Erfolgskontrolle

Immer wieder berichtet der Web-Filterhersteller Cobion über eine Zunahme bei illegalen Sites, weiß von selbstmordverherrlichenden Seiten und kann alles Üble im Web genau beziffern. Aber nicht genug damit: Die Kasseler engagieren sich direkt in der Verbrechensbekämpfung. Doch wie erfolgreich sind die Filter wirklich?

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Von
  • Torsten Kleinz

Wohl dem, der Studien vorweisen kann. Studien haben einen wissenschaftlichen Anstrich, sie verleihen dem eigenen Standpunkt den Nimbus der Objektivität. Doch viele Studien kommen nicht von unabhängigen Instituten, sondern aus PR-Abteilungen von Unternehmen.

In dieser Hinsicht besonders fleißig ist Cobion aus Kassel. Regelmäßig liefert das Unternehmen neue Statistiken an die Presse. Ein eigenes Rechenzentrum ist damit beschäftigt, das Internet nach immer neuen Kriterien zu durchforsten. So konnte man auch direkt nach dem spektakulären Kannibalismus-Fall im Dezember Zahlen liefern: 60 000 extreme Kannibalismus-Seiten seien von Cobion identifiziert worden.

Im Jahr 2000 hatte die Firma, die damals noch Only Solutions hieß, eine geniale Idee. Mit Hilfe ihrer Bildersuchmaschine, die sonst nach Markenrechtsverletzungen fahndete, wollte sie ein Zeichen gegen Rechtsextremismus setzen. Die Firma speiste verfassungsfeindliche Symbole in ihre Suchfilter ein. Kurze Zeit später ging eine Meldung an die Presse: Beim Durchsuchen von einer Milliarde Webseiten seien 50 000 Hakenkreuze gefunden worden. Die Daten wolle man den Strafverfolgern geben. Die Meldung rief ein bundesweites Presseecho hervor, landete sogar in Studien über Rechtsextremismus. Beigefügt war immer der Hinweis auf das Geschäftskonzept der Software-Firma. Eine gelungene PR-Aktion.

Was hat die Aktion sonst noch bewirkt? Auf Nachfrage gibt Cobion an, keinerlei Daten über den Erfolg zu haben. Das Bundeskriminalamt in Wiesbaden habe sich um die Auswertung gekümmert. Das BKA hingegen konnte Zahlen nennen. Von den 50 000 Fundstellen waren 2200 auf deutschen Domainnamen registriert. Nachdem die Beamten Doppler herausgefiltert hatten, blieben noch 700 Internet-Seiten übrig.

BKA-Mitarbeiter sahen sich jede dieser Internet-Seiten genauer an. Das Ergebnis war ernüchternd: ‘Deutlich weniger als ein Prozent’ der verbliebenen Fundstellen bot auch nur einen Anfangsverdacht auf illegale Inhalte, wie eine Sprecherin des BKA mitteilte. Als Kampf gegen Rechtsextremisten war die Aktion also ein Fehlschlag. Auch die übrigen Daten der Studie über die internationale Verbreitung des ‘WWW-Faschismus’ dürfte angesichts der hohen Dopplerzahlen und fehlender Auswertung hinfällig sein.

Cobion-Vorstand Jörg Lamprecht erklärt dazu: ‘Es ist nicht Aufgabe von Cobion, sich um die Verwertung dieser Recherche-Ergebnisse zu kümmern. Dafür sind andere Stellen verantwortlich.’ Auffällig ist aber, dass die Firma keinerlei Interesse an der amtlichen Qualitätsprüfung hatte.

Im Januar 2001 hatte Cobion eine weitere Idee: Mit Hilfe der Bildfilter könne man doch vermisste Kinder im Internet finden. Diesmal wandte sich die Firma nicht an die Behörden. Stattdessen suchte Cobion Kontakt zu verschiedenen Hilfsorganisationen. Diese stellten Vergleichsfotos von verschiedenen langzeitvermissten Kindern zur Verfügung. Im Mai 2002 wurde das Projekt dann eingestellt. Offizielle Begründung: Es hätten sich keine Geldgeber gefunden.

Auch in diesem Fall gab Cobion an, keinerlei Fakten über den Erfolg der Aktion zu haben. Lediglich eins sei bekannt: Zu jedem gesuchten Kind habe man ‘relevante’ Links gefunden. Wir hakten bei den Hilfsorganisationen nach. Ergebnis: Cobion lieferte zwar viele Bilder von Kindern, aber keines sah tatsächlich aus wie die vermissten Kinder. Die Polizei wurde in keinem Fall eingeschaltet.

Nach Sponsoren hatten die befragten Organisationen angesichts der Ergebnisse erst gar nicht gesucht. Große Hoffnungen auf einen Erfolg der Aktion hatte man nie gehabt. Die Kosten für die Suche hatte Cobion selbst übernommen.

Eine erfolgreiche Suche wäre auch ein Wunder. In Testläufen hatten die Kasseler lediglich nach Prominenten wie Einstein oder Clinton gesucht. Die sind einfach zu identifizieren, da es von ihnen hochqualitatives Bildmaterial gibt, mit dem man die Filter anlernen kann. Unklar blieb, wie viele Bilder von Einstein und Clinton den Filtern bei den Testläufen entgingen. Das Bildmaterial bei langzeitvermissten Kindern ist bei weitem nicht so zahlreich. Zudem sind die Kinder im Wachstum, die Bilder für die Lernphase der Filtersoftware waren in der Regel mehrere Jahre alt.

‘Leider entsprachen die uns zur Verfügung gestellten Bilder oftmals nicht den Voraussetzungen, die für eine effiziente Suche im Internet erfüllt sein müssen’, sagt dann auch Lamprecht. Allerdings hat man sich offenbar auch nicht bemüht, die Suche auf Kinder mit guten Vorlagen zu konzentrieren. Die Auswahl überließ Cobion den Hilfsorganisationen, die im Punkt Internet-Recherche kaum Erfahrung anführen können.

Die freiwilligen Helfer waren froh über die Unterstützung des vermeintlich erfahrenen Sponsors. Gerade Schlagzeilen über Kinderpornographie im Internet hatten die Eltern beunruhigt. Doch da die weltweit geächtet ist, sind viele Bilder für die Cobion-Crawler nicht erreichbar. Ausgerechnet bei Kinderpornographie hat die Filter-Systematik auch einen blinden Fleck: Andere Extreme sind fein säuberlich getrennt. So gibt es zwar eigene Kategorien für Kannibalismus und Vampirismus, das brisante Thema Kinderpornographie wird aber zusammen mit anderen ‘extremen Pornoangeboten’ indiziert. Es blieb noch die Hoffnung, die Kinder auf einem Schulbild oder einem Urlaubsschnappschuss zu entdecken. Und die Filter fischten reichlich solche Bilder aus dem Netz: Teilweise gab es mehrere tausend Treffer pro Kind, die dann von den Hilfsorganisationen allesamt einzeln falsifiziert wurden.

Auch wenn die Pressemitteilungen also einen anderen Eindruck erwecken: Der Beweis, dass aktuelle Filtertechnik zur Verbrechensbekämpfung taugt, wurde bislang nicht erbracht. Cobion ist jedenfalls viel weiter von solchen Lösungen entfernt, als es die Meldungen über die angeblichen Erfolge suggerieren. (jk) (jk)