BND/NSA-Affäre: Sonderermittler deckt erhebliche Mängel und Rechtsbruch auf

Ex-Bundesrichter Kurt Graulich ist als parlamentarische "Vertrauensperson" beim Prüfen der umstrittenen NSA-Selektorenliste zu dem Ergebnis gekommen, dass der BND und sein US-Partner deutsches Recht verletzt haben.

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BND/NSA-Affäre: Sonderermittler deckt erhebliche Mängel und Rechtsbruch auf

 

(Bild: heise online / Rodrigo Galindez, CC BY 2.0)

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Der Bundestag hat es jetzt schwarz auf weiß, dass bis zu 40.000 von rund einer Million Selektoren, die der Bundesnachrichtendienst (BND) von der NSA zur Fernmeldeaufklärung per Satellit und an deutschen Internetknoten erhielt, gegen westeuropäische und deutsche Interessen gerichtet waren. Der vom NSA-Untersuchungsausschuss und der Bundesregierung eingesetzte Sonderermittler Kurt Graulich hat seinen Prüfbericht dazu jetzt dem Gremium vorgelegt und damit Medienberichte über das teils rechtswidrige Treiben der beiden Geheimdienste in weiten Teilen bestätigt.

Die rund 400 Seiten lange Analyse zeige "erhebliche Mängel" bei der Behandlung von Zielvorgaben der NSA auf, erklärte der SPD-Obmann im Untersuchungsausschuss, Christian Flisek, am Freitag. So sei es "teilweise nicht gelungen" zu verhindern, dass die US-Spione "Selektoren zu deutschen Grundrechtsträgern" in die Erfassungssysteme des BND eingespielt hätten. Damit sei "deutsches Recht verletzt" worden.

NSA-Skandal

Die NSA, der britische GCHQ und andere westliche Geheimdienste greifen in großem Umfang internationale Kommunikation ab, spionieren Unternehmen sowie staatliche Stellen aus und verpflichten Dienstleister im Geheimen zur Kooperation. Einzelheiten dazu hat Edward Snowden enthüllt.

"Darüber hinaus wurde offensichtlich in erheblichem Umfang gegen deutsche Interessen verstoßen, wenn Regierungen und Institutionen deutscher Partnerländer ausgespäht wurden", erklärte Flisek weiter. Insgesamt weise der geschilderte Sachverhalt auf "schwerwiegende Organisationsmängel" innerhalb des BND hin.

Graulich und sein Team fanden laut Spiegel online neben europäischen Regierungseinrichtungen auch deutsche Ziele "in überraschend großer Anzahl auf der Wunschliste der NSA", die teils "länger als hundert Tage" überwacht worden seien. Knapp 16 Prozent der Selektoren hätten deutsche Telekommunikationsteilnehmer betroffen, dazu gekommen seien viele Unternehmen mit Sitz hierzulande. Darunter seien allein 70 Telefonnummern der Rüstungskonzerne EADS und Eurocopter gewesen, die heute zu Airbus gehören.

Ob die NSA Wirtschaftsspionage betreiben oder die Konzernmitarbeiter für militärischen Zwecke überwachen wollte, konnte der frühere Richter am Bundesverwaltungsgericht offenbar nicht abschließend klären.

Fast 70 Prozent der aussortierten Selektoren sollen Regierungsstellen von EU-Ländern betroffen haben. Bei zwei Dritteln aller 28 Mitgliedstaaten habe man Treffer gefunden, ganze Mitarbeiterstäbe seien Spähziele gewesen.

Insgesamt hat die NSA mit den Vorgaben laut Graulich dem Bericht nach zumindest gegen das Memorandum of Agreement verstoßen. In diesem geheimen Abkommen von 2002 zur weiteren Überwachungstätigkeit am früheren US-Standort Bad Aibling schlossen beide Seiten eigentlich aus, eigene Bürger auszuspähen. Der Beauftragte soll am Donnerstag vor dem NSA-Ausschuss als Sachverständiger den Abgeordneten Rede und Antwort stehen.

"Die nachrichtendienstliche Tätigkeit im Graubereich muss endlich beendet werden", forderte der Sozialdemokrat Flisek im Lichte des Gutachtens zur erst 2013 erstellten "BND-Ablehnungsliste". Es bedürfe nun einer zügigen Reform der Gesetzesgrundlagen für den Bundesnachrichtendienst. Ein "längeres Zuwarten" oder gar nur "kosmetische Eingriffe" seien angesichts dieser Lage nicht akzeptabel.

Die Bundesregierung sieht sich derweil durch den Graulich-Bericht nur in ihrer Bewertung vom April bestätigt, "dass es nach wie vor keine Hinweise auf eine massenhafte Ausspähung deutscher und europäischer Staatsbürger gibt". Gleichwohl hätten im Bereich der strategischen Fernmeldeaufklärung des BND "technische und organisatorische Defizite" bestanden.

Das Bundeskanzleramt habe aber schon damals reagiert, etwa die Regeln zum Einsatz des BND-Datenstaubsaugers "präzisiert" sowie die eigene Rechts- und Fachaufsicht "personell sowie strukturell ausgebaut". Nun solle unter anderem das geheime Auftragsprofil der Regierung für den BND noch überarbeitet werden.

Die Opposition will die Zielvorgaben der NSA selbst einsehen und hat daher auf Herausgabe der Ablehnungsliste beim Bundesverfassungsgericht geklagt. Mit dem von der großen Koalition gewählten Konstrukt des Sonderbeauftragten waren Linke und Grüne nicht einverstanden. (anw)