Dunkle Wolken
Die weltweit rund 13 000 Beschäftigten von Qimonda, der ehemaligen Infineon-Sparte für Speicherchips, zittern: Wenn nicht sehr bald frisches Geld fließt oder ein Käufer auftaucht, droht die Insolvenz.
So dramatisch hatte man sich bei Infineon die Geschäftsentwicklung wohl nicht vorgestellt, als man 2006 die Speicherchip-Sparte in ein eigenständiges Unternehmen namens Qimonda ausgliederte: Zwar wurde das stark zyklische Geschäft mit DRAMs, also Speicherchips für PCs, Server, Grafikkarten oder Handys, als hohes Risiko für Infineon eingeschätzt – genau deshalb wollte man den Geschäftsbereich ja loswerden. Doch 2006 stand Windows Vista noch vor der Tür, damals erregten sich die Gemüter über den „enormen“ Hauptspeicherbedarf des Microsoft-Betriebssystems von mindestens 1 GByte. Dafür zahlte man rund 90 Euro, mittlerweile verschleudert die Qimonda-Marke Aeneon das Gigabyte für ein Zehntel. Wegen enormer Überkapazitäten sind die DRAM-Preise in den letzten beiden Jahren mit zuvor unvorstellbarer Geschwindigkeit in den Keller gerast, gleichzeitig zog die Finanzkrise auf. Die Kombination dieser beiden Unwetterfronten brachte Qimonda in existenzbedrohende Turbulenzen; der Qimonda-Betriebsrat warnt vor dem drohenden Aus. Der 2006 an der New Yorker Börse mit 13 US-Dollar gestartete Aktienkurs lag zeitweilig unter 10 US-Cent.
Schweinezyklus
Qimonda geht schlichtweg das Geld aus; in den ersten drei Quartalen dieses Jahres häuften sich fast 1,5 Milliarden Euro Verluste an, nach knapp 250 Millionen Euro Miesen im Geschäftsjahr 2007. Ein Chiphersteller, der wie Qimonda Produkte für einen von extremer Konkurrenz geprägten Hochvolumenmarkt produziert, muss aber kontinuierlich investieren, sonst verliert er den Anschluss bei der Fertigungstechnik. Besonders DRAM-Hersteller brauchen starke Finanzpolster, weil der Speicherchipmarkt dem sogenannten Schweinezyklus folgt: In Perioden hoher Nachfrage steigen die Preise, doch der Aufbau von zusätzlichen Fertigungskapazitäten braucht Zeit. Steigt schließlich der Produktausstoß an, ist das typischerweise bei allen Marktteilnehmern der Fall – es stellen sich Überkapazitäten ein, die wiederum zu einem schnellen Preisverfall führen.
Im DRAM-Geschäft kommen verschärfende Faktoren hinzu: Eine neue Chipfabrik – auch Fab genannt – kostet Milliarden, arbeitet mit sehr hohen Fixkosten und ist deshalb erst bei optimaler Auslastung wirtschaftlich. Die Wafer laufen mehrere Wochen lang durch die Fab, weshalb der Hersteller nicht kurzfristig auf wechselnde Marktbedingungen reagieren kann. Überdies veralten die Chips rasch und sind leicht gegen Konkurrenzprodukte austauschbar. DRAM-Hersteller sind deshalb gezwungen, in schlechten Zeiten unterhalb ihrer Fertigungskosten zu verkaufen.
Mit einigen typischen Strategien versuchen sie dabei, die Auswirkungen von Überkapazitätsphasen zu mildern: Bei ausreichenden Geldreserven kann man den Konkurrenten Marktanteile abluchsen und seine Position verbessern. Üblich ist auch ein beschleunigter Wechsel auf profitablere Fertigungstechnik (größere Wafer, kleinere Strukturbreiten). Außerdem kann man auf verwandte Produkte ausweichen, etwa auf Spezialchips für Mobilgeräte, Spielkonsolen oder Grafikkarten sowie auf NAND-Flash-Speicher – doch auch dieser Markt ist mittlerweile verstopft, die Preise brechen ein.
Qimonda hat bisher bei Flash kein Bein auf den Boden bekommen. Die Expansionsstrategie des ersten Infineon-CEO Ulrich Schumacher, der die DRAM-Fertigungskapazität über Joint Ventures mit taiwanischen Partnern steigerte, ist gescheitert. Qimonda hat den Inotera-Anteil an Micron abgestoßen, alle zugekauften Fertigungskapazitäten bei Infineon, SMIC und Winbond gekündigt und wird die 200-mm-Fertigung im US-Werk bei Richmond/Virginia stoppen.
Schon der Qimonda-Börsenstart stand unter keinem guten Stern, denn er brachte eine halbe Milliarde US-Dollar weniger in die Kasse als geplant. Immerhin verliefen die ersten drei eigenständigen Qimonda-Geschäftsquartale positiv. Die seit Mitte 2007 negativen Qimonda-Ergebnisse belasten aber nun auch die Mehrheitseignerin Infineon, die ihren 77,5-Prozent-Anteil einfach nicht los wird. In Dresden beschäftigt Qimonda rund 3200 Mitarbeiter, davon 200 Leiharbeiter. Hier sollen bis Mitte 2009 rund 950 Stellen wegfallen, aber nicht bei der eigentlichen Wafer-Verarbeitung (Front-End), sondern im Back-End, womit das Testen und Vereinzeln der Chips, ihre Verpackung in Gehäuse und die Fertigung von kompletten Speichermodulen gemeint sind. Qimonda hat weitere Back-End-Werke in Malaysia, Portugal und China.
Strategiewechsel
Für die Gesundschrumpfung von Qimonda gibt es eine Untergrenze, denn ohne eine gewisse Fertigungs- und Entwicklungskapazität gibt es keine Zukunft. Qimonda fertigt jetzt noch in Dresden und Richmond auf 300-mm-Anlagen; der Aufbau einer Fab in Singapur liegt auf Eis.
Der 1954 in Malaysia geborene und seit 1978 für Siemens tätige Qimonda-CEO Kin Wah Loh will nun die Produktpalette fokussieren – weg vom Preiskampf-Geschäft mit PC-Hauptspeichermodulen hin zu RAM für Grafikkarten und „Infrastrukturprodukte“. Gemeint sind wohl Server und Spezialrechner.
Überraschend wechselte Qimonda im Frühjahr 2008 die eigene DRAM-Technik: Bisher fertigte man die in den 1990er-Jahren mit IBM entwickelten Trench-Zellen. Jetzt laufen die ersten Chips mit „Buried-Wordline“-Technik aus der 65-nm-Serienproduktion. Dabei kooperiert Qimonda mit dem Konkurrenten Elpida. Qimonda hofft offenbar, mit besonders kleinen DRAM-Chips und sehr schlanker Fertigung die Kostenstruktur im Vergleich zur Konkurrenz zu verbessern. Gleichzeitig zielt man auf profitablere und stabilere Marktsegmente. Ob diese Strategie funktionieren kann, lässt sich kaum beurteilen. Unklar ist etwa, ob diese Märkte auf Dauer genügend Geld für Entwicklung und Fertigungsanlagen einbringen.
Zurzeit verhandelt Qimonda mit der sächsischen Landesregierung um Finanzhilfen; das Werk Dresden alleine ist im DRAM-Markt aber wohl nicht konkurrenzfähig, und deutsche Steuergelder dürften kaum in die USA oder nach Asien fließen. Infineon-Chef Peter Bauer hat angedeutet, mit potenziellen Qimonda-Käufern zu verhandeln, verrät aber keine weiteren Details. Die als Interessenten gehandelten Firmen Micron und Elpida haben eigene Probleme. Seit der Kooperation zwischen Qimonda und Elpida ist überdies unklar, wie man die Know-how- und Patent-Portfolios mit einem anderen DRAM-Partner unter einen Hut bekommen könnte. Es fällt schwer, eine Perspektive für die ehemalige Siemens-Speicherchip-Sparte zu erkennen.
Qimonda-Chronik
1999: Siemens Halbleiter wird als Infineon abgespalten, CEO: Ulrich Schumacher, seit 1986 bei Siemens; Infineon kooperiert mit IBM im Joint Venture Altis Semiconductor und beim 1-GBit-Chip.
2000: Infineon geht an die Börse und startet MRAM-Entwicklung mit IBM.
2001: Infineon produziert in Dresden auf 300-mm-Wafern; GrĂĽndung des Flash-Joint-Ventures Ingentix mit Saifun.
2001/2002: Abschwung auf dem DRAM-Markt.
2002: Infineon-CEO Schumacher droht wegen hoher Steuern und Abgaben mit Verlagerung des Konzerns ins Ausland.
2002: Infineon reserviert Fertigungskapazitäten bei SMIC und Winbond und beschließt ein Joint Venture mit Nanya Technologies (Inotera Memories).
2004: CEO Schumacher muss gehen, Nachfolger wird Wolfgang Ziebart, zuletzt stellvertretender Vorstandsvorsitzender von Continental, zuvor bei BMW und Kontron.
2004: Die Antitrust-Abteilung des US-Justizministeriums verhängt Geld- und Haftstrafen gegen Infineon, Hynix und Samsung wegen illegaler Preisabsprachen in den Jahren 1999 und 2000.
2004: In Souzhou/China nimmt die neue Back-End-Fertigung den Betrieb auf.
2005: Das Infineon-Werk in Richmond verarbeitet nach einer rund 1 Milliarde US-Dollar teuren AufrĂĽstung 300-mm-Wafer; Ingentix geht in der Dresdner Infineon Technologies Flash auf; Start der Billigmarke Aeneon.
2006: Die DRAM-Sparte von Infineon wird als Qimonda abgespalten, CEO: Kin Wah Loh; die MRAM-Entwicklung verbleibt bei Infineon und wird später eingestellt, die Flash-Tochterfirma wird abgeschrieben.
2006: Qimonda startet an der US-Börse für 13 US-Dollar; Infineon behält 77,5 Prozent der Anteile.
2007: Qimonda plant für 2 Milliarden Euro (über 5 Jahre) eine neue 300-mm-Fab in Singapur; Ausweitung und Verlängerung der Kooperationen mit SMIC und Winbond. Qimonda nach Hynix und Samsung weltweit drittgrößter DRAM-Hersteller.
2007, im Herbst: Qimonda kündigt Zulieferverträge mit Dresdner 200-mm-Fab von Infineon sowie mit SMIC und Winbond; SMIC steigt 2008 komplett aus der DRAM-Fertigung aus und schreibt die Anlagen ab.
2007, Dezember: Qimonda verkĂĽndet die Flash-Kooperation mit Macronix, sagt diese bereits im April 2008 wieder ab.
2008, Frühjahr: Qimonda kündigt den Wechsel von der Trench-Zellen-Technik auf Buried Wordline in Kooperation mit Elpida an; der DRAM-Marktanteil sinkt im ersten Quartal 2008 auf 10,4 Prozent, Qimonda fällt hinter Elpida und Micron auf Rang 5. Der Aufbau der 300-mm-Fertigung in Singapur wird auf Eis gelegt.
2008: Infineon-Chef Ziebart tritt zurück, Nachfolger wird Vorstandssprecher Peter Bauer, seit 1986 bei Siemens; in den ersten neun Monaten des Geschäftsjahres 2007/2008 bricht der Qimonda-Umsatz um 45 Prozent ein.
2008, Oktober: Abbau von 3000 Stellen angekĂĽndigt; Verkauf des Inotera-Anteils an Micron; Kurs der Aktie sackt unter 1 US-Dollar.
2008, November: Qimonda-Betriebsräte warnen vor einem möglichen Aus; Infineon-Chef Bauer „glaubt an eine Lösung“, schließt aber weitere Zahlungen aus; Verhandlungen mit der sächsischen Landesregierung über Finanzhilfen; Kurs der Aktie unter 20 US-Cent.
(ciw)