Der Mensch im Zeitalter der New Economy
Die New Economy bringt einen neuen Menschentyp hervor: Der "Yettie" ist young, entrepreneurial und tech-based.
Er ist zwischen zwanzig und dreißig, schnell, flexibel, arbeitet freiwillig auch nachts und am Wochenende: Der "Yettie". "Er ist ein Kind der New Economy und definiert sich über seine Beschäftigung in der IT-Branche", charakterisiert Betty Siegel, Soziologin vom Hamburger Trendbüro, den neuen Typus des Arbeitnehmers in der Welt der neuen Medien. "Die Arbeit ist der Sinn an sich." Im Gegensatz zum "Yuppie" der 80er Jahre bedeuten ihm Anzug und Krawatte nur wenig: "Sein Markenzeichen ist das Understatement."
Dies gilt zumindest rein äußerlich. Innerlich wissen die "Yetties", die "young, entrepreneurial, tech-based" (die jungen, unternehmerisch und technisch orientierten) Internet-Eliten genau was sie wollen und müssen: Sich selbst vermarkten.
Dabei werde der Arbeitnehmer im Bereich der Informationstechnologie (IT) immer mehr der Unternehmer seiner eigenen Arbeitskraft, sagt der Industriesoziologe Günter Voß von der Technischen Universität Chemnitz. "Und jeder einzelne ist gezwungen, sich selbst als Produkt immer wieder neu zu entwickeln und zu verkaufen." Das habe es bisher noch nie gegeben.
Absolute Flexibilität und das Leben zwischen mehreren Städten sind für Hagen Kühn bereits seit mehr als zwei Jahren Alltag: Der 34 Jahre alte Projektleiter eines mittelständischen Software-Unternehmens pendelt jede Woche zwischen London, Frankfurt und dem Hauptsitz seiner Firma in Sankt Georgen im Schwarzwald. "Es ist ein irrsinniges Gefühl, am größten derzeit laufenden internationalen E-business-Projekt mitzuarbeiten", erklärt Kühn seine Motivation. Klar leide die Familie darunter. Aber so eine Chance könne man sich andererseits auch nicht entgehen lassen, bekennt er fasziniert.
Rund 1,8 Millionen Deutsche arbeiten derzeit in der IT-Branche. Das sind nach Angaben des Bundesverbandes Informations- und Kommunikationssysteme (BVB) ungefähr fünf Prozent aller Beschäftigten. Bis zum Jahr 2003 sollen es 2,4 Millionen Menschen sein. Die so genannte New Economy verlangt viel: "Acht-Stunden-Tag oder 40-Stunden-Woche gelten in der IT-Branche schon lange nicht mehr", sagt Werner Senger, Geschäftsführer des Verbandes. Dafür werde mit einem Einstiegsgehalt von oft über 100 000 Mark im Jahr aber auch sehr gut verdient. Viele Unternehmen des Neuen Marktes hätten es sich außerdem zum Grundsatz gemacht, die Beschäftigten mit Aktienoptionen direkt am Erfolg zu beteiligen.
Sabine Söllheim, Produktmanagerin bei einem schwäbischen Software-Unternehmen, betrachtet die Flexibilität als Vorteil: "Wer fit ist, kann in unserem Bereich ganz schnell ganz weit aufsteigen." Durch ständiges Lernen steige die Selbstsicherheit der IT-Spezialisten ungemein. "Allerdings muss man aufpassen, dass sie nicht zu selbstbewusst werden." Die Kehrseiten der IT-Welt sieht Marit van Santen, Frau eines Firmengründers: "Wir führen oft eine Partnerschaft per E-mail und am Telefon. Ganz zu schweigen von den Einsamkeitsgefühlen am Wochenende."
Wie New Economy im Unternehmen ganz praktisch aussehen kann, erzählt Jens Jahn, kaufmännischer Leiter einer hessischen Firma für Design im Internet: "Wir haben einen Goody-Man, der sich um das leibliche Wohl unserer Mitarbeiter kümmert." Damit diese keine Zeit mit Essengehen verplempern, kauft der "Goody-Man" Obst, Gemüse, Süßigkeiten und andere Leckereien für alle ein. Zusätzlich gibt es auch Entspannung für müde Rücken gratis: Zwei Mal die Woche kommt eine Masseurin, um sie wieder fit zu machen.
Wohin die Entwicklung einmal führen soll, ist nach Auffassung von Andreas Boes noch nicht absehbar. Der Soziologe der Technischen Universität Darmstadt hat für eine Studie innerhalb von zwei Jahren rund 200 Gespräche mit Beschäftigten und Experten in der IT-Branche geführt. "Ich glaube, der Börsen-Rausch geht vorüber", bilanziert er. "Außerdem bleibt abzuwarten, wie lange die Menschen das Dilemma zwischen Beruf und dem absoluten Verzicht auf ein soziales Leben und Familie noch aushalten." (Antje Schmid, dpa) (chr)