Digitale Ork-Massen

KinogĂ€nger lieben Massenszenen, doch Filmemacher sehen darin in erster Linie logistische AlbtrĂ€ume und Budget-Fresser. Als die Buchvorlage zum zweiten Teil der Trilogie ‘Herr der Ringe’ eine gigantische Schlacht forderte, blieb nur eine Lösung - Computergrafik.

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Von
  • Sebastian Mecklenburg

Es gibt gute GrĂŒnde, warum man in neueren Filmen so selten aufwendige Massenszenen sieht: Erst mĂŒssen ausreichend Statisten gefunden werden, dann muss man sie fĂŒr teures Geld ausstaffieren, zum Drehort befördern und dann wie eine Herde zu genau den Handlungen treiben, die das Drehbuch fordert.

Wenn dieses also eine Riesenschlacht verlangt, sind entweder gravierende Abstriche bei der Umsetzung gefragt - oder Tricks. Die Schlacht bei Helms Klamm aus dem zweiten Band der Fantasy-Trilogie ‘Herr der Ringe’ fordert gigantische KĂ€mpfermassen - da musste Regisseur Peter Jackson nicht lange ĂŒberlegen: ein Realdreh stand außer Frage. Der Auftrag zur mittelalterlichen Massenkeilerei ging daher an die Firma WETA Digital, die seit 1993 fĂŒr die computer-generierten Spezialeffekte in Jacksons Filmen verantwortlich ist.

Massenszenen aus dem Computer werfen aber ganz neue Probleme auf. Schon die Menge der Akteure verbietet den Ansatz der Animation von Hand - also muss die Aufgabe entsprechend vereinfacht werden. Ein ĂŒbliches Verfahren besteht darin, fĂŒr einige wenige Modelle BewegungsablĂ€ufe zu erstellen und diese dann mehrfach wiederzuverwenden. Dabei kommt es jedoch schnell zu großflĂ€chigen RegelmĂ€ĂŸigkeiten, die die Illusion zerstören.

Schon 1996 begann der damalige technische Leiter von WETA Digital, Stephen Regelous, die Arbeit an einer Software zur weitgehend automatisierten Erstellung realistischer Massenszenen, die er ‘Massive’ nannte, eine AbkĂŒrzung fĂŒr ‘Multiple Agent Simulation System In Virtual Environment’. In diesem Programm erstellt der Animateur keine komplexen BewegungsablĂ€ufe, stattdessen erzeugt er so genannte Agenten.

Jeder Agent verfĂŒgt ĂŒber ein Arsenal an Aktionen, Bewegungen sowie ein ‘Gehirn’ zum Treffen selbststĂ€ndiger Entscheidungen. Jeder Agent kennt zwischen 150 und 350 Bewegungssequenzen, die jeweils etwa eine Sekunde dauern. Dazu gehören etwa Gehzyklen (jeweils zwei Schritte) fĂŒr verschiedene Steigungen, der Griff zum Schwert, Ducken oder ein ausweichender Schritt zurĂŒck. Zu diesem Zweck wurde das Verhalten realer Schauspieler und Stunt-Experten per Motion Capture in den Computer ĂŒbernommen.

Zu den Aktionen zĂ€hlen beispielsweise ‘eine Leiter erklettern’, ‘den Feind suchen’ oder ‘angreifen’. Komplexe AblĂ€ufe entstehen, indem die Software verschiedene Bewegungsschnipsel aneinander reiht und ineinander mischt (Motion Blending).

Das Gehirn des Agenten enthĂ€lt ein komplexes Netzwerk mit 100 bis 8000 ‘Verhaltensknoten’, von denen einige ihre Umgebung sehen, hören und sogar riechen, andere die Bewegung steuern und weitere aufgrund der aktuellen Situation entscheiden, welche der verfĂŒgbaren Aktionen momentan möglich sind und ausgefĂŒhrt werden. Die Bewertung der aktuellen Lage sowie die Entscheidung fĂŒr eine Aktion beruht auf ‘Fuzzy Logic’. Dieses Verfahren unterstĂŒtzt nicht nur einfache wahr/falsch-Situationen, sondern auch ZwischenzustĂ€nde wie ‘etwas gefĂ€hrlich’, ‘ziemlich weit weg’ oder ‘sehr laut’.

Über einen grafischen Netzdiagramm-Editor legt der Animateur die Verbindungen zwischen den Knoten im Gehirn des Agenten fest und verleiht ihnen damit eigene WesenszĂŒge - also ein Set aus AggressivitĂ€t, Ängstlichkeit, Kraft, Bewegungsmustern und Kampfstilen. Dabei berĂŒcksichtigt die Software auch die physikalischen Eigenschaften der Objekte. Ändert sich die AusrĂŒstung der Figuren, berechnet Massive deren Masse, TrĂ€gheit, Waffeneigenschaften und den Faltenwurf der Kleidung neu. So kann der 3D-Designer das visuelle Erscheinungsbild unabhĂ€ngig vom Verhalten der Figuren editieren.

Danach wird die virtuelle Szenerie mit den Agenten bevölkert und die Animation gestartet. Anhand ihrer rudimentĂ€ren kĂŒnstlichen Intelligenz finden die Agenten selbststĂ€ndig den Weg durch das GelĂ€nde, suchen Feinde, kĂ€mpfen oder flĂŒchten. Entspricht das Ergebnis nicht den Erwartungen, werden die Parameter der Agenten entsprechend angepasst. WĂ€hrend der Animation hat der 3D-Designer jedoch keinerlei Einfluss auf das Geschehen - so ergeben sich mitunter ĂŒberraschende Situationen. In einer frĂŒhen Phase der Schlachtplanung waren die Orks so eingestellt, dass sie aktiv nach Feinden suchen sollten, wenn gerade keiner in der NĂ€he war. Die Entwickler staunten nicht schlecht, als sich in der fertigen Animation eine Gruppe abseits stehender Orks daraufhin umdrehte und davonrannte, weg von der Schlacht.

Die fertige Animation berechnet am Ende der integrierte Renderer GRUNT. Insgesamt ist die Kombination aus Animationssoftware und selbststĂ€ndig handelnden Agenten noch ein recht junges Forschungsfeld - mit der kinoreifen Darbietung steht Massive weitgehend konkurrenzlos da, auch wenn im akademischen Rahmen seit lĂ€ngerem an kĂŒnstlichem 3D-Leben geforscht wird (z. B. Demetri Terzopoulos: www.mrl.nyu.edu/~dt/) und Spiele-Engines einiges an Intelligenz mitbringen (www.satori.org/gems3/). Stephen Regelous hat kĂŒrzlich seine eigene Firma gegrĂŒndet: ‘Massivesoftware’ soll den Agentenrechner demnĂ€chst als eigenes Produkt auf den Markt bringen, fĂŒr stolze 40 000 US-Dollar pro Lizenz. Immer noch billiger als die Feldverpflegung fĂŒr einen Haufen hungriger Orks. (ghi) (ghi)