IBM baut auf Eclipse

Zweistelliges Umsatzwachstum fĂĽr Lotus Notes und Domino sowie unzufriedene Sametime-Kunden haben IBM wieder in die Spur gesetzt: nicht Migration ist das Thema, sondern ein einfaches Upgrade auf neuere Technologien. Selten hat die Entwickler- und Anwenderkonferenz Lotusphere so viel positive Stimmung erzeugt.

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Langsam zeigen sich erste Erfolge in der neuen Plattform-Strategie. Egal ob IBM das nun Notes, „Hannover“, Sametime oder Workplace Managed Client nennt, drinnen steckt immer das Client- und Entwicklungsframework Eclipse. IBM baut Eclipse-Plug-ins nur einmal und verwendet sie dann überall. Eine Buddyliste für das Instant-Messaging-System Sametime? Kann man auch in „Hannover“ verwenden, der als Notes „next“ geführten nächsten Generation der Workgroup-Software. Bereitgestellt und verteilt - oder provisioniert, wie IBM das nennt - werden diese Plug-ins vom Server. Auch hier spielt es wieder keine Rolle, ob IBM von Domino „next“, Sametime 7.5 oder Workplace Collaboration Services spricht. Stets stellt der Server fest, welche Komponenten der Benutzer hat, welche er braucht, und schickt diese dann über die Netzwerkverbindung, um die Clientsoftware auf den richtigen Stand zu bringen.

Auf der Lotusphere gab es all dies live zu bestaunen. Besonders augenfällig war dabei, dass sich IBM anscheinend erstmals ernsthaft um ein vernünftiges Design der Benutzerschnittstelle bemüht. Die neuen Programme sehen schick aus, funktionieren auf Anhieb so, wie sich der Benutzer das vorstellt und sind vom Funktionsumfang her auf der Höhe der Zeit.

Mit Workplace Collaboration Services 2.6 (WCS) bringt IBM die erste für alle Kunden verfügbare Version des Workplace Managed Client (WMC) heraus. Der Server basiert auf IBMs Websphere Portal, das wiederum auf dem Websphere Application Server aufsetzt. WCS wird pro Server-CPU lizenziert; der Benutzer arbeitet ausschließlich im Browser. Erst wenn man zusätzlich den WMC pro Benutzer lizenziert, gewinnt man eine Arbeitsumgebung, die auf den lokalen Ressourcen des PC läuft und damit eine akzeptable Arbeitsgeschwindigkeit ermöglicht. IBM liefert mit WMC die so genannten Productivity Tools aus. Dabei handelt es sich um Textverarbeitung, Tabellenkalkulation, Präsentationssoftware und Projektplanung auf der Basis von OpenOffice. Neben dem standardisierten Dateiformat OpenDocument können die Productivity Tools Dateiformate von Microsoft Office lesen und schreiben.

Während der Server auf einer Vielzahl von Betriebssystemen läuft, wird der WMC derzeit nur auf Windows 2000 und XP sowie auf Red Hat Enterprise Linux unterstützt. Eine Mac-Version ist in Arbeit. Das Produkt spricht vor allem Neukunden an, die bisher noch kein Notes und Domino haben; entsprechend aufwendig ist es an den Mann zu bringen.

Ganz anders soll das bei Sametime 7.5 sein: Die Bestandskunden grummeln vernehmlich, weil IBM diese Instant-Messaging- und Konferenzlösung sträflich vernachlässigt hat. Als Marktführer hatte man sich auf den Lorbeeren ausgeruht, allerlei Spielchen mit Umbenennung und Versionsnummern angestellt und doch immer nur den gleichen Wein in neuen Schläuchen verkauft. Bis Microsoft mit dem Live Communication Server auftauchte, die Kunden erfolgreich umwarb und IBM mächtig erschreckte.

IBM kaufte mit David Marshak einen Analysten der Patricia Seybold Group ein und übertrug ihm die Aufgabe, Sametime wieder auf Kurs zu bringen. Zur Jahresmitte wird Sametime 7.5 erscheinen, das weiter von Sametime 7.0 entfernt ist als dieses von Sametime 1.0. Der Sametime Connect Client ist komplett überarbeitet und basiert auf der Eclipse Rich Client Platform. Da er vom Server versorgt wird, kann er mit weiteren Eclipse-Plug-ins ausgebaut werden und eignet sich damit als Applikationsplattform. Im Grunde genommen handelt es sich um eine spezielle Ausprägung des WMC.

Dem Beispiel des Microsoft LCS folgend werden Sametime-Nutzer über den Server Verbindungen zu den öffentlichen Instant-Messaging-Netzen aufnehmen können. Während man diese Option bei Microsoft zusätzlich bezahlen muss, bietet IBM dies kostenlos für alle Kunden mit Maintenance-Verträgen an. Mit AOL (AIM & ICQ) sowie Yahoo hat IBM entsprechende Verträge abgeschlossen, für Google Talk gibt es eine Absichtserklärung.

Vor zwei Jahren stellte IBM im Research Lab erstmals einen so genannten Activity Explorer vor. Im vergangenen Jahr wurde er zum Bestandteil des Workplace Managed Client und nun findet man ihn ĂĽberall. Das eigentliche Produkt wird nicht nur im WMC, sondern auch in Notes sowie im Web auftauchen.

Dahinter steckt nicht weniger als eine komplette Umstrukturierung der Kommunikation. E-Mails, Chats, Dokumente, alles wird nach Aktivitäten geordnet. Erfahrungsgemäß arbeitet jeder parallel an verschiedenen Aufgaben und Projekten. Im Activity Explorer werden alle Teilaufgaben und Kommunikationen dazu zusammengezogen. Bei einem Kontextwechsel von einer zur anderen Aufgabe findet man damit alle Informationen auf einen Blick, egal über welches Medium sie kommuniziert wurden. Dabei integriert sich der Activity Explorer in den Rest der jeweiligen Umgebung, sodass man etwa Mails zur Ablage auf eine Aktivität statt auf einen Ordner zieht, oder Dokumente in der passenden Library ablegt, sie aber über die Aktivität zugänglich macht.

Aktuell gibt es Notes nur auf Windows und in einer veralteten Version auf dem Mac. Im dritten Quartal dieses Jahres wird mit Notes 7.0.2 der Mac wieder mit Windows gleichziehen, zunächst für den PowerPC, dann nativ auch für Intel-Macs. Ebenfalls mit 7.0.2 wird IBM den Notes-Client komplett auf einem USB-Speicherstick unterbringen können und damit ohne Installation auf jedem Windows-PC ausführbar machen.

Etwa im gleichen Zeitraum kann man mit den ersten Betas eines Notes-Clients auf Eclipse-Basis rechnen. Wie WMC und Sametime Connect 7.5 wird er vom Server provisioniert - wohlgemerkt vom Domino-Server. Das Administrationsmodell bleibt das von Domino. IBM will damit erreichen, dass Notes-Kunden diesen Client parallel zum nativen Client unter Windows oder Mac OS X betreiben können. Erstmals präsentiert wurde dieser Eclipse-Client als Projekt „Hannover“ anlässlich des IBM IT Lotus Technical Forums im Juni 2005 in Hannover. Nun spricht IBM von Notes „next“; auf eine Versionsnummer will man sich noch nicht festlegen.

Der Weg nach „Hannover“ ist jedenfalls mittlerweile erkennbar. Er führt über ein Notes-Plug-in für den WMC. Damit kann man bereits heute unter Windows alle bisherigen Notes-Anwendungen im WMC ausführen. Für Linux hat IBM gerade eine Betaversion herausgebracht. Mit „Hannover“ dreht IBM diese Lösung auf links. WMC mutiert zum Notes-Client, der andere Workplace-Anwendungen nicht nur ausführen, sondern auch integrieren kann. IBM demonstrierte zum Beispiel eine zusammengesetzte Anwendung mit einer Notes-Datenbank, einem Workplace-Plug-in sowie einem Portlet. Wählte man einen anderen Datensatz in der Notes-Datenbank, so zeigten Portlet und Workplace-Plug-in die passenden Informationen an. Auch der Activity Explorer wird auf diese Weise integriert.

IBM hat noch einige Anpassungen für Eclipse RCP auf dem Mac zu liefern, bevor sie WMC und Notes auf Mac OS X bringen können. Deshalb gibt es WMC aktuell nur auf Windows und Linux. Auch „Hannover“ soll zunächst auf diesen Betriebssystemen erscheinen und eine Mac-Variante im Schlepptau haben. Und ganz verabschieden wird sich IBM von den nativen Anwendungen noch nicht. Parallel zu „Hannover“ wird es weiterhin auch den vertrauten nativen Notes-Client für Windows und Mac geben.

Mit einem wieder erstarkten Notes-Geschäft und einer kohärenten Plattformstrategie sieht sich IBM gut gerüstet. Mehr als 6000 Teilnehmer auf der Lotusphere sorgten für eine optimistische Stimmung. So kündigte Lotus-Marketing Chef Surjit Chana dann zum Schluss der Veranstaltung nicht nur die nächste Lotusphere für die dritte Januarwoche 2007 an, sondern verpflichtete sich gleich auch noch für die folgenden Jahre. So zuversichtlich war IBMs Software Group schon lange nicht mehr. (jk) (jk)