Das getunte Gehör

Mehrere Start-ups arbeiten an Wearable-Geräten, um störende Töne auszublenden und gewünschte zu verstärken. Die drahtlosen Ohrhörer sollen etwa Konzerterlebnisse verbessern und Reisen entspannter machen.

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Von
  • Rachel Metz

Mehrere Start-ups arbeiten an Wearable-Geräten, um störende Töne auszublenden und gewünschte zu verstärken. Die drahtlosen Ohrhörer sollen etwa Konzerterlebnisse verbessern und Reisen entspannter machen.

In einem fensterlosen Büro in einer winzigen Seitenstraße von San Francisco sorgt Noah Kraft dafür, dass ich Dinge so höre wie nie zuvor. Ich trage in jedem Ohr einen drahtlosen Ohrhörer. Die weißen Stecker, die wie große Pfefferminzpastillen aussehen, sind der neueste Prototyp von Doppler Labs, einem Start-up für tragbare Technik. Sein Mitgründer und CEO Kraft sitzt mir gegenüber und plaudert mit mir, während er mit einer iPhone-App daran herumspielt, wie der Klang seiner Stimme sowie die relativ leisen Hintergrundgeräusche im Büro bei mir ankommen. Kraft verstärkt und dämpft Bässe, mittlere Frequenzen und hohe Töne. Schließlich steht er auf und entfernt sich mehrere Meter, ist aber weiterhin so deutlich zu hören, als würde er in mein Ohr sprechen – bis ich die Ohrhörer herausnehme und feststelle, dass er doch recht leise redet.

Die Doppler-Ohrstöpsel filtern mithilfe von Algorithmen unerwünschte Geräusche raus und lassen die anderen Töne durch. Das lässt sich über eine Smartphone-App steuern, die auch Voreinstellungen für Situationen wie Musik hören bei einem Konzert oder Reisen mitbringt. So sollen die Ohrhörer zum Beispiel während eines Fluges nicht nur Babygeschrei, sondern auch das Brummen des Triebwerks ausblenden – sowie zu laute Musik dämpfen. Darüber hinaus dürfte jeder die Situation kennen, wenn man bei einem schlecht ausgesteuerten Konzert den Sänger oder den Bass nicht gut hört. Das alles soll sich genauso wie Bässe und Höhen mit ein paar Wischern individuell anpassen lassen.

Es gibt bereits Unternehmen, die Hörgeräte oder Bluetooth-Headsets verkaufen. Doppler und andere Anbieter wie Nuheara und Soundhawk arbeiten dagegen an Wearable-Geräten, die das Hörerlebnis von normalen Personen verbessern. Wie alle Arten von tragbarer Technik stehen jedoch auch diese Produkte vor großen Herausforderungen. Die meisten verwenden Bluetooth für die Kommunikation zwischen dem Gerät im Ohr und dem Smartphone. Aber die Erfahrung mit Bluetooth-Headsets zeigt, dass die Klangqualität selbst bei kurzen Entfernungen mäßig sein kann.

Bei meinen Tests hingegen funktionierte das Doppler-System gut. Allerdings konnte ich es nicht in schwierigen Situationen wie auf einem Flug mit einem schreienden Baby ausprobieren. Und es gab noch ein zweites Problem: Wenn meine langen Haare über die Ohrstecker strichen, hörte ich undefinierbare Geräusche. Manchmal hatte ich während des Gesprächs mit Kraft außerdem einen Höreindruck wie in einer leeren Konzerthalle oder einem Bahnhof. Wie der CEO erklärte, sei man noch dabei, Faktoren wie die Echo-Unterdrückung exakt in den Griff zu bekommen.

Der Markt für Wearables wächst rasant: Laut der Marktforschungsfirma IDC hat sich die Zahl der ausgelieferten Geräte in den ersten drei Monaten dieses Jahres auf 11,4 Millionen Stück verdreifacht. Bei den meisten handelt es sich um Armbänder. Doppler und andere Start-ups glauben, dass sich Nutzer bald so sehr an körpernahe Technik gewöhnt haben, dass sie dergleichen auch im Ohr tragen würden.

Konkurrent Nuheara etwa arbeitet an einer ähnlichen Technik wie Doppler, allerdings mit einem fundamentalen Unterschied: Seine Nutzer sollen über die drahtlosen Ohrstöpsel auch Musik, Telefonate und die digitale iPhone-Assistentin Siri hören. Laut David Cannington, Nuhearas Leiter für Vertrieb und Marketing, werden Nutzer mit einer iPhone-App Hintergrundgeräusche ausblenden können, um den Musikgenuss zu erhöhen oder in einem lauten Restaurant besser das Tischgespräch zu hören. Bis Ende 2015 soll ein funktionierender Prototyp fertig sein. Die Ohrhörer sollen weniger als 300 Dollar kosten, Käufer müssen sich aber wohl noch bis Ende 2016 gedulden.

Doppler dagegen will mit seinem Gerät schon in fünf Monaten auf dem Markt sein. Er weiß, es wird nicht leicht, auf Anhieb die breite Masse zu überzeugen. Deshalb soll sich das erste Produkt "Here" für 199 Dollar mit einer begrenzten Stückzahl von 12000 an Audiophile richten. 3300 davon seien schon per Kickstarter-Kampagne verkauft, bei der mit 635.000 Dollar mehr als doppelt so viel zusammenkam wie die angestrebten 250.000 Dollar. (bsc)