Sonderermittler stellt BND und NSA weitgehenden Persilschein aus

Die Kooperation zur Fernmeldeaufklärung zwischen BND und NSA hätte in der gewählten Form nie durchgeführt werden dürfen, erklärte der Ex-Bundesrichter Kurt Graulich. An sich sei der Ansatz aber "politisch intelligent" gewesen.

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Kurt Graulich

Sonderermittler Graulich

(Bild: Stefan Krempl/heise online)

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Kurt Graulich, der Sonderermittler der Bundesregierung in der transatlantischen Spionage-Affäre, hat das umstrittene Überwachungsprojekt von Bundesnachrichtendienst (BND) und NSA am Donnerstag im Bundestag im Grundsatz befürwortet. Im Detail hätte die Gemeinschaftsinitiative zwar "so nie abgefahren werden dürfen", konstatierte der frühere Richter am Bundesverwaltungsgericht im NSA-Untersuchungsausschuss. An sich sei der Ansatz aber "richtig" und "politisch intelligent" gewesen.

Graulich hatte den Abgeordneten vorige Woche seinen Untersuchungsbericht zu den rund 40.000 "faulen" Selektoren vorgelegt, die der (BND) von der NSA zur Fernmeldeaufklärung per Satellit und an deutschen Internetknoten zusammen mit mehreren Millionen weiteren Suchmerkmalen erhielt. Eine gekürzte Version der Studie hat der Bundestag mittlerweile veröffentlicht. Im NSA-Ausschuss führte der Jurist nun aus, wie sich die "Ablehnungsliste" des BND zusammensetzte, welche Suchmerkmale er als besonders kritisch einschätzte und wie er die gesamte Aktion bewertet.

Der größte Fehler der deutschen Seite war es laut dem als Sachverständigen Geladenen, mit einer Software gearbeitet zu haben, mit der die Begründungen der herausgenommenen Selektoren nicht "lesbar" gewesen seien. Jedes Suchmerkmal der US-Amerikaner habe an sich einen solchen Beipackzettel gehabt. "Wir können es nicht dabei belassen, uns Schablonen wie 'anlasslose globale Massenüberwachung' um die Ohren zu hauen", betonte Graulich. Die durchgeführte Fernmeldeaufklärung sei "eigentlich das Gegenteil" davon gewesen.

Generell habe die Kooperation nicht nur den Vorteil gehabt, Kosten zu sparen, führte der Jurist aus. Prinzipiell habe sie auch "den eigenen Rechtsraum vergrößert", also den Schutz von Bundesbürgern verbessert, solange das grundlegende "Memorandum of Agreement" (MoA) eingehalten werde.

Graulich ist bei seiner Prüfung zwar auf "diverse MoA-Verstöße" aufmerksam geworden. Selektoren zu Bundesbürgern hätte die NSA überhaupt nicht an den BND übergeben werden dürfen, brachte er ein Beispiel. Die vertragliche Grundlage für die brisante Zusammenarbeit habe zudem eine "Europaklausel" enthalten. Auch diese habe die US-Seite wiederholt nicht eingehalten und etwa ganze "Regierungsstäbe" von EU-Staaten systematisch aufgeführt.

Zudem seien insgesamt 73 Telefonselektoren zu den Firmen EADS und Eurocopter von der NSA immer wieder dem BND untergejubelt worden, obwohl letzterer dem Partner bekannt gegeben habe, dass man diese nicht ansteuere.

Die zum Teil durch die Kooperation erfolgten Grundrechtseingriffe bezögen sich aber auf ein "geschlossenes Datenverarbeitungssystem", versuchte Graulich die Verstöße einzuschränken. Sie würden so "erst relevant, wenn Menschen Kenntnis davon nehmen". Doch wenn der BND Zielvorgaben abgelehnt habe, dann seien diese ja "nicht mehr gefährlich" gewesen, bekundete der Pensionär. Damit handle es sich nur noch um eine "Restgröße eines Verstoßes gegen personenbezogene Daten". Dies habe nichts mit dem vom G10-Gesetz vorgeschriebenen Schutz von Bundesbürgern zu tun.

Sollten illegitime Suchmerkmale aktiv geschaltet worden sein und "weiter zu Erfassungen führen", konstatierte Graulich "massive Grundrechtseingriffe innerhalb des Systems". Die Ergebnisse würden aber "erst auf amerikanischer Seite" von Menschen zur Kenntnis genommen. Damit seien sie rechtlich außen vor. Um davon auszugehen brauche man "keine Weltraumtheorie", wonach der BND nur auf deutschem Boden hiesiges Recht verletzen könne. Aber auch die "Lehre vom grundrechtlichen Universalismus" sei falsch. Andere Sachverständige waren bereits zu einem ganz anderen Ergebnis gekommen.

"Völlig ohne Problem ist die Aufklärung ausländischer Regierungen", meinte die "Vertrauensperson" der Koalition. Diese seien nicht grundrechtsgeschützt, könnten sich nicht auf Artikel 10 berufen.

Insgesamt entspreche das Gemeinschaftsprojekt auch dem "Stand der Wissenschaft" etwa im Medienrecht, lobte Graulich. Dort habe man heutzutage häufig einen Provider und einen Programmveranstalter, der sich dessen Plattform bediene. Wenn der Inhalteanbieter gegen rechtliche Auflagen verstoße, müsse der Betreiber dafür nicht haften. Brenzlig werde es erst bei andauernden Rechtsverletzungen. Daher habe der BND das Filtersystem Dafis genutzt, um weitgehend automatisch sicherzustellen, dass das nationale Rechtsregime berücksichtigt werde.

Dafis sei so streng angelegt gewesen, "dass alles, was mit 49 beginnt, sofort reflexartig herausgezogen wird", erläuterte der Jurist. Dies habe nicht nur bei Telefonvorwahlen gegriffen, sondern selbst bei Imsi-Kennungen, obwohl die beiden Ziffern dort keine Deutschlandbezug hätten. "Das Gerät ist rigider als ein pensionierter Verwaltungsrichter", scherzte Graulich. Er selbst könne zwischen unterschiedlichen Kennungen von Mobilfunkgeräten unterscheiden, auch wenn er kein Hacker-Kid sei.

Vorwürfe der "Süddeutschen Zeitung", in dem Bericht Stellungnahmen des BND "kopiert" zu haben, wies Graulich zurück. So habe er sich etwa die Weltraumtheorie zur Legitimation der Satellitenaufklärung oder der reinen Auslandsüberwachung im rechtlich luftleeren Bereich nicht zu eigen gemacht.

Er sei zudem selbst davon überzeugt, dass Verbindungsdaten wie IP-Adressen für den BND in der Regel nicht mit bestimmten Personen verknüpft werden könnten. Im Inland gebe es zwar das Instrument der Bestandsdatenauskunft, mit dem ein solcher Bezug prinzipiell hergestellt werden könnte. Der Auslandsgeheimdienst habe aber keine Befugnis, dieses zu nutzen. Im Ausland sei dieses Mittel in der Regel eh nicht verfügbar. Der BND und er selbst habe zumindest bei IP-Adressen also gar nicht überprüfen können, auf welche Personen direkt sich bestimmte Überwachungsvorgaben bezogen hätten.

Gleichzeitig räumte der Beauftragte ein, dass er "laufend Aufträge für Zuarbeiten" auch an BND-Angehörige verteilt habe. Ferner habe ihm ein "Ingenieur mit technischem Sachverstand" der Spionagebehörde zur Seite gestanden. Diese habe er aber nur zum Teil übernommen: "Das Meiste stammt von mir selbst." (axk)