Maguhn, Auerbach und der spanische ICANN-Direktor Amadeu Abril i Abril konnten sich aber im Vorstand nicht durchsetzen. Trotz des Names-Council-Votums stimmten 12 der 19 ICANN-Direktoren in einer kurzen Telefonkonferenz für die neuen Verträge. Gar nicht mit entschieden hat unter anderen der zweite deutsche ICANN-Direktor, Siemens-Manager Helmut Schink.
Brillante Strategie
Der deutsche Rechtsanwalt Michael Schneider, Vertreter der Internet-Provider im Names Council, beschreibt das Vorgehen von ICANN-Büro und VeriSign als strategische Meisterleistung in mehreren Akten, die typisch dafür sei, wie US-dominierte Einrichtungen mit dem Rest der Welt umgingen.
Zunächst werde der ‘Coup’ im Hintergrund vorbereitet, dann unschuldig und ICANN-typisch überaus kurzfristig präsentiert. Einwände von Kritikern aus den ICANN-Gremien würden als unkonstruktiv und als Verzögerung abgetan, gleichzeitig die eigenen Vorschläge als ‘alle eilig, alle in Stein gemeißelt’ dargestellt, damit sei der ‘Konsens durch Ermüdung’ nicht mehr weit.
Als brillanten Schachzug bezeichnet Schneider die Reaktion des ICANN-Büros auf das Nein-Votum des Names Council: In Windeseile wurden in einem Briefwechsel zwischen ICANN und VeriSign zusätzliche Kompromisse vereinbart. Faktisch decken sich VeriSigns Zugeständnisse keineswegs mit den Forderungen des Names Council. Bemerkenswert auch: Joe Sims hatte die Vertragsentwürfe als nicht verhandelbar dargestellt - entweder A oder B, lautete die Devise. Am Ende gab es aber doch noch kosmetische Veränderungen. Die künstlich geschaffene Eile wurde mit der für die abschließende Entscheidung des DoC notwendigen Frist begründet. Doch noch am 11. April bestätigte Karen Rose von der zuständigen NTIA gegenüber c't: ‘Wir haben noch keinerlei offiziellen Vorschlag vorliegen. Die Parteien verhandeln noch.’
Noch hat es VeriSign indes nicht ganz geschafft, denn das DoC muss den neuen Verträgen noch zustimmen. Und auch Europas Wettbewerbshüter könnten sich zum Handeln aufgefordert fühlen. ‘Es würde mich extrem überraschen, wenn die EU nicht aktiv wird’, sagt Clive Stanbrook. Noch verweigerte die Kommission jede Stellungnahme, Stanbrook aber schätzt, dass die EU sogar noch vor dem DoC reagieren könnte. (jk) (jk)