Abgekocht

Ob Bockwurst, Schnitzel, Kapern oder Brötchen: Marion Knieper serviert in ihrem Online-Kochbuch bebilderte Rezepte auch von den profansten Speisen. Wer eines der Fotos kopiert, muss mit einer kostenpflichtigen Abmahnung und saftigen Nachlizenzierungsgebühren rechnen. In der Blogosphäre brodelt es, zumal einzelne User behaupten, dass sich die Kniepers selbst gerne bei anderen bedienen.

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Von
  • Holger Bleich
Inhaltsverzeichnis

Addi Thoennissen bietet auf seiner Webseite Koh-Phangan.de das thailändische Ferienhaus seines Schwagers zur Miete an. Neben einigen Länderinfos veröffentlicht er auch thailändische Rezepte. Die Anleitung zur Zubereitung einer Chilisoße illustrierte er mit einem nach seinen Angaben selbst geschossenen Foto.

Ende 2006 erhielt der Thailand-Fan Post von der Hamburger Anwaltskanzlei Rotermund: Die Urheberrechte an dem Chilisoße-Foto habe ihr Mandant Folkert Knieper inne. Thoennissen möge es unterlassen, die Abbildung weiter zu veröffentlichen. Außerdem halte man es für angemessen, dass er dem Rechteinhaber nachträglich 520 Euro für die Bildnutzung bezahle. Inklusive Abmahngebühr sollte Thoennissen knapp 1000 Euro überweisen. Der Hobby-Webmaster weigerte sich. Die Auseinandersetzung ging vor Gericht und ist bis heute nicht entschieden.

Thoennissens Fall ist einer von Hunderten. Das Ehepaar Marion und Folkert Knieper aus Wahrenholz betreibt die Rezeptsammlung Marions-Kochbuch.de seit sieben Jahren. Mittlerweile sind rund 2800 Kochrezepte online, jeweils illustriert mit einem Foto, das angeblich stets Folkert Knieper selbst gefertigt hat. Seit Mitte 2006 überzieht das Paar die Web-Gemeinde mit teuren Anwaltsschreiben wegen angeblicher Urheberrechtsverstöße.

Offenbar ist noch lange nicht allen Website-Betreibern klar, dass sie sich vor der Übernahme fremden Bildmaterials beim Rechteinhaber eine Erlaubnis einholen müssen. Im Fall von Marions-Kochbuch prallt zusätzlich der gesunde Menschenverstand auf harte juristische Fakten: Wieso, so fragt sich mancher, kann beispielsweise ein wohl in Sekunden geknipstes Foto eines profanen Brötchens tatsächlich so weit urheberrechtlich geschützt sein, dass es einen Streitwert von 6000 Euro auslöst? Vielen erschließt sich das nicht allein aus dem subjektiven Rechtsempfinden, sie sind sich keines Vergehens bewusst. Doch Paragraf 72 des Urheberrechtsgesetzes stellt quasi blanko jedes Lichtbild unter Schutz - anders als bei Texten unabhängig von der Schöpfungshöhe.

Formaljuristisch dürfte also an den Abmahnungen der Kniepers kaum etwas zu beanstanden sein. Erst die Begleitumstände lassen aufhorchen. Hobbyfotograf Knieper investiert nach eigenen Angaben viel Arbeit in die Bilder. Mittlerweile bestreite das Paar seinen Lebensunterhalt mit Werbeeinnahmen aus Marions-Kochbuch.de. Doch obwohl die exklusive Nutzung seiner Fotos demnach existenziell wichtig ist, weisen die Bilderseiten selbst keinerlei Copyright-Vermerke aus, die Besucher vom Kopieren abschrecken würden. Auch auf praktikable und anderswo eingesetzte technische Kopier-Barrieren verzichtet Webmaster Knieper gänzlich.

Kochstunde in der c't-Redaktion: In zwei Minuten erstellen und fotografieren wir unsere Eigenkreation im Stile von Marions Kochbuch.

Dafür nutzt er offenbar virtuos die Möglichkeiten der Suchmaschinenoptimierung, um seine Seiten prominent in den Ergebnislisten von Google und Co. zu platzieren. So entstanden im Laufe der Jahre Hunderte von Verweisen auf seine Seiten - ein für das Ranking wichtiger Faktor, weil Suchmaschinen stark verlinkte Sites bevorzugen. Insofern war sogar die negative Berichterstattung in verschiedenen Blogs auch nicht von Nachteil, im Gegenteil: Knieper hat sich in diversen Blog-Kommentaren sogar ausdrücklich für die kostenlose Werbung bedankt.

Wer nun in der Google-Bildersuche nach Lebensmittelabbildungen sucht, kommt (oft unbemerkt) an Marions-Kochbuch kaum noch vorbei. Ob Brötchen oder Bockwurst: Stets findet sich derzeit unter den Top-3-Suchergebnissen das Thumbnail eines Knieper-Fotos. Selbst eine Übernahme des Google-Previews auf die eigene Website birgt bereits die Gefahr, eine Abmahnung von Knieper zu kassieren. Auch die Kochrezepte selbst finden sich weit vorne im deutschsprachigen Google-Index.

Während die Kniepers beim Bildmaterial hohen Respekt vor der schöpferischen Eigenleistung fordern, nehmen sie es damit bei ihrer Rezeptdatenbank selbst nicht so genau: Als das Projekt noch unkommerziell war, ließ Marion für einen Unkostenbeitrag von drei Euro pro Monat Nutzer in ihrem Forum Kochrezepte austauschen. Im September 2004 schloss sie das Forum plötzlich. Viele dort vorhandene Nutzerrezepte übernahm sie leicht verändert in das Web-Kochbuch. Eine Userin, die damals eifrige Rezepttauscherin war, erklärte gegenüber c't, dass sie niemals um das Einverständnis für die Übernahme ihrer Kochanleitungen in Marions-Kochbuch.de gebeten worden sei.

Dies war wohl juristisch betrachtet auch nicht nötig. In ihrer Copyright-Belehrung erklären die Kniepers selbst korrekt: „Ein Rezept an sich ist in den meisten Fällen nicht urheberrechtlich geschützt“. Die ehemalige Forennutzerin fühlt sich dennoch ausgenutzt: „Wir waren mit viel Idealismus und dem Gedanken, unsere Ideen zu teilen, bei der Sache. Nun zu sehen, wie sich das Projekt entwickelt hat und wie unsere Rezepte wohl dazu dienen, Kniepers Bilder bei Google nach vorne zu bringen, tut schon weh.“

Gegenüber c't widerspricht Folkert Knieper der Darstellung nicht, wohl aber dem Vorwurf des Rezepteklaus: „Die Rezepte in Marions Kochbuch sind ohne Ausnahme alle von Marion selbst gekocht worden und die Gerichte wurden anschließend von Folkert fotografiert. Alle Rezepte wurden von Marion mit eigenen Worten beschrieben. Unserer Auffassung nach ist das Know-how, wie ein Rezept zubereitet wird, urheberrechtlich nicht geschützt.“

Schützenswerte Texte bieten die Kniepers dafür ihrer Meinung nach in ihrem Glossar koch-index.de: Alle Texte seien „urheberrechtlich geschützt und dürfen ohne Genehmigung und Quellenangabe nicht veröffentlicht werden.“ Dies beziehe sich „hauptsächlich auf andere Webseiten, die zu bequem sind, selber einen Text zu formulieren und sich stattdessen die Texte lieber im Internet zusammenkopieren“.

Hehre Worte, dachte sich Timmo Strohm, Webdesigner und Hobbykoch aus Ravensburg. Ihm kamen allerdings einige Glossartexte aus dem Koch-Index bekannt vor, und so machte er sich im Web auf die Suche nach Quellen. Strohm glaubt mittlerweile, dass die Kniepers zumindest Teile ihres Glossars von anderen Webseiten übernommen und leicht abgewandelt unter eigenem Namen veröffentlicht haben. Er lieferte c't eine Menge Beispiele, die seine These stützen.

Verblüffende Ähnlichkeit: Oben der Kochindex-Eintrag zum Thema „Abbrennen“, unten der Ausschnitt aus dem Lebensmittellexikon-Glossar.


In 18 Fällen etwa weisen Einträge von koch-index.de auffällige Ähnlichkeiten mit ihren Pendants im etablierten Online-Nachschlagewerk Lebensmittellexikon.de auf. Hier und da scheinen Satzreihenfolgen vertauscht und Wörter ersetzt oder gestrichen worden zu sein - die Formulierungen aber gleichen sich. In fünf Fällen fand Strohm starke Ähnlichkeiten zu Wikipedia-Einträgen.

Darauf angesprochen, wiegelte Folkert Knieper ab: „Wir können Ihre Behauptung nicht nachvollziehen, weil wir bei der stichprobenartigen Prüfung aller 26 Index-Seiten A-Z nicht einen einzigen Hinweis auf lebensmittellexikon.de gefunden haben.“ Er kenne Frank Massholder, den Betreiber von Lebensmittellexikon.de, persönlich und man könne sicher sein, „dass wir uns gegenseitig keine Artikel klauen.“ Massholder selbst gab gegenüber c't an, alle seine Texte selbst geschrieben zu haben. Nach einem Blick auf die Fundstellen im Kochindex von Marion spekulierte er: „Anscheinend sind die Texte nach dem Schema ‚Kopieren, Umschreiben und Verkürzen‘ erstellt worden.”

Webmasterin Brigitte Winkler betreibt ihr Online-Kochbuch koch-abc.de als Hobby. Auch sie wurde von Knieper abgemahnt, wegen der angeblich widerrechtlichen Verwendung des Fotos von einem Wiener Schnitzel. Sie habe aber das Foto von einem befreundeten Webdesigner, versicherte Winkler.

Dieser wiederum gab gegenüber c't an, er habe das Bild mit urheberrechtsfreiem Rohmaterial „mit Photoshop erstellt, im Rahmen einer Schulausbildung zum Multi-Media-Producer im Jahre 2003. Damals hatte die komplette Schulklasse ihre Arbeiten im Internet ausgestellt, und von dort muss sie Herr Knieper kopiert und auf seinen eigenen Seiten eingestellt haben. Im Jahr 2005 habe ich diese Grafik und die Rechte daran an Frau Winkler verschenkt.“

Knieper behauptet nach wie vor, das Foto selbst gefertigt zu haben. In einem Interview mit dem Online-Magazin Upload gab er jüngst an, in jedem Fall Richtern „das Original in hoher Auflösung“ vorlegen zu können. Dass dies unwahr ist, zeigte sich beim Prozess gegen Brigitte Winkler vor der Urheberrechtskammer des Landgerichts Hamburg.

Doch obwohl Knieper nicht in der Lage war, das unbearbeitete Originalfoto vorzulegen, bekam er gegen Winkler in erster Instanz recht. Den Ausschlag gab ausgerechnet die Zeugenaussage von Gattin Marion, sie könne sich erinnern, dass Knieper an einem nicht mehr bekannten Zeitpunkt das Foto geschossen habe. Diese Aussage hielt die Kammer für „schlüssig, nachvollziehbar und glaubhaft“. Brigitte Winkler hat gegen das Urteil Berufung eingelegt, eine Entscheidung steht noch aus.

Die als Urherberrechtsinhaber-freundlich bekannten Hamburger Gerichte scheinen bevorzugte Klageorte der Kniepers zu sein. Weil etwa der Blog-Betreiber Marius Kiesgen die Nachlizenzierungsgebühren wegen der angeblich widerrechtlichen Nutzung eines Rinderbratenfotos nicht zahlen wollte, reichte Knieper Klage am dortigen Amtsgericht ein. Dieses wollte den Fall aber zum Unmut Kniepers an das Amtsgericht Frankfurt überweisen - dem Wohnort Kiesgens. Erst nach einigen vorprozessualen Scharmützeln landete die Sache schließlich beim Landgericht Hamburg und endete im Mai mit einem Vergleich.

Folkert Knieper sieht sich als Opfer der Internet-Piraterie: „Wir kommen gegen die Flut nicht mehr an. Ich wünschte, es wären weniger Fälle. Für uns ist es nach wie vor unverständlich, dass unsere Rechte massenhaft verletzt werden“, erklärte er gegenüber c't. Seltsam erscheint allerdings, dass Knieper offenbar kurz vor der Abmahnwelle alle Copyright-Belehrungen auf den Rezeptseiten entfernt hat. Die Hinweise seien überflüssig gewesen, meinte er.

Rechtsanwalt Sascha Kremer aus Mönchengladbach vertritt einige Abgemahnte. Er hält es zwar für legitim, dass Knieper sich zur Wehr setzt, stellt aber die Wahl der Mittel in Frage: „Rechtsmissbräuchlich ist es, wenn Ziel der Abmahnungen nicht die Verhinderung von Urheberrechtsverletzungen ist, sondern die Durchsetzung überhöhter Lizenzgebühren, die sich im Markt nicht ansatzweise realisieren ließen.“ Hinzu komme, „dass bei derartigen inhaltsgleichen ‚Serienbriefen’ ähnlich wie einer Abmahnung durch die Wettbewerbszentralen für das anwaltliche Tätigwerden allenfalls eine geringe Pauschale angemessen ist, jedoch keinesfalls die volle Gebühr nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz. Solche Anwaltskosten sind hier schlicht nicht erforderlich.“

Für die abgemahnten Webmaster bleibt zunächst die Erkenntnis, dass sie sich künftig der Rechte an fremden Inhalten versichern müssen, bevor sie diese selbst verwenden. Ob für das Erlernen solcher Binsenweisheiten unbedingt ein Lehrgeld von 1000 Euro oder mehr erforderlich ist, darüber diskutiert der Gesetzgeber derzeit. Solange sich Abmahngebühren aus dem fiktiven Gegenstandswert einer Rechtsverletzung ableiten, dürften derlei Fälle an der Tagesordnung bleiben.

Es gibt im Web unzählige erstklassige Alternativen zu Marions Kochbuch. cuisine.at zum Beispiel verzeichnet mehr als 200 000 Rezepte. Das Online-Kochbuch präsentiert Rezepte schmucklos ohne Bilder, dafür aber unter anderem im Mealmaster-Format, das sich einfach in andere Anwendungen importieren lässt.

Wer Bilder sucht, um seine Rezepte aufzupeppen, wird häufig bei flickr oder bei Stock Exchange fündig - auf beiden Sites findet man frei verwendbare Bilder zu etlichen Schlagworten. Da aber nicht alle die auf den beiden Plattformen verfügbaren Bilder beliebig verwendet werden dürfen, ist ein Blick in die Lizenzbedingungen vor der Verwendung Pflicht. (hob)