FYI: TLAs

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Von
  • Gerald Himmelein

FYI: TLAs

Im pro-aktiven Internet-Zeitalter ist keine Zeit mehr für ganze Wörter - Abk. müssen her. Marketing-Menschen lieben Three Letter Acronyms; im Notfall dürfen es auch vier Buchstaben sein oder fünf. Wofür die Lettern stehen, ist sekundär, Hauptsache, die Leute merken sich das Kürzel.

Vom Scanner-Standard TWAIN will es die Legende, dass listige Techniker das KĂĽrzel ausheckten und damit Fakten schufen, als die Marketing-Abteilung zu lange an einem passenden Akronym feilte. Seitdem bestreiten die AnzĂĽge der TWAIN Working Group ohne Erfolg, dass die Buchstaben fĂĽr "Technology Without An Interesting Name" stehen.

Sechs Buchstaben sind definitiv zu viel, zumal TLA-gewöhnte Zeitgenossen dazu tendieren, sie in zwei Teile zu zerlegen - so argwöhnten paranoide Laptop-Besitzer bald, ihr PCMCIA-Slot höre sie ab. Als dann auch noch die Runde machte, das Kürzel stehe für "People Can't Memorize Computer Industry Acronyms", hießen die Erweiterungskärtchen flugs PC-Card - höchst verdächtig.

Bei den TLAs wurden die 17 576 möglichen Kombinationen wohl schon vor dem Internet-Zeitalter ausgereizt. Besonders rücksichtslos geht MS, pardon: Microsoft, mit bereits belegten Kürzeln um, wer auch sonst. Gerade hatte man sich daran gewöhnt, dass DNS nicht mehr für Desoxyribonukleinsäure steht, sondern für "Domain Name System" - oder Domain Name Server, je nachdem mit welchem Fuß Internet-Pionier Vint Cerf heute aufgestanden ist. Dann fabulierte Bill Gates so lange vom Digital Nervous System, bis der Neue Markt die Nerven verlor.

Wenn Microsofts Marketing-Leute (MML?) am Scrabble-Brett "neue" Akronyme zusammenpuzzeln, interessiert sich offenbar niemand dafür, ob die Kombination schon belegt ist. Nicht einmal Firmennamen bleiben verschont: SAP steht für ...? Richtig, das Service Advertisement Protocol in Netware-Netzen. Oder doch eher für den Secure Audio Path, auf dem die nächsten Windows-Versionen unbezahlbar wertvolle Musik-Downloads vor bösen, bösen Hackern schützen möchten?

Und XP erst: Fido-Veteranen assoziieren mit den beiden Buchstaben den Mail-Klassiker CrossPoint, Software-Entwickler denken dabei an Extreme Programming und Flugzeugbauer an "eXperimental Planes". Eine Gehirnwäsche später steht das Kürzel für "Experience" - fängt ebenso wenig mit X an und für das P gibt es auch keinen rechten Anlass, doch Windows E wäre natürlich nicht gegangen, nicht ohne Ärger mit "e"BM.

Schön auch MMC: Je nachdem wen man gerade fragt, steht MMC für einen Prozessorstecker von Intel, eine MultiMedia Card oder ein MIDI Machine Control. Fragt man einen NT-Administrator, klagt der darüber, dass er seine Microsoft Management Console nicht in den Griff kriegt.

Gelegentlich bekommt Microsoft den Akronym-Raubbau in gleicher MĂĽnze heimgezahlt: Der IIS arbeitet mit Active Server Pages (ASP), die messbar schnellere Fehlermeldungen produzieren als CGI-Skripte. Jetzt steht das KĂĽrzel aber auch fĂĽr Software-Fernanbieter, neudeutsch Application Service Provider genannt - implementieren diese dann ASP in ASP, ist die Konfusion perfekt.

Und dann wäre da noch das Problem der Internationalisierung. VIA konnte das PR-Debakel seines KZ-Chipsatzes gerade noch abwenden, doch mit DDR-Speicherbausteinen werden wir wohl noch ein Weilchen leben müssen - wenn auch nur im nächsten Fünfjahresplan.

RTFM, möchte man den Marketing-Leuten zurufen, bevor sie wieder in die Scrabble-Runde entschwinden: Schlagt im Akronym-Glossar nach, um Kryptonyme zu vermeiden! Ein Blick auf den Titel dieser Zeitschrift stellt dann wieder Bodenkontakt her: Mit Computer-Tomographien haben wir zugegebenermaßen nichts am Hut.

(ghi)

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