Neue Ausnahmen vom US-Copyright

Ein Beamter des US-Parlaments hat neue Ausnahmen vom Digital Millennium Copyright Act verfügt. In bestimmten Fällen sind Jailbreaking, Aufhebung von SIM-Locks sowie Umgehung von Kopierschutz zulässig. Die meisten der neuen Ausnahmen treten am 29. 10. 2015 in den USA in Kraft.

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Neue Ausnahmen von US-Copyright

In der Poststelle des Copyright Office

(Bild: copyright.gov)

Lesezeit: 7 Min.
Inhaltsverzeichnis

Alle drei Jahre führt die Bibliothek des US-Parlaments ein für uns eigentümlich erscheinendes Verfahren durch, an dessen Ende der Bibliothekar Ausnahmen von bestimmten Verboten des US-Copyright erlässt. Am gestrigen Dienstag war es wieder so weit. Die Liste der Ausnahmen ist deutlich länger als die aus dem Jahr 2012.

Die Ausnahmen lassen sich grob in neun Gruppen einteilen: Umgehung von Digital Restriction Management (DRM) bei Videos, Umgehung von Zugriffssperren bei elektronisch übermittelten Textwerken, Aufheben von SIM-Locks, Jailbreaking, Umgehung von Zugriffssperren für Fahrzeugsoftware, Cracking für Security-Forschung bei bestimmten Geräten, Cracking von nicht mehr unterstützten Computerspielen, Modifikation von 3D-Druckern für alternative Druckmaterialien sowie das Abhören drahtloser Übertragungen medizinischer Implantate.

Die Ausnahmen beziehen sich immer nur auf die Bestimmungen des Digital Millennium Copyright Act (DMCA). Andere Gesetze werden nicht berührt. Damit kann eine vom Bibliothekar als gestattet erklärte Handlung nach anderen Regeln noch immer illegal sein.

Noch dazu sind die Regeln sehr spezifisch formuliert. Daraus können sich erhebliche Einschränkungen hinsichtlich der berechtigten Personen, zulässigen Zwecke, eingesetzten Mittel sowie der Ausgangsmaterialien ergeben. Jedem Anwender in den USA wird daher geraten, den Originaltext zu studieren und sich zur juristisch relevanten Orientierung nicht auf Medienberichte zu verlassen.

Fünf der Gruppen sind komplett neu. Patienten dürfen nun die drahtlosen Übertragungen ihrer eigenen medizinischen Implantate oder der damit verbundenen Überwachungssysteme abfangen und speichern, ohne den DMCA zu verletzen. Sie dürfen damit aber keinen Dritten beauftragen und sie dürfen auch keine zusätzlichen Übertragungen auslösen.

Manche 3D-Drucker akzeptieren nur Druckmaterial, das sich mit einem bestimmten Chip identifiziert. Das soll dem Hersteller eine dauerhafte Einnahmequelle sichern. Diese Einschränkungen dürfen nun umgangen werden, um alternative Druckmaterialien einsetzen zu können. Da gilt aber nicht, wenn der Drucker für wirtschaftliche Zwecke genutzt wird, die reguliert oder zertifiziert werden.

Bei Computerspielen wird das Cracking gestattet, wenn DRM eine Online-Authentifizierung erfordert, der Anbieter den Serverdienst aber nicht mehr vorhält. Das gilt aber nur für den privaten Gebrauch legal erworbener Spiele oder den nichtkommerziellen Einsatz in bestimmten Archiven, Bibliotheken oder Museen. Diese Gruppe darf zusätzlich Sperren umgehen, um die Spielkonsolen selbst zum Laufen zu bringen. Privatpersonen dürfen das nicht.

Der VW-Skandal dürfte zu folgender Ausnahme geführt haben, die erst in einem Jahr in Kraft tritt: Umgangen werden dürfen Sperren gegen den Zugriff auf Computersoftware, die Kfz "wie Automobile, Nutzfahrzeuge und landwirtschaftliche Fahrzeuge" kontrolliert. Ausgenommen ist aber Software, die vorwiegend entworfen wurden, um Telematik- oder Unterhaltungssysteme zu steuern.

Von Motorrädern ist keine Rede. Berechtigt ist auch nur der Eigentümer, einen Dritten zu beauftragen ist nicht vorgesehen. Der Bibliothekar weist darauf hin, dass damit keine anderen Vorschriften – wie etwa jene des Verkehrs- oder Umweltschutzministeriums – umgangen werden dürfen. Es wäre also illegal, die umweltschädlichen VW-Programme zu re-installieren, wenn der Hersteller sie einmal entfernt haben sollte.

Frühestens in einem Jahr dürfen "weiße" Hacker in bestimmten Fällen Software cracken, um Sicherheitsforschung mit guten Absichten zu betreiben. Gemeint ist, Sicherheitslücken zu finden, zu untersuchen und/oder zu korrigieren, wenn das in einer kontrollierten Umgebung geschieht und damit vorwiegend die Sicherheit verbessert werden soll.

Zulässig ist das auch nur bei Geräten, die vor allem für individuelle Verbraucher gedacht sind, Kfz sowie medizinische Implantate und deren Überwachungssysteme, wenn diese nie (wieder) bei Patienten eingesetzt werden. Außerdem dürfen Wahlmaschinen derart erforscht werden, und das ab sofort.

Weitere vier Gruppen von Ausnahmen bestanden bereits, wurden aber ausgedehnt. Jailbreaking ist hinfort nicht bloß für die Installation von Software auf Mobiltelefonen gestattet. Nun darf damit auch Software entfernt werden. Die Gerätebeschreibung wurde auf "Smartphones und tragbare Allzweck-Computer" ausgeweitet. Neu hinzugekommen sind Fernseher.

Extrem unbeliebt sind SIM-Locks, durch die mobile Geräte nur in bestimmten Funknetzen oder Ländern eingesetzt werden können. Sie zu entfernen hatte der Bibliothekar jahrelang erlaubt, doch vor drei Jahren überraschend an eine Zustimmung des Netzbetreibers geknüpft. Die Aufregung über diese Absurdität war so groß, dass das Parlament ein eigenes Gesetz erließ, welches das Entsperren bis Ende 2015 wieder legalisierte.

Der Bibliothekar des Parlaments verfügt aber nun wieder neue Ausnahmen. Fortan ist es gestattet, die Sperren nicht nur bei Mobiltelefonen, sondern auch bei Wearables, Allzweck-Tablets, Mobilfunk-Modems sowie mobilen Hotspots und dergleichen zu entfernen.

Auch Dritte dürfen mit der Entsperrung beauftragt werden. Voraussetzung ist stets, dass das Gerät rechtmäßig erworben und im Netz des Mobilfunkers aktiviert wurde, bevor der SIM-Lock entfernt wird.

Besonders komplex ist die Situation bei der Umgehung von DRM bei Videos aller Art. Vor drei Jahren hatte der Bibliothekar noch abgelehnt, Blu-rays in irgendeiner Form einzubeziehen. Jetzt behandelt er diese Datenträger in den meisten Fällen gleich wie DVDs.

Grundsätzlich gelten die Ausnahmen nur für bestimmte Zwecke. Erlaubt sind dann kurze Ausschnitte aus Videos, um sie zu kritisieren oder zu kommentieren. Und Screengrabbing genießt den Vorzug. Nur wenn der Kopierende meint, dass er damit nicht die erforderliche Qualität erzielt, darf er auch den Kopierschutz von Videostreams, DVDs und Blue-rays knacken. Aber nicht immer.

Zulässige Fälle sind: Die Produktion von Dokumentarfilmen, das Hineinschneiden in nichtkommerzielle Videos (remixing), die Einbeziehung in Filmanalysen in Form von Multimedia-E-Books, sowie für bestimmte Bildungszwecke.

Im Bereich Bildung sind nur bestimmte Personen umfasst: das Lehrpersonal vom Kindergarten bis zur zwölften Schulstufe, Lehrpersonal und Studierende an Universitäten, Fakultätsangehörige bei akkreditierten, nichtkommerziellen Anbietern von Onlinekursen (MOOC). Diese Personen dürfen Screengrabber einsetzen; nur wenn dessen Qualität nicht ausreicht und wenn es sich um Filmstudien oder andere Lehrbereiche handelt, die die detaillierte Analyse von Videomaterial erfordern, dürfen sie auch Kopierschutz umgehen.

Kindergärten und Schulen ist die Umgehung des Kopierschutzes von Blu-rays allerdings vorenthalten. Darüber hinaus dürfen Kindergartenkinder und Schüler sowie Lehrende und Teilnehmer nichtkommerzieller Alphabetisierungskurse mit Präsenzunterricht, Screengrabber für Unterrichtszwecke einsetzen. Kopierschutz dürfen sie nicht umgehen.

Nichts verändert hat sich bei der Genehmigung, elektronisch verbreitete Texte für Menschen mit Behinderungen zugänglich zu machen, sodass die Texte automatisch vorgelesen, mit Screenreadern gelesen oder für andere Unterstützungsmethoden zugänglich werden können. Die Werke müssen legal erworben worden sein. Unentgeltlich erworbene E-Texte dürfen nur dann von Barrieren befreit werden, wenn es sich bei ihnen um "nondramatic literature" handelt.

Abgelehnt hat der Bibliothekar Anträge auf Ausnahmen vom DMCA für das Abspielen von DVDs unter Linux sowie das nichtkommerzielle Time-Shifting beziehungsweise Format-Shifting von Videos respektive E-Books.

Ebenfalls erfolglos blieben Anträge auf straffreies Jailbreaking für E-Books sowie Videospiel-Konsolen. Hierbei reichten dem Bibliothekar formale Gründe: Die Antragsteller hatten sich nicht am weiteren Verfahren und den Hearings beteiligt, während Vertreter der Industrie sehr wohl aktiv geworden sind. Gleiches gilt für einen Antrag auf Umgehung des Dongle-Zwangs für eine bestimmte Musiksoftware, die vom Hersteller nicht mehr unterstützt wird. (anw)