Tarif-Tauziehen
Seit der Liberalisierung des Fernmeldemarkts Anfang 1998 purzeln die Telefongebühren. Im Tariffeuerwerk zum Jahreswechsel rieben sich sogar Experten verwundert die Augen. Und es bleibt weiterhin spannend, denn der Poker um die Ortsgespräche fängt erst an.
- Ralf HĂĽskes
- Alexander Ochs
Nach den jüngsten Preissenkungen steht Deutschland im internationalen Vergleich der Telekommunikationskosten ganz gut da - aber nur im Bereich der Fern- und Auslandsgespräche. Das belegt der Vergleich mit einigen europäischen Nachbarländern. In Relation zu den USA ist das Bild gemischt: Beim amerikanischen Branchenriesen AT&T beispielsweise kostet eine Minute Ferngespräch werktags 17 Pfennig. Deutschlands größte Telefongesellschaft, die Telekom, verlangt dagegen 24 Pfennig für ISDN- und sogar 36 Pfennig für Analog-Anschlüsse. Doch ihre günstigsten Mitbewerber berechnen ebenfalls nur 17 Pfennig je Minute [1].
Noch krasser sieht es bei Auslandsverbindungen zwischen Deutschland und den USA aus. AT&T verlangt 48,5 Pfennig pro Minute für ein Gespräch nach Deutschland. Für ein Telekom-Telefonat in die USA zahlt man aber mindestens 72 Pfennig. Beim günstigsten Telekom-Mitbewerber kostet ein USA-Gespräch demgegenüber nur 24 Pfennig pro Minute.
Kampf um Marktanteile
Die Telekom steht also unter massivem Konkurrenzdruck und ist widerwillig selbst mit Preissenkungen gefolgt. Der jüngste Preisrutsch zum Jahresende läßt erahnen, wieviel Einsparpotential vorhanden war. Dieses endlich auf normales Niveau gesunkene Preisgefüge verbucht die Regulierungsbehörde zu Recht als Erfolg.
Doch dieses Jahr dürfte für viele Mitbewerber zu einer Bewährungsprobe werden. Wer sich im Kampf um Marktanteile nicht behaupten kann, wird an den notwendigen Investitionen scheitern. Und dieser Kampf wird teilweise mit zweifelhaften Methoden geführt.
So wirbt die Telekom seit einigen Wochen lauthals mit ihren neuen Ferngesprächspreisen von 12 Pfennig pro Minute. Sie vergißt dabei ebenso wie etliche ihrer Konkurrenten, auf die Abrechnung nach Takteinheiten hinzuweisen. Tatsächlich zahlt man für jede angebrochene Einheit den vollen Preis; ein Gespräch, das nicht auf die Sekunde genau endet, kostet also gleich eine Takteinheit mehr. So ergibt sich etwa bei durchschnittlich dreiminütigen Gesprächen ein realer Preis von 14 Pfennig pro Minute. Fair ist demgegenüber die sekundengenaue Abrechnung, für die einzelne Anbieter allerdings einen Zuschlag berechnen.
(Bild:Â xdial Software GmbH )
MobilCom lockt Kunden mit einem Ferngesprächstarif, bei dem Gespräche, die weniger als eine Minute dauern, selbst im Call-by-Call-Verfahren ohne Anmeldung und Grundgebühr nichts kosten. Von der 61. Sekunde an stellt Mobilcom jedoch auch die erste Minute in Rechnung, und dann liegen die Gebühren sogar über denen, die die Telekom nach 18 Uhr und am Wochenende berechnet. Andere Anbieter wie TelDaFax (Vorwahl 0 10 30) oder Viatel (0 10 79) sind hingegen rund um die Uhr günstiger als die Telekom ... und als MobilCom - mit Ausnahme der ersten Minute.
Bei den Marktanteilen will sich MobilCom mit 20 Millionen vermittelten Gesprächsminuten den zweiten Platz hinter der Telekom (131 Millionen Minuten) erkämpft haben. Marktbeobachter schätzen, daß alle Mitbewerber der Telekom zusammen auf einen Marktanteil von knapp 30 Prozent kommen. Das ist eine überraschend hohe Zahl, wie der Vergleich zu anderen Ländern belegt: In Spanien, wo der Markt ebenfalls zu Beginn des Jahres 1998 geöffnet wurde, gibt es zwar auf dem Papier rund 20 Mitbewerber, de facto konkurriert aber bislang gerade mal ein Herausforderer mit der Hausmacht Telefonica.
Ein Hauptgrund für die rasche Entwicklung in Deutschland dürfte die Möglichkeit zum spontanen Wechsel ohne Ummeldung sein: das sogenannte Call-by-Call ohne Voranmeldung, bei dem die Telekom für die Mitbewerber das Inkasso übernimmt. Dieses Modell erleichtert es den Konkurrenten, Kunden für sich zu gewinnen. Diese müssen lediglich der Rufnummer die Netzvorwahl des Anbieters voranstellen. Ein umständlicher Vertragsabschluß oder gar ein kostenpflichtiger Wechsel auf Dauer, wie beim Preselect-Verfahren, ist nicht nötig.
Drastische Gegensätze
Der Preisverfall bei Ferngesprächen wird in seinem ganzen Ausmaß deutlich, wenn man die Tarife der vergangenen zehn Jahre vergleicht (siehe Grafik). Anfang 1989 stellte die Telekom ihren Kunden für eine Minute Ferngespräch tagsüber noch rund 1,15 Mark in Rechnung. Jetzt kostet dasselbe Gespräch für ISDN-Kunden nur noch 24 Pfennig - ein Fünftel des damaligen Preises.
(Bild:Â xdial Software GmbH )
Noch krasser fällt der Vergleich aus, wenn man den günstigsten Anbieter einbezieht, dessen Dienste ohne Anmeldung nutzbar sind: TelDaFax. Da beträgt die Ersparnis gegenüber den Telekom-Preisen von 1989 sogar 85,2 Prozent.
Doch wenn es um Ortsgespräche geht, zeigt sich geradewegs das Gegenteil. Da dominiert nach wie vor die Telekom - und das nicht eben zum Vorteil des Verbrauchers. 1989 kostete ein Ortsgespräch noch rund 2,8 Pfennig pro Minute. Im Zuge von zwei Preiserhöhungen (1991 und 1996) schnellte der Preis auf 8 Pfennig hoch.
Es fällt der Telekom schwer, die teuren Ortstarife zu rechtfertigen, die vor allem Surfer verärgern und die Entwicklung des ECommerce massiv bremsen. In den USA gibt es eine ganze Reihe von Anbietern, bei denen alle Ortsgespräche mit den Grundgebühren von rund 25 Mark bezahlt sind. Dennoch behaupten Telekom-Sprecher weiterhin, daß Deutschland zu den Ländern mit den günstigsten Ortsgebühren zähle.
Selbst in den USA seien Ortsgespräche teurer als hierzulande, sagte ein Telekom-Sprecher noch kürzlich in einem Interview. Er verwies dabei auf eine US-Firma namens Nynex. Diese Firma existiert mittlerweile nicht mehr; sie ist von Bell Atlantic übernommen worden. Nynex hatte sich auf Kunden mit niedrigem Gesprächsvolumen spezialisiert, erhob keine Grundgebühr, berechnete dafür aber saftige Minutenpreise - in den USA ist das eine absolute Ausnahme.
Nachgerechnet
Wie werden sich die Ortstarife in Zukunft entwickeln? Sind in Deutschland überhaupt kostenlose Ortsgespräche möglich? Etwas Klarheit bringt ein Blick auf die Interconnection-Gebühren. Letztere hat die Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post (RegTP) festgelegt. Sie bestimmen, was ein Mitbewerber an die Telekom zahlen muß, wenn er bestimmte Leistungen von ihr bezieht.
Im Regelfall müssen die anderen Telefongesellschaften die letzte Meile, also das Kupferkabel, das vom Haus des Kunden in die Vermittlungsstelle führt, von der Telekom anmieten, um Ortsgespräche anbieten zu können. Andernfalls müßten sie jeden Haushalt mit einer eigenen Vermittlungsstelle verkabeln oder über Funk anbinden - eine sehr teure Alternative.
Das erste Hindernis für die Konkurrenten stellt die happige einmalige Gebühr von 265 Mark bei Übernahme eines existierenden Anschlusses beziehungsweise 606 Mark für die Neueinrichtung dar. Solche Anmeldekosten würden die meisten Privatkunden von einem Wechsel abhalten. Der Betrag muß daher über einen längeren Zeitraum abgeschrieben werden. Bei einer Vertragslaufzeit von zwölf Monaten wären das auf den Monat umgerechnet 22,08 Mark.
Zur Einrichtungsgebühr kommt die monatliche Miete. Sie beträgt derzeit 20,65 Mark im Monat. Die endgültige Höhe wollte die RegTP Ende November 1998 festlegen, verschob die Entscheidung jedoch nach Intervention des Wirtschaftsministers auf den 30. April 1999. Für Telekom-Wettbewerber rückte die dringend benötigte Planungssicherheit damit in die Ferne. Doch immerhin: wer über eine entsprechende Lizenz verfügt, kann bereits heute die begehrten Kupferdoppeladern von der Telekom mieten; es wird erwartet, daß der endgültige Preis nicht sehr weit von dem vorläufigen abweicht.
Zusammen mit der auf zwölf Monate umgerechneten Anmeldegebühr beläuft sich die Miete für die letzte Meile im ersten Jahr also auf bis zu 42,73 Mark monatlich. Doch damit ist es noch nicht getan, denn für die Weiterleitung von Ortsgesprächen zu Telekom-Kunden fällt zusätzlich eine Gebühr an - der Interconnection-Preis. Der liegt tagsüber bei mindestens 1,97 Pfennig und abends bei 1,24 Pfennig pro Minute. Geht man davon aus, daß diese Kosten beispielsweise tagsüber zehn Stunden und abends nochmals zehn Stunden pro Monat anfallen, so ergäben sich zusätzliche 19,26 Mark.
Inklusive der Kosten für die letzte Meile lägen die Ausgaben für eine Telefongesellschaft damit bei monatlich 62 Mark zuzüglich Mehrwertsteuer. Die Kosten für die eigenen Vermittlungsstellen, das Marketing, den Kundenservice und die Rechnungsstellung sind dabei noch nicht eingerechnet. Eine schlechte Ausgangslage für Überlegungen, Ortsgespräche nach amerikanischem Vorbild gratis oder auch nur billiger als die Telekom anzubieten.
Köder für Kunden
In krassem Gegensatz dazu steht die Ankündigung von MobilCom, ab März kostenlose Ortsgespräche anzubieten. Doch der Widerspruch löst sich bei näherem Hinschauen in fast nichts auf: Das Angebot soll nämlich nur gelten, wenn MobilCom-Kunden miteinander telefonieren. Dafür muß MobilCom dann nicht die Interconnection-Gebühren an die Telekom zahlen. Außerdem wird die Firma vermutlich eine längere Vertragslaufzeit zur Bedingung machen; wenn sie die Anschlußgebühren etwa auf drei Jahre verteilen kann, belaufen sich die monatlichen Kosten auf nur noch 32,49 Mark inklusive Mehrwertsteuer. Sie wären mit der angekündigten Grundgebühr von 29 Mark im Monat nahezu abgedeckt.
Obendrein sollen Ortsgespäche zu Telekom-Kunden - und das dürften zumindest anfangs die meisten sein - dann einheitlich 9,5 Pfennig pro Minute kosten. Das ist deutlich mehr als bei der Telekom, die 3 bis 8 Pfennig kassiert. Es ist also durchaus fraglich, ob sich der Wechsel für den Normalkunden lohnt. Nur MobilComs geplanter Ferngesprächstarif, der ebenfalls bei 9,5 Pfennigen pro Minute liegen soll, fällt im Vergleich recht günstig aus.
Für Internet-Surfer wäre das MobilCom-Angebot nur interessant, wenn ihr Provider ebenfalls zu MobilCom wechselte. Viel-Surfer träumen vom Internet-Zugang zum zeitunabhängigen Pauschalpreis in Verbindung mit kostenlosen Ortsgesprächen. Doch damit ist wohl kaum zu rechnen, denn das kann für den Provider recht teuer werden.
Diese Erfahrung hat AOL in den USA gemacht, als man dort auf eine Pauschalgebühr umstellte. Die Kunden blieben viel länger online und belegten damit die Einwahlpunkte. Dadurch bekamen andere immer häufiger bei der Einwahl ein Besetztzeichen, so daß diejenigen, die eine Verbindung erhascht hatten, diese erst recht nicht mehr hergaben. So schaukelte sich das Problem immer weiter auf, bis AOL kaum noch erreichbar war. Der Online-Dienst beseitigte das Problem jedoch offensiv, indem er seine Einwahlpunkte für mehrere Millionen US-Dollar ausbaute.
Was AOL in den USA zuwege brachte, sollte auch in Deutschland möglich sein. Dafür spricht, daß immer mehr Telefongesellschaften selbst als Provider agieren. So bietet MobilCom bereits einen Internet-Zugang zu einem monatlichen Pauschaltarif von 77 Mark an, bei dem keine Telefongebühren anfallen.
Doch bis zu amerikanischen Verhältnissen für Surfer ist es noch ein weiter Weg. Solange die Dominanz der Telekom über die letzte Meile anhält, gibt es jedenfalls keinen echten Wettbewerb und damit auch keine marktgerechte Preisentwicklung.
Literatur
[1] Ralf HĂĽskes, Alexander Ochs, Kampf um jeden Pfennig, c't1/99, S.24
[2] Christiane Schulzki-Haddouti, Dusan Zivadinovic, Der Riese wackelt, c't1/99, S.52
[3] Johannes Endres, Dusan Zivadinovic, Wahlhelfer, c't7/98, S.108
Die Telekom kassiert immer
Alle anderen Telefongesellschaften betreiben Übergänge zum Telekom-Netz, sogenannte Interconnection-Punkte. Für die Leitungen von dort zu den Telefondosen der Kunden erhebt die Telekom die Interconnection-Gebühr. Deren Höhe richtet sich nach der Entfernung des Interconnection-Punktes zum Anschluß des Kunden. Um in jeder City-Zone präsent zu sein, müßte eine Telefongesellschaft rund 230 solcher Punkte einrichten. Das kann sich bisher keine Firma leisten; MobilCom beispielsweise betreibt derzeit nur 23.
| Interconnection-GebĂĽhren | ||
|
Standardtarif (täglich 9-21 Uhr) |
Offpeak-Tarif (täglich 21-9 Uhr) |
|
| City-Zone | 1,97 | 1,24 |
| Regio 50 | 3,36 | 2,02 |
| Regio 200 | 4,25 | 2,35 |
| Fern-Zone | 5,14 | 3,16 |
| Alle Angaben in Pfennigen pro Minute (ohne MwSt.) | ||
Sparpotential ausschöpfen
Angesichts der Tarif-Vielfalt und der sich schnell ändernden Preise fällt die Auswahl des günstigsten Anbieters schwer. Doch es gibt Hardware und Software, die Schneisen durch den Tarifdschungel schlägt.
Seit Anfang 1998 gibt es Wählboxen (`Least Cost Router´) zum Anschluß an die Telefondose, die das Gespräch in Abhängigkeit von Tageszeit und Entfernung automatisch über den günstigsten Anbieter leiten [3].
Solche Geräte taugen allerdings nur etwas, wenn sie bei jeder Tarifänderung mit neuen Daten gefüttert werden. Die Kosten für diesen Service und der Anschaffungspreis mindern den Spareffekt. Eine gedruckte Tarifübersicht und ein Blick auf die Uhr vor dem Wählen bieten womöglich dasselbe oder noch mehr Sparpotential. Die aktuellen Tarife finden Sie beispielsweise mit ttarif, dem Web-Service der c't-Redaktion in Zusammenarbeit mit der xdial Software GmbH.
Eine neue Version mit 216 Tarifen von 47 Anbietern ist pünktlich zum Jahreswechsel online gegangen. Die Datenbank umfaßt über 65 000 Einzelpreise, darunter auch für Verbindungen in die Mobilnetze und ins Ausland. Sie wird ständig auf aktuellem Stand gehalten. (ad)