Ich brauche ein Handy!

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Von
  • JĂĽrgen Kuri

"Ich brauche ein Handy!"

Für eine Vierzehnjährige kann Sarah ganz schön entschieden sein.

"Warum?"

"Alle meine Freundinnen haben eins!"

"..."

Für eine Vierzehnjährige kann Sarah Diskussionen ganz schön abrupt beenden. Ein Mobiltelefon gehört einfach zur Standardausstattung moderner junger Damen. Da bleibt nur noch eine leicht sentimentale Depression. Zum Geburtstag bekomme ich von Sarah wahrscheinlich Gebißreiniger ...

Für die nächste Dienstreise war meine Aufmerksamkeit allerdings geschärft. Und tatsächlich: Die Kiddies in der Innenstadt verabredeten sich per Handy zum Einkaufsbummel. Die Vertreter auf dem Bahnsteig kündigten der holden Angetrauten per Handy ihre baldige Rückkehr an. Die Punks auf dem Bahnhofsvorplatz tauschten per Handy Infos über die abendlichen Parties aus.

Sinnvolle Anwendungen moderner Technik, schoß es mir durch den Kopf: Wer möchte schon alleine ein neues Fishbone-Shirt erstehen ... Sarah aber klärte mich auf: Darum ginge es gar nicht. Schließlich habe sie das schon in der Schule verabredet.

"Worum geht es dann?"

"..."

Für einen alten Knacker kann ich Diskussionen auch ganz schön abrupt beenden.

Die Depression steigerte sich von leichter Sentimentalität in ausgewachsene Zweifel am Sinn des Lebens. Da baut man Wortungetüme wie "Technologiefolgenabschätzung", um komplizierte Zusammenhänge zu veranschaulichen - und außerhalb der Fachzirkel schert sich keiner drum. Alles, was hängen bleibt, ist Technikbegeisterung. Der Kühlschrank mit Internet-Anschluß, das Handy mit Web-Browser, der elektronische Organizer mit Windows-Oberfläche erzeugen leuchtende Augen: "Haben wollen!" Wenn die, die es besser wissen sollten, nicht mehr nach dem Warum und Wozu fragen, warum sollte Sarah dies tun? Gewöhnung tritt nicht nur bei High-Tech aus der Computerbranche ein: Wenn die Waschmaschine mit wohlklingender Stimme mitteilt, daß der Wasserschlauch geplatzt sei, dauert es nicht mehr lange, bis Sarah der Mikrowelle ihr Liebesleid klagt.

Das Sinken der Profitraten treibt die Industrie zu immer neuen Gimmicks, für die dann Anwendungen und Anwender gesucht werden. Beim Handy hat das wunderbar geklappt - so gut, daß es des öfteren zu schweren Zusammenstößen kommt, weil zwei Gesprächsparnter physisch kollidieren oder ein wichtiger Mensch vor lauter Telefonieren dem nächsten Baum nicht mehr ausweichen kann.

Für wen, warum, wozu - egal, ob es um Magnetschwebebahnen oder um Handy mit Web-Browser geht, stellte man bestimmte Fragen am Anfang einer Entwicklung, bliebe uns einiger Unsinn erspart. Aber vielleicht tröstet mich die Waschmaschine in unserer Küche ja mit einem schlauen Kommentar über Sarahs Mobilfunk-Monatsrechnung hinweg.

JĂĽrgen Kuri

(jk)