Verkettete Programme und Filme in Zellen

Video-DVDs sind prinzipiell nur DVD-ROMs mit einem festgelegten Verzeichnis- und Dateiaufbau. Doch hinter der simpel erscheinenden Fassade stecken hochkomplexe Strukturen.

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Von
  • Gerald Himmelein
Inhaltsverzeichnis

Bei CDs benutzt jedes Format eine andere Struktur: Die Audio-CD kommt sogar ganz ohne Dateisystem aus, für CD-ROMs stehen gleich mehrere Dateisysteme zur Auswahl, von ISO bis Joliet. Die DVD-Formate setzen dagegen alle grundsätzlich auf demselben Dateisystem auf; Video-DVDs sind letztendlich nichts anderes als DVD-ROMs mit einem festgelegten Verzeichnis- und Dateiaufbau.

Das Wiedergabegerät erkennt eine DVD-Video daran, dass sie ein Verzeichnis mit dem Namen VIDEO_TS enthält. In diesem Verzeichnis stehen alle für die Wiedergabe relevanten Dateien. Im Verzeichnis VIDEO_TS kommen Dateien mit drei Dateiendungen vor: Zu jeder Indexdatei mit der Erweiterung ‘.IFO’ gibt es ein gleichnamiges Backup mit der Endung ‘.BUP’. Die eigentlichen Videodaten - also auch sämtliche Menüs und Standbilder - stecken in Dateien mit der Endung ‘.VOB’; das Kürzel steht für Video Object.

Neben den Videodaten enthalten VOB-Dateien auch Audio-Informationen, Subpictures und Navigationsbefehle. Subpictures sind Bitmaps mit zwei Bit Farbtiefe, die einfache Grafiken oder Untertitel enthalten können. Ein typisches Beispiel für Subpictures sind die halbtransparenten Auswahlmarkierungen in DVD-Menüs. Die VOB-Datei speichert all diese Daten parallel, neben dem Bild bis zu acht Audiospuren, maximal 32 Subpictures sowie Informationen zur Navigation.

DVD-Videos speichern alle Video- und Audioströme in Video Objects mit der Dateiendung ‘.VOB’. Ein VOB teilt sich in Interleaved Video Units (ILVU), die wiederum aus Video Object Units (VOBU) bestehen. Die darin enthaltenen Groups Of Pictures (GOP) fassen die eigentlichen Video- und Audioströme paketweise zusammen.

Die VOBs bestehen aus Interleaved Video Units (ILVU), die sich wiederum aus Video Object Units (VOBU) zusammensetzen. VOBUs bestehen ihrerseits aus einem Navigationspaket (NV_PCK) und einer Group Of Pictures (GOP), den eigentlichen Rohdaten. Das NV_PCK enthält Positionierungsdaten und informiert den Player unter anderem über mögliche Sprungmarken und enthält diverse Timing-Informationen. Die GOP teilt sich in 2 KByte große Datenpakete, die der Demultiplexer des Players wieder zu kontinuierlichen Datenströmen zusammenfügt: Video-Packs (V_PCK), Audio-Packs (A_PCK) und Subpicture-Packs (SP_PCK) - siehe auch das obere Schaubild auf der folgenden Seite.

Die GOP-Einteilung ergibt sich aus der Struktur der Videodaten. Das MPEG-2-Kompressionsverfahren begrenzt die Differenzbildung zwischen Einzelbildern (gespeichert in Predictive bzw. Bidirectional Frames) innerhalb eines GOP; so beginnt jedes GOP mit einem I-Frame (Intra-Frame) und endet üblicherweise vor dem nächsten I-Frame. Bei den meisten Authoring-Programmen enthält ein ILVU ein VOBU und dieses wiederum ein GOP. Ein typisches VOBU dauert zwischen einer halben und einer Sekunde und enthält zwischen 15 und 60 Bilder.

Die Notwendigkeit der Zwischenstrukturebene ILVU erschließt sich erst bei einer Sonderspielart der DVD, der Multi-Angle-Präsentation. Über einen Knopf auf der Fernbedienung kann der Betrachter der DVD bei fortlaufendem Ton interaktiv zwischen mehreren Kamerawinkeln wählen. Dazu liegen die Winkel in kleine Brocken sequenziert nacheinander im Videodatenstrom, bei drei Winkeln etwa als W1a,W2a,W3a,W1b,W2b,W3b,W1c,W2c,W3c. Wählt der Benutzer das zweite Angle aus, überspringt der Player die Blöcke für den ersten und dritten Winkel und gibt nur W2a,W2b,W2c wieder. Um Unterbrechungen zu vermeiden, werden die Blöcke in ILVUs eingeteilt - diese müssen einerseits groß genug sein, um den Datenpuffer des Players ausreichend zu füllen, andererseits klein genug, dass beim Umschalten keine langen Verzögerungen entstehen. Im Regelfall kümmert sich die Authoring-Software selbstständig um die Aufbereitung der ILVUs.

Zur Navigation greift der DVD-Player nicht direkt auf die Videodaten zu, sondern nimmt den Umweg über logische Einheiten (siehe mittleres Schaubild). Dazu gruppiert die Authoring-Software die Videodaten in Program Chains (PGC), die mittels PRE- und POST-Kommandos verknüpft sind. Program Chains teilen sich in Programs (PG) auf, die aus Zellen (Cells) bestehen. Cells fassen wieder VOBUs zusammen - erst hier kommen die physikalische Einteilung und die Navigationsstruktur auf einen gemeinsamen Nenner. Für den DVD-Player ist das VOBU die kleinste ansteuerbare Einheit - beim schnellen Vor- oder Rücklauf springt der Player beispielsweise von VOBU zu VOBU.

Die Navigationsstruktur der DVD teilt sich in Program Chains (PGC), deren Programs meist den Kapiteln eines Films entsprechen. Erst die Zellen der Programme verweisen direkt auf die Dateihierarchie, nämlich auf die VOBUs.

Der Betrachter der DVD-Video bekommt von der Navigationsstruktur wenig mit, da der DVD-Standard eine weitere Abstraktionsebene dazwischenschaltet: die Titelsuchstruktur (siehe Bild rechts unten). Dessen zentrale Einheit ist der Video Manager (VMGM), der in den Dateien VIDEO_TS.IFO und VIDEO_TS.VOB unterkommt. Der VMGM zeigt dem Player mit einer Autoplay-Anweisung, an welcher Stelle er mit der Wiedergabe beginnen soll - üblicherweise die FSK-Warnung oder die Logo-Animation des DVD-Herstellers. Von dieser aus springt der Player dann meist ins Hauptmenü, das Zugriff auf die Titel (TT) der DVD bietet. Ebenso wie der Video Manager finden auch die Titel ihre Entsprechung in der Dateistruktur als Kombinationen aus .IFO- und .VOB-Dateien. Die Strukturinformationen und das Menü für einen Titel befinden sich in den Dateien VTS_nn_0.IFO und VTS_nn_0.VOB, wobei nn ein zweistelliger Zahlenwert ist. Der eigentliche Inhalt der DVD, also der Film oder die Fernsehserie, findet sich in Dateien mit der Bezeichnung VTS_nn_m.VOB - zusammen bilden sie ein Video Object Set (VOBS).

Da Video-DVDs nicht nur zum UDF-Dateisystem, sondern auch zu ISO 9660 konform sind, können Dateien maximal 1 GByte groß sein. Da bei abendfüllenden Spielfilmen deutlich größere Datenmengen anfallen, splittet die Authoring-Software die Videodaten in Gigabyte-große Blöcke; die einstellige Zahl m nummeriert die zusammengehörenden VOB-Dateien durch.

Eine DVD fasst bis zu 99 Titel; jedes Video Title Set (VTS) verwaltet bis zu 999 Program Chains. Jede PGC kann ihrerseits bis zu 99 Programs fassen. Für Menüs gibt es keine Beschränkung, da diese Navigationshilfen nicht 1:1 an den Dateiaufbau gebunden sind. Die meisten Video-DVDs besitzen neben einem Hauptmenü auch eines zur Auswahl der Audiospur (Sprache) und des Subpicture (Untertitel) sowie zur direkten Ansteuerung bestimmter Bereiche (Kapitelanwahl).

Sprach- und Untertitelmenüs setzen Variablen, anhand derer der DVD-Player bei der Wiedergabe zwischen den verfügbaren Sprach- und Subpicture-Strömen auswählt. Dabei lassen sich mit einem Menüpunkt durchaus auch mehrere Variablen festlegen, etwa dass bei der Anwahl einer Fremdsprachenspur auch gleich Untertitel eingeblendet werden sollen. In teuren Authoring-Anwendungen kann man sogar ganze Skripte an Menüpunkte knüpfen, beispielsweise zufällige Auswahlen und Ähnliches.

Die Titelsuchstruktur zur Ansteuerung einer Video-DVD entspricht nur teilweise dem Navigationsaufbau. Der zentrale Video Manager verwaltet die DVDs in Titeln, deren Teile (Parts Of Title) auf die Programs innerhalb der Program Chains verweisen.

Das Kapitelmenü teilt die DVD in Parts-of-Title (PTT) ein. Üblicherweise entspricht eine PTT einem Program, sodass die Wahl des vierten Kapitels in das vierte Program der PGC des gewünschten Films springt. Diese Entsprechung ist aber keine Pflicht: Die Kapitelsprungtasten des DVD-Players wechseln nämlich nicht zwischen PTTs, sondern zwischen Programs. Wer will, kann also vom Menü aus eine grobe Anwahl von Filmabschnitten anbieten und diese dann durch Program-Einteilung weiter verfeinern.

Genaue Details zu den DVD-Spezifikationen bietet das standardgebende DVD Forum gegen 5000 Dollar und eine Vertraulichkeitserklärung an. Eine preiswertere Quelle für tiefgehende Informationen bietet das Buch ‘DVD Demystified’ von Jim Taylor. Viele interessante Details finden sich auch in [1] - für das bloße Authoring reicht meist die Online-Hilfe der jeweiligen Software aus. (ghi)

[1] MPU Coder (ghi)