Das GlanzstĂĽck

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Von
  • Gerald Himmelein


Das GlanzstĂĽck

Hochglanz war schon immer "in". Konzertflügel glänzen seit jeher edel-schwarz. Auch bei Nobelkarossen gilt: Je schicker sie Licht reflektieren, desto besser. Der iPod nano becirct seine Käuferschicht nicht zuletzt mit seiner verspiegelten Oberfläche.

Seit kurzem gibt’s das auch bei Laptops. Jahrelang hat die Journaille über die angegraute Darstellung der LC-Displays gejammert. Kein Thema mehr: Die neuen Displays überzeugen durch glänzende Schwarzwerte, sorgsam in einem verdunkelten Raum gemessen. Schick sehen sie aus, knackige Kontraste statt flauer Farben.

Wäre da nicht dieser klitzekleine, fast unbedeutende Nachteil. Eigentlich ist es ein insignifikanter Makel, ein unausweichlicher Nebeneffekt dieser Display-Bauweise. Und seit kurzem stellt er für mich auch kein Problem mehr dar. Vielleicht hat es ja auch nur mich gestört. Denn die glänzenden Displays, nun ja, wie soll ich’s sagen ... sie spiegeln wie Sau.

Mit hellem Hemd vor einem Notebook mit Hochkontrast-Display zu sitzen ist eine ganz schlechte Idee. Immerhin zeigt das Spiegelbild sofort, ob der Kragen richtig sitzt, die zeitraubenden Kontrollgänge ins Bad entfallen. Man kann sich sogar vor dem Display rasieren und dabei die Börsenkurse im Auge behalten; ich hab’s ausprobiert. Deckenbeleuchtung ist dagegen tabu. Wer ein edles Notebook haben will, muss halt Opfer bringen.

Im mobilen Einsatz hat man aber nicht immer die Kontrolle über die Lichtverhältnisse. Kurz nach dem Kauf meines neuen Notebooks habe ich im Zug eine DVD geguckt; ein Akku-Doppel reicht exakt für die "Rückkehr des Königs". Viel war vom König aber nicht zu sehen, weil die Sonne ständig reinblendete. Bei der nächsten Bahnfahrt hatte ich einen besser ausgeleuchteten Film dabei.

Innerhalb von zwei Monaten habe ich mich vom sonnenbraunen Strahlemann zum lichtscheuen Grufti gewandelt. Sind die Jalousien unten, leuchtet mein Schatz am hellsten, also musste ich mich anpassen. Es gibt ja auch keine Alternative. Zwei Wochen nach dem Erwerb des Notebooks stand ich beim Händler und fragte: "Kann man das Gerät vielleicht nachträglich entspiegeln?" Man kann nicht.

Als ich wissen wollte, wie andere Kunden mit den Spiegel-Displays klarkommen, wurde der Verkäufer verschwörerisch. Im Tunnel hinter dem Hauptbahnhof gebe es ein paar Experten, die in solchen Angelegenheiten helfen können. Und die wollen nicht mal Geld dafür.

Nach Lestat möge ich fragen, meinte der hilfreiche Händler. Kurz vor dem Tunnel hatte ich noch mit mir gehadert, ob mir mein edles Notebook das wirklich wert sei. Dann fiel mich eine dunkelhaarige Type mit sehr spitzen Zähnen an, meine Skrupel kamen zu spät. Jetzt sitze ich im abgedunkelten Büro und warte auf den Sonnenuntergang, um nach Hause zu gehen. Aber ich will nicht über meinen neuen Zustand klagen: Da mich das Display nicht mehr spiegelt, habe ich in der Garderobe wieder freie Auswahl. (ghi)