Alter Wein in neuen Schläuchen

Auf solider Linux-Basis, aber technisch nicht auf dem allerneuesten Stand, preist Sun seinen Java Desktop dem geschäftlichen Anwender als Alternative zum Windows-Betriebssystem an.

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Von
  • Oliver Lau

Suns eigenes Linux-Desktopsystem soll einem Windows-Desktop „täuschend ähnlich“ sein. So ließ es Sun-Chef Scott McNealy im Dezember 2003 auf der Hausmesse SunNetwork in Berlin verlauten. Der Sun Java Desktop, das frühere „Mad Hatter“, umfasst die Büroanwendung StarOffice 7, den Webbrowser Mozilla (Version 1.4, aktuell ist 1.6) und den Personal Information Manager Ximian Evolution 1.4.5. Die Schnittstelle zum Benutzer bildet die Open-Source-Grafikoberfläche Gnome 2.2. Grundlage der Distribution ist der aktuelle Suse Linux Enterprise Server (SLES).

Bei der Installation ist bis auf das Sun-typische Design erwartungsgemäß kein Unterschied zu einer neueren Suse-Distribution zu spüren. Ein bereits vorhandenes Suse Linux Professional 8 erkannte die Installationsroutine in unseren Versuchen zuverlässig und bot an, die Software zu aktualisieren, riet aber zu einer Neuinstallation. Sicherheitshalber haben wir uns für eine Neuinstallation mit vorangehender Festplattenpartitionierung entschieden und es bei der voreingestellten Paketauswahl belassen, die alle oben genannten Komponenten umfasst.

Auf unserem 800-Euro-Testrechner (4MBO Flash MC, c't 2/04, S. 96) hing die Installation beim Hardware-Scan nach dem ersten Reboot. Der Grund dafĂĽr war das DVD/CD-RW-Kombolaufwerk mit eingebauten Lesern fĂĽr MemoryStick-, SD/MMC-, CompactFlash- und SmartMedia-Karten. Auch der Onboard-LAN-Controller mit VIA-Rhine III-Chipsatz machte Probleme, funktioniert das entsprechende Modul doch erst mit dem 2.6er-Kernel. Suns Java Desktop fuĂźt indes auf der Version 2.4.19.

Wie der Kernel sind auch die meisten Anwendungen nicht auf dem aktuellen Stand: Gnome ist in der Version 2.2 installiert, enthält aber einige Elemente des bereits vor einem halben Jahr erschienenen Gnome 2.4. Der Gnome-Dateimanager Nautilus zeigt allerdings noch die Macken der 2.2er-Version, etwa das sehr langsame Browsen in SMB-Netzen. Erfreulich frisch dagegen sind die Security-Patches, die über die Online-Aktualisierung zugänglich sind. Alle Lückenstopfer, die sich bei Suse zum SLES finden, bietet auch das Online-Update des Java Desktop an.

Wohl mit Blick auf den eher unbedarften Linux-Einsteiger hat sich Sun bei der Benennung der Anwendungen im Windows-analogen Startmenü sehr viel Mühe gegeben: Wer beispielsweise Mozilla starten will, muss auf „WebBrowser“ klicken, Ximian Evolution heißt schlicht „E-Mail und Kalender“ oder Gimp (Version 1.3.18) nüchtern „Bildbearbeitungsprogramm“. Das eigene StarOffice 7 tituliert Sun hingegen mit StarOffice 7. Schade nur, dass das Start-Menü selbst noch mit „Launch“ beschriftet ist, wo doch der Desktop ansonsten sorgfältig eingedeutscht wurde.

Java 2 ist in der Runtime-Edition 1.4.0 standardmäßig installiert, Sun liefert aber gerade mal fünf Java-Anwendungen mit. Praktisch ist das „Wörterbuch“ (jDictionary), das elf Online-Datenbanken (darunter Webster’s Revised Unabridged Dictionary, WordNet, Eric S. Raymonds Jargon-File und das CIA World Factbook 2002) nach englischen Suchbegriffen durchforstet und die Ergebnisse Bruchteile von Sekunden später auf dem Bildschirm anzeigt - wenn auch nur in reiner Textform. Als Festplattenanalyse-Programm bezeichnet Sun die Anwendung jDiskReport, mit deren Hilfe sich die Festplatte etwa nach Platzfressern und ungenutzten Dateien abgrasen lässt. Der Diagramm-Editor jGraphPad funktioniert ähnlich wie Microsoft Visio, ist allerdings bei weitem nicht so mächtig. Die damit erzeugten Flussdiagramme und Organigramme speichert er in einem proprietären Format. Exportieren lassen sich die Vektorgrafiken aber kurioserweise nur in den Bitmap-Formaten PNG, GIF und JPG. Der Export nach GXL oder Graphviz erzeugte in unseren Versuchen unsinnige Dateiinhalte, die sich nicht wieder importieren ließen. Ein Schmankerl für Entwickler ist der Text- und Quellcode-Editor jEdit, dessen Fähigkeiten sich zwischen einfachen Texteditoren wie gEdit und kompletten Entwicklungsumgebungen wie Microsoft Visual Studio einordnen lassen. Unter den Dutzenden kostenlos nachinstallierbarer Plug-ins, beispielsweise zur vereinfachten Eingabe von XML-Dokumenten oder der Versionskontrolle mit CVS, befinden sich vor allem zahlreiche Tools für Java-Programmierer. Wenig Freude machte allerdings der mitgelieferte Java-Media-Player auf unserem Testrechner mit einem 1,6-GHz-Pentium-4: Er kam mit nur wenigen MPEG-Videos zurecht und spielte diese etwas zittrig ab. DivX und Windows-Media-Videos mochte er gar nicht anzeigen.

Das angenehme Design und die Windows-ähnliche Handhabung mit Drag & Drop und der Möglichkeit, zumindest im Nautilus-Dateimanager per Mausklick auf Windows- und NFS-Freigaben zuzugreifen, dürften dem geschäftlichen Anwender ebenso zupass kommen wie die solide technische Basis des Suse Linux Enterprise Server. Die Auswahl der Anwendungen macht den Java Desktop zu einem brauchbaren Bürorechner. Und wer sich ein wenig mit Suse-Linux auskennt, wird im YaST das vertraute Konfigurationstool wiedererkennen.

Technisch modernere Distributionen lassen sich indes auch anderswo beziehen - und zwar kostenlos. Man zahlt bei Sun also in erster Linie für den Namen, den Support und das kommerziell vertriebene StarOffice, das in der Einzelplatzlizenz beim Online-Kauf schon alleine mit umgerechnet 65 Euro zu Buche schlägt.

Die Ein-Benutzer-Lizenz des Java Desktop kostet 92 Euro, ein Jahr Support inklusive. Bis zum 2. Juni 2004 ist sie noch für die Hälfte zu haben. Der Supportvertrag lässt sich für 46 Euro jährlich verlängern. Anders als es Suns US-Website erklärt, darf man das Produkt nach Angaben der deutschen Dependance auch nach Ablauf der Einjahresfrist ohne Supportvertrag weiter nutzen und online aktualisieren. (ola) (ola)