Citizen Gates
Seit Jahr und Tag sehen Analysten in Microsoft den kommenden Medienkonzern. Doch bevor die Redmonder diesen Pfad beschreiten, mĂĽssen sie erst eine einheitliche Plattform fĂĽr New Media schaffen.
- Michael Kunze
Kaum ein Monat vergeht, in dem Microsoft nicht mit Neuerwerbungen oder Joint-ventures im Bereich der neuen Medien Schlagzeilen macht. Ob Slate, WebTV, oder MSNBC - alle Aktivitäten deuten darauf hin, daß sich der Konzern nicht mit seiner Rolle als weltgrößter Produzent von PC-Software begnügen will. Den traditionellen Firmen der Medienbranche sitzt die Angst vor einem Rollover durch den Software-Giganten im Nacken.
Hierzulande sorgt besonders die Zusammenarbeit zwischen MSNBC und dem ZDF für einigen Aufruhr in den Medienhäusern. So haben die Verbände der Zeitungsindustrie das ZDF aufgefordert, die Finger von der aktuellen Internet-Berichterstattung via MSNBC zu lassen (siehe Seite 46).
Geschäft der Zukunft
Reichen die bisherigen Aktivitäten, um Microsoft schon als Medienkonzern einzuschätzen - `Big Bill´ auf allen Kanälen und URLs? Das wäre der zweite Schritt vor dem ersten. Microsoft investiert in alles, was sich lohnen könnte, sogar in den geschrumpften Erzrivalen Apple. Doch die Investitionen rund ums Web sind nicht auf Sofortwirkung angelegt. Gates sponsert vielmehr das neue Medium, weil es ihm den Boden für künftige Geschäftsfelder bereiten wird.
In der gesamten Copyright-Industrie, zu der auch Microsoft gehört, steht der Übergang zur `nichtkörperlichen´ digitalen Verbreitung von Werken an. Damit die Konzerne auch weiterhin gut am geistigen Eigentum (content) verdienen können, bedarf es einer neuen technologischen Plattform. Diese muß drei Voraussetzungen erfüllen: ausreichende Bandbreite, einheitliche Standards für Produktion, Übertragung und Endgeräte sowie wirksame Kopierschutzmechanismen. Nur wer gleichzeitig Plattform und Content dominiert, wird im Digitalzeitalter klotzige Gewinne einfahren.
Gates weiß, wie schwierig es ist, beides zu kontrollieren. Wäre es ihm entgangen, hätte ihm spätestens der heftige Schluckauf von DF1 die Augen geöffnet. Es gibt zur Zeit weltweit nur einen, der dieses risikoreiche Spiel halbwegs erfolgreich spielt - Rupert Murdoch mit seinen Studio- und Fernsehbeteiligungen, seinen Zeitungen und seiner Satelliten-Armada. Murdoch hat allerdings viel weniger Erfahrung als Microsoft, wenn es um die Standardisierung digitaler Plattformen geht. Andererseits fehlt Microsoft die Erfahrung im Umgang mit Content. Doch die Redmonder lernen schnell. Unabhängig davon konzentrieren sie sich schon seit einiger Zeit auf die Kontrolle der künftigen Plattform.
Der Verdacht, daß Microsoft in Bandbreite investiert, liegt spätestens seit der Beteiligung des Konzerns am großen amerikanischen Provider UUnet im Januar 1995 nahe.
Während Gates noch auf der Herbst-Comdex 1996 jedes Interesse an Bandbreite verleugnete (`Wir sind in keiner Weise im Kommunikationgeschäft tätig.´), rechtfertigt er sein jüngstes Milliardenengagement beim viertgrößten amerikanischen Kabelbetreiber Comcast mit adenauerscher Nonchalance: `Wir freuen uns darauf, die Hochgeschwindigkeitsanschlüsse von Comcast in Millionen Haushalte zu verlegen und auszuprobieren, wie wir das mit unserer Software-Technologie verbinden können.´
Da Comcast größter Teilhaber des Kabelmodem-Providers @Home ist, darf man Gates bezüglich des `Hochgeschwindigkeitsanschlusses´ getrost ernst nehmen. Wie gefährlich die Konkurrenz Microsofts Kabel-Engagement einschätzt, zeigt die Reaktion von Tom Malone auf den Milliardendeal. Malone, Chef des größten Kabelbetreibers TCI, glaubt fest, daß Microsoft den Markt für die künftigen TV-Computer beherrschen will.
Abgesehen vom WebTV-Deal tut Microsoft das meiste dafür auf ihrem ureigenen Geschäftsfeld. Microsofts Stärke lag stets darin, ihre Kernanstrengungen auf sehr wenige Dinge zu konzentrieren. Im Sinne der NewMedia-Plattform haben die Redmonder nur zwei strategische Produkte, nämlich Windows 98 alias Explorer und NT. Und sie haben nur ein einziges Ziel. Dieses Ziel heißt in etwas abgewandelter Form immer noch genau so wie vor 10 Jahren: Ein Computer mit Explorer/NT auf jedem Desktop, in jeder Workstation, in jedem Video-on-Demand-Server, in jedem digitalen Medienproduktionssystem.
Aus diesem Grund hat Gates Netscape im Dezember 1996 den Krieg erklärt, wohl wissend, daß Microsoft kurz davor stand, die Technologieführerschaft bei der Entwicklung der Plattform abzugeben. Gates hat inzwischen auch in diesem Bereich den Fuß in der Tür. Herauszudrängen ist er nicht mehr, auch wenn der Marktanteil des Explorers nur bei 30 Prozent liegt.
Viel wichtiger ist aber die Tatsache, daĂź Microsoft der gesamten Industrie gezeigt hat, wie schnell die Firma jeden technologischen Vorsprung aufholen kann und mit welcher Ernsthaftigkeit sie ihr Web-Engagement betreibt. Dies untermauerte auch die gewohnt penetrante Werbekampagne fĂĽr den Explorer.
Geschlossene Anstalt
Angesichts der Web- und Werbepräsenz des Rivalen kann es Netscape nicht einmal mehr zum eigenen Vorteil münzen, sich bei der Produktentwicklung an `offene´ Standards zu halten. Nun sind es eher die Redmonder Projektleiter, die sich beim Web-Standardisierungskomittee W3C die Klinke in die Hand geben. Nur bei Java zieht Microsoft verständlicherweise stets die Bremse: Webfähige Applikationen ja - aber bitte auf keinen Fall plattformunabhängig. Da Java bis vor kurzem noch Performance- und Standardisierungsprobleme zwickten, hatte Microsofts Standpunkt sogar etwas für sich.
Der Widerstand gegen Java ist auch darauf zurückzuführen, daß Microsoft nach Netscape ein weiteres Opfer ins Visier genommen hat, nämlich Sun (und damit Unix). Nahezu alle Marketingaktivitäten des Konzerns zielen zur Zeit darauf ab, NT und die Familie der Backoffice-Produkte auf allen Ebenen als preiswerten Ersatz für entsprechende Unix-Lösungen anzupreisen.
Der Erfolg dieser Strategie scheint nahezu unausweichlich. Wohl mag es in Großunternehmen einige zeitkritische Anwendungen geben, die zur Zeit nicht auf Basis von Pentium-Servern und NT abgedeckt werden können. Für die Masse der aktuellen Client-Server-Anwendungen und die Produktion digitaler Medien gilt dies jedoch nicht. Folgerichtig bröckelt seit einigen Monaten der Aktienkurs von Sun, die NT-Verkaufszahlen boomen.
Dazu kommt, daß Microsoft schon seit 1992 an der Skalierung von NT für Medienanwendungen bastelt. Damals legten die Redmonder ein NT-basiertes Video-on-Demand-Projekt namens `Tiger´ auf. Zunächst verstarb es, ebenso wie das VOD-Projekt in Orlando oder Oracles Video-Server, am mangelnden Interesse der Medienindustrie. Es sollte aber kaum verwundern, wenn dieses Projekt schon 1998 eine fröhliche Auferstehung feiert, möglicherweise im Verbund mit einer Neuplazierung von WebTV. Dann hätte Microsoft die gesamte Kette der Medienproduktion und -verbreitung über eigene Standards im Griff.
Bleibt noch der Schutz des geistigen Eigentums - ein hübscher Euphemismus, da es sich ja in Wahrheit um den Schutz seiner kommerziellen Verwertung handelt. Mit dem Übergang zur nichtkörperlichen Verbreitung kommen auf die Copyrightindustrie jene Probleme zu, von denen die Softwareproduzenten seit jeher betroffen sind - im wesentlichen die Raubkopiererei.
GebĂĽhr fĂĽr jedes Bit
Die Bosse der Plattenindustrie ahnen, daß der Inhalt ihrer Silberscheiben angesichts der weiten Verbreitung von CD-Brennern und der Einführung neuer Kompressionsmethoden wie MP3 immer öfter den direkten Weg zur zahlungsunwilligen Kundschaft nimmt. Bei dem Gedanken, sie sollten ihre kostbaren Bits ohne ausgefeilte Schutzmethoden über die Netze jagen, schlottern den Managern die Knie.
Doch es geht nicht nur um den Erhalt alter Besitzstände, sondern auch um deren Erweiterung. Die Copyrightindustrie verspricht sich von der digitalen Verbreitung eine wesentlich bessere Kontrolle von individuellen Nutzungsvorgängen. Der Kunde wird dann direkt für jeden Nutzungsvorgang zur Kasse gebeten. Solche Vorstellungen vertritt jedenfalls die amerikanische Copyright-Lobby. Mit der tatkräftigen Unterstützung der Clinton-Regierung und deren Chefunterhändler Bruce Lehman konnten sie einen weitreichenden Schutz ihrer Verwertungsvorhaben international durchsetzen. Die Konferenz der World Intellectual Property Organization (WIPO) akzeptierte im letzten Dezember in Genf die amerikanischen Vorschläge ohne große Abstriche.
SmartCard als Dongle
Nachdem jetzt die juristischen Grundlagen bestehen, fehlt es nur noch an deren technischer Umsetzung. DafĂĽr gelten zwei Voraussetzungen: Gesicherter E-Commerce und Identifikation der Nutzer. Folgerichtig bietet Microsoft ĂĽber seinen Site- und Transaction-Server Produkte fĂĽr den Aufbau von gesicherten E-Commerce-Systemen an.
Interessanter scheint aber die Integration von E-Commerce-Funktionen auf der Client-Seite. So enthält die aktuelle Beta-Version des Internet Explorers 4.0 bereits die Komponente `Wallet´, welche die gesicherte und einfache Kreditkarten-Transaktion über das Web ermöglichen soll. Dazu kommen Profile zur Identifikation von Nutzern und die Tatsache, daß Microsoft gerade ein Entwicklungssystem für den Einsatz von SmartCards mit dem Internet Explorer veröffentlicht hat. Damit steht für den Windows-98-PC wohl eine Tastatur mit Kartenleser an - und Software, die nur nach dem Einstecken der richtigen SmartCard läuft.
Sind die Verbreitungsstandards erst einmal geschaffen und steht eine einheitliche Plattform, werden sich die Medienproduzenten darum reißen, die neuen Kanäle zu nutzen. Dann steht auch eine neue Runde zum Schacher um bestehende und künftige Copyrights an. In dieser Situation könnte Onkel Bill tatsächlich zu einer Einkaufstour durch Hollywoods Studios und die Chefetagen der amerikanischen Medienhäuser aufbrechen - angesichts seiner prallen Börse dürfte er sicher aus einem großen Angebot auswählen. (dz) (dz)