Quad-Core-Fragen

Obwohl bisher nur wenige bezahlbare x86-Prozessoren mit vier Kernen lieferbar sind, offerieren viele PC-Händler Quad-Core-Rechner. Wer braucht diese Systeme - und wer kauft besser einen Doppelkern?

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Inhaltsverzeichnis

Wer aktuelle Prospekte von PC-Händlern und Elektronik-Discountern studiert, stößt auf viele Desktop-Rechner mit Quad-Core-Prozessoren. Insbesondere Intels Core 2 Quad Q6600 scheint eine unverzichtbare Ingredienz von Gaming-Rechnern der Preisklasse ab etwa 700 Euro zu sein. Auch der AMD Phenom taucht bereits in Offerten dieser Art auf. Als PC-Kaufinteressent könnte man also auf die Idee kommen, dass Quad-Core-Prozessoren zurzeit das Maximum an Rechenleistung liefern und längst in großer Auswahl bereitstehen. Letzteres stimmt bisher nicht und ersteres gilt nur für ausgewählte Software - nämlich solche, die tatsächlich mehrere CPU-Kerne gleichzeitig auslasten kann.

An Multi-Core-tauglichen Programmen arbeiten zurzeit viele Firmen - weil klar ist, dass kommende Prozessorgenerationen nicht mehr so sehr (wie früher üblich) auf steigende Taktfrequenzen hin entwickelt werden, sondern auf einen höheren Grad an Parallelisierung. Dabei geht es nicht ausschließlich um eine größere Zahl gleichartiger CPU-Kerne pro physischer CPU, sondern auch um mehrere gleichzeitig nutzbare Rechenwerke pro CPU-Kern. Zudem könnten Coprozessoren eine Renaissance erleben, also im Desktop-PC-Bereich etwa Grafikchips nicht mehr nur zur Verarbeitung von 2D- und 3D-Bilddaten oder Videomaterial dienen, sondern auch als Beschleuniger für bestimmte Rechenaufgaben. In Ansätzen kommt dieses Konzept einer General Purpose Graphics Processing Unit (GPGPU) bereits zum Einsatz, etwa bei der Folding@Home-Version für ATI-Grafikkarten. Coprozessoren könnten auch in Form von Multi-Core-CPUs erscheinen, bei denen mehrere herkömmliche x86- beziehungsweise eher x64-Kerne zusammen mit einem Spezialprozessor auf einem Chip sitzen.

Während solche technischen Ideen wohl vor dem Einsatz im Desktop-PC-Massenmarkt noch einige Jahre reifen müssen, sind Dual- und Quad-Core-Rechner bereits seit langem im Einsatz - etwa als Server und Workstations, aber beispielsweise auch schon seit mehr als sieben Jahren in den Macs von Apple. Seit 2005 liefern AMD und Intel Dual-Core-Prozessoren für Desktop-Rechner und Notebooks, Intels Quad ist nun auch schon ein Jahr alt. Im nächsten Jahr werden Intels erste Achtkern-CPUs erwartet.

Auch wenn bisher erst wenige Desktop-PC-Applikationen mehr als einen CPU-Kern ausreizen, so ist doch zu erwarten, dass künftige Anwendungsgenerationen die Hardware besser nutzen. Ist also jetzt die Zeit reif für einen PC mit Quad-Core-CPU? Oder ist es nicht doch günstiger, statt einem Quad-Core-Prozessor einen höher getakteten Doppelkern zu kaufen?

Auf den folgenden Seiten stellen wir aktuelle Quad-Core-Prozessoren für Desktop-Rechner vor - aus aktuellem Anlass: Mit dem Phenom 9000 (siehe Artikel auf Seite 80 in c't 02/08) hat die Firma AMD endlich ihren Konkurrenten für Intels Core 2 Quad auf den Weg gebracht. Das lässt auf weiter fallende Preise hoffen, außerdem wächst die Auswahl - auch wenn AMD zunächst lediglich zwei Quad-Core-Versionen (Phenom 9500 und 9600) liefert und schnellere Varianten erst in den nächsten Monaten folgen sollen. Gleichzeitig hat AMD aber auch neue Chipsätze für Mainboards vorgestellt, von denen wir einige ab Seite 84 beschreiben. Die neuen Boards und Prozessoren (sowie die Radeon-HD-3800-Grafikchips, [1]) bilden die Plattform namens Spider, die AMD für Mittelkasse- und High-End-Rechner jetzt empfiehlt.

Dual-Core-Prozessoren haben sich mittlerweile aus gutem Grund im Desktop-PC-Markt und bei Notebooks durchgesetzt: Im Vergleich zu einem Einzelkernprozessor, wie er heute nur noch in Billigrechnern steckt, steigert der zweite Rechenkern in vielen Situationen die gefühlte Geschwindigkeit des Computers. Das ist leicht verständlich: Falls eine Anwendung einen Kern voll auslastet, haben Dual-Core-Maschinen immer noch Reserven. Schon die von Intel vor mittlerweile fünf Jahren mit dem Pentium 4 3,06 GHz eingeführte Hyper-Threading-Technik brachte diesen Vorteil, wenn auch im Vergleich zu echten Doppelkernen in viel schwächerer Form. Heute ist aber auch die PC-Infrastruktur weiter: Per Native Command Queuing (NCQ) sortieren SATA-II-Festplatten die Reihenfolge eintreffender Zugriffsbefehle um, um konkurrierende Datenanforderungen von zwei oder mehr Prozessen schneller zu bedienen. Statt dem PCI-Bus, auf den jeweils nur ein Busmaster-Gerät Zugriff hat, kommt heute PCI Express zum Einsatz, wo mehrere Datentransfers (etwa auf das Netzwerk und die Festplatte) parallel ablaufen können. Solche technischen Neuerungen (es gibt noch weitere) helfen dabei, dass sich zwei gleichzeitig laufende Anwendungen seltener in die Quere kommen, sodass Dual-Core-Systeme spürbar schneller reagieren als ein PC mit Einzelkern-CPU - selbst wenn jede Applikation bloß einen Rechenkern nutzen kann.

An dieser Stelle lässt sich auch erklären, weshalb die Multi-Core-Technik bei Servern schon seit Jahren zum Standard gehört: Hier laufen typischerweise viele Threads gleichzeitig, mittlerweile sogar oft in voneinander abgeschotteten virtuellen Maschinen. Ob nun die einzelnen Server-Applikationen für Multi-Core-Systeme optimiert sind oder nicht, spielt dabei keine so große Rolle, weil eben viele davon parallel Rechenleistung abfordern. Genau dieser Fall ist auf Desktop-Rechnern eher selten - zwar halten immer mehr Anwender viele Anwendungen geöffnet (Office-Paket, Browser, E-Mail-Client, Virenscanner, MP3-Decoder), doch davon brauchen nur wenige gleichzeitig und über einen längeren Zeitraum viel CPU-Rechenleistung.

Unmittelbar von mehreren Prozessorkernen profitieren erst Multi-Thread-Prozesse, die ihre Rechenlast auf mehrere parallel laufende Ausführungs-„Fäden“ (Threads) verteilen. Während technische und wissenschaftliche (Workstation-)Programmpakete die Multi-Threading-Technik seit Jahren nutzen, kommt sie bei „gewöhnlicher“ Anwendungssoftware immer noch eher selten zum Einsatz. Das ändert sich auch nur langsam, obwohl AMD und Intel dafür schon lange werben und Entwicklern auch viele Werkzeuge anbieten [2, 3, 4]. Multi-Threading kann das Programmieren sehr viel komplizierter machen, weil zahlreiche neue, oft sehr schwer aufzuspürende und für viele Code-Entwickler ungewohnte Fehlerquellen hinzukommen. Und Multi-Threading beschleunigt auch nicht jede beliebige Rechenaufgabe, weil manche Problemstellungen auf sequenzielle Verarbeitung angewiesen sind.

Wegen des Mangels an Multi-Thread-Applikationen für Desktop-Rechner bringen Quad-Core-Prozessoren hier oft nur enttäuschend wenig Mehrleistung - wenn überhaupt: Für den Preis der bezahlbaren Quad-Cores bekommt man nämlich zurzeit einen Doppelkern mit deutlich höherer Taktfrequenz, der Single-Thread-Applikationen schneller verarbeitet. Zwar gibt es auch Quad-Cores in den höchsten Taktfrequenzstufen, doch diese sind sehr teuer (Core 2 Extreme) und schlucken viel Strom, weshalb sie wiederum kräftige (und potenziell lautere) Kühler brauchen [5].

Wer keine Multi-Threading-Programme nutzt, profitiert von Quad-Core-Prozessoren nicht. Im Vergleich zu einem Doppelkern steigert ein Vierkern auch die PC-Reaktionsgeschwindigkeit nicht im gleichen Maße, wie man es beim Umstieg vom Einzel- auf den Doppelkernprozessor spürt: Nur wenige Programme lasten zwei Kerne voll aus, sodass ein dritter oder vierter noch deutliche Mehrleistung liefern könnte. Selbst wenn ein solcher Fall vorliegt, dürfte häufig die begrenzte Datentransferleistung einer anderen PC-Komponente - etwa der Festplatte - als Flaschenhals wirken.

Schließlich schrumpft in vielen Fällen auch der sogenannte Skalierungseffekt mit der Zahl der Prozessorkerne. Beim Rendering-Programm Cinema4D etwa leisten zwei Core-2-Kerne ungefähr das 1,9-fache eines einzelnen, ein Quad aber lediglich das 3,5-fache. Hier wird übrigens der von AMD so oft herausgestellte Vorteil der „echten“ Vierkerne deutlich: Die Phenom-Kerne kooperieren in diesem Benchmark tatsächlich besser, sein Skalierungsfaktor beträgt fast 3,9. Wegen der pro Kern niedrigeren Performance der bisher lieferbaren Phenoms bei diesem Programm ist aber der Core 2 Quad Q6600 trotzdem schneller ...

Es soll nun nicht der Eindruck entstehen, es gebe keine sinnvollen Einsatzszenarien für Quad-Core-Prozessoren in Desktop-Rechnern - ganz im Gegenteil: Viele besonders leistungshungrige Programme reizen die Multi-Core-Technik aus. Das trifft auf viele typische Workstation-Anwendungen für CAD und Simulation zu, aber auch auf HD-Video-Decoder und Compiler (Linux make). Auch im Bereich der sogenannten Digital Content Creation gehört Multi-Threading seit Jahren zum guten Ton, etwa bei teuren Rendering-Paketen für 3D-Welten (Autodesk Maya und 3ds Max, Blender, Maxon Cinema4D, NewTek Light Wave, Softimage XSI), professioneller Audio-Software (wie Steinberg Cubase und Nuendo), Videoschnittprogrammen (wie Adobe Premiere Pro CS3) oder Bildbearbeitungssoftware (etwa Adobe Photoshop CS3). Doch längst nicht alle Funktionen solcher Applikationen laufen auf mehreren Prozessorkernen; bei den erwähnten 3D-Programmen ist oft nur die Rendering-Funktion betroffen, nicht aber die Darstellung der Modelle am PC-Bildschirm. Auch einige Videoschnitt-Programme nutzen erst beim Transkodieren des Films mehr als einen Kern, aber nicht für die Berechnung der Timeline-Ansicht. Auch einige Plug-ins, Codecs oder Bearbeitungsfilter verstopfen den Multi-Core-Turbolader. Tendenziell scheinen billigere Multimedia-Applikationen häufiger lediglich einen Kern zu nutzen - jedenfalls wird das Thema in den Foren der Software-Hersteller oft diskutiert. Hier kann man sich auch über die Erfahrungen anderer Anwender informieren.

Gutes Multi-Threading bringen oft erst neue Programmversionen - und einige Softwarefirmen nutzen das als Verkaufsargument für ihre Neuheiten. Im Klartext: Hat man noch eine ältere Programmversion, muss man zunächst ein Upgrade kaufen, um seinen Quad-Core-Prozessor wirklich auszureizen. Wer bereits ein Dual-Core-System hat und über eine CPU-Aufrüstung nachdenkt, kann mit dem Task-Manager von Windows kontrollieren, ob seine vorhandene Software tatsächlich mehr als nur einen Prozessorkern nutzt. Dazu muss man zunächst verstehen, wie Windows die CPU-Last verteilt und die Auslastung anzeigt.

Den vollständigen Artikel finden Sie in c't 2/2008.

[1] Manfred Bertuch, Geschrumpft und geliftet, AMD präsentiert die Grafikchips Radeon HD 3870 und HD 3850, c't 25/07, S. 24

[2] Oliver Lau, Amdahl, Moore und Gustafson, Grundlagen der Programmierung paralleler Systeme, c't 15/06, S. 214

[3] Andreas Stiller, Hokuspokus, Automatische Parallelisierung mit dem Intel-Compiler, c't 15/06, S. 216

[4] Oliver Lau, Abrakadabra, Programme parallelisieren mit OpenMP, c't 15/06, S. 218

[5] Christian Hirsch, Stille Giganten, Leise Kühler für aktuelle Prozessoren, c't 24/07, S. 178

[6] Andreas Stiller, Doppeltes Ottchen, Was Dual-Core-Prozessoren auf dem Desktop bringen, c't 15/05, S. 92

[7] AMD-Prozessordaten: www.amdcompare.com

[8] Intel-Prozessordaten: processorfinder.intel.com

"Quad-Core-Offensive"
Artikel zum Thema "Quad-Core-Offensive" finden Sie in der c't 2/2008:
Das bringen Vierkern-Prozessoren im PC S. 74
AMDs Vierkern-CPU Phenom im Detail S. 80
Mainboards mit Sockel AM2+ für den Phenom S. 84

(ciw)