Plasma statt Antibiotika

Geräte, die mit ionisierten Edelgasen Keime abtöten, halten gerade Einzug in die Arztpraxen. Sie heilen nicht nur chronische Wunden, sondern können sogar Gewebe regenerieren und Krebszellen abtöten.

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Von
  • Uta Deffke

Geräte, die mit ionisierten Edelgasen Keime abtöten, halten gerade Einzug in die Arztpraxen. Sie heilen nicht nur chronische Wunden, sondern können sogar Gewebe regenerieren und Krebszellen abtöten.

Ein Fiepen liegt in der Luft. Carsten Gutgesell fährt mit einem dickem Stift über eine Wunde am Bein des Patienten Hannes Vogel (Name von der Redaktion geändert), als wolle er sie ausmalen. Doch statt einer Mine kommt aus der fiependen Spitze eine zentimetergroße, feine Flamme. In ihr liegt das Geheimnis dieser Behandlungsmethode: Die Flamme ist nicht heiß – sondern kalt. Es handelt sich um sogenanntes kaltes Plasma. Auf der Haut spürt Vogel davon nur ein feines Prickeln und einen Luftzug aus der Düse. "Es tut gar nicht weh", sagt er.

Gutgesell behandelt in seiner Norderstedter Praxis häufig schlecht heilende Hauterkrankungen wie die von Hannes Vogel. Bei älteren Diabetes-Patienten sind es oft chronische Wunden, die zum Beispiel durch Keime mitverursacht werden können und oft über Wochen, Monate oder gar Jahre nicht heilen. Das ist nicht nur schmerzhaft, sondern birgt die Gefahr einer Infektion und möglicherweise sogar einer Blutvergiftung (Sepsis).

Typische Fälle seien aber auch "das offene Bein, Pilzerkrankungen der Haut und des Nagels sowie Warzen, die durch Viren, und Akne, die durch Akne-Bakterien hervorgerufen werden", erklärt der Hautarzt. Wo Wundreinigung, antibakterielle Verbände, Antibiotika oder Anti-Pilz-Mittel nicht mehr helfen, beobachtet Gutgesell oft schon nach wenigen Behandlungen mit dem kalten Plasma einen Heilungsfortschritt. So auch bei Hannes Vogel: Seine Wunde beginnt sich endlich zu schließen.

Kalte Plasmen sind derzeit ein heißes Thema in der Medizin. Weil sie Mikroben zuverlässig abtöten – vor allem auch multiresistente Keime, ohne selbst Resistenzen zu erzeugen –, kamen sie zuerst in der Wundheilung zum Einsatz. Die Erfolge sind mittlerweile in zahlreichen klinischen Studien belegt. Die ersten Geräte wurden bereits als Medizinprodukte zugelassen und halten gerade Einzug in die Arztpraxen. In Laborexperimenten mit Hautzellen zeigte sich sogar noch eine weitere überraschende Eigenschaft: Unter Einfluss der Plasmen bildet sich auch neues Gewebe.

Damit bietet kaltes Plasma einen wesentlichen Vorteil gegenüber herkömmlichen Mitteln. Denn die töten Bakterien und Pilze zwar ab, können jedoch das Heilen behindern, erklärt Thomas von Woedtke. Der Pharmazeut hat seit 2011 die weltweit erste Professur für Plasmamedizin inne. Er lehrt und forscht an der Universität Greifswald und am Leibniz-Institut für Plasmaforschung und Technologie (INP). Hier ist das deutschlandweit größte Zentrum für Plasmamedizin. Weitere gibt es etwa in Bochum, München und Göttingen.

Plasmen sind bisher eher aus der Physik und Technik bekannt. Es handelt sich um Gase, deren Moleküle durch Energiezufuhr, zum Beispiel als Strom oder Wärme, in negativ geladene Elektronen und positiv geladene Ionen aufgespalten werden. So sind etwa Blitze und die Sonne viele Millionen Grad heiße Plasmen. In Kernfusionsreaktoren sollen sie künftig, von starken Magneten gebändigt, Energie liefern. Und in Plasmabildschirmen regen sie – hier weniger heiß – Leuchtstoffe zur Lichtabgabe an. In der Medizin werden heiße Plasmen bereits seit den 1960er-Jahren eingesetzt, vorwiegend um Instrumente zu sterilisieren, aber auch um Blutgefäße zu veröden. Doch erst seit den Neunzigerjahren ist es möglich, auch kalte Plasmen zu erzeugen, die körperverträgliche Temperaturen unterhalb von 40 Grad Celsius haben.

Als Ausgangsstoff dienen oft die Gase Argon oder Helium. Unter Energiezufuhr bewirken sie in der Umgebungsluft die Entstehung hochreaktiver Stickstoff- oder Sauerstoff-Radikale sowie UV-Strahlung "Dies ist entscheidend für das Abtöten von Mikroorganismen", erklärt von Woedtke. Zusätzlich reißt das elektromagnetische Feld des Plasmas vorübergehend Löcher in die Membran der Bakterien- und menschlichen Zellen. Durch sie gelangen die reaktiven Substanzen ins Innere. Weil das Erbgut von Bakterien nicht durch einen Zellkern geschützt ist, so die Vermutung der Forscher, reagieren sie empfindlicher als menschliche und tierische Zellen auf die Erstürmung. Bei letzteren entstehen durch die kurze Einwirkzeit des Plasmas nach jetzigem Wissensstand keine Schäden. Die elektromagnetischen Felder können die Bakterien aber auch direkt abtöten.

Wie die kalten Plasmen die Geweberegeneration bei den Patienten bewirken, ist weniger klar. Sie scheinen zum Beispiel Gene zu aktivieren, die in den Zellen Reparaturmechanismen in Gang setzen sowie Zellwachstum und Zellteilung anregen.

Könnten sie dann nicht auch ein unkontrolliertes Zellwachstum befördern und Krebs verursachen? Bislang sind keine bedenklichen Folgen beobachtet worden, wie deutsche Forscher vom Nationalen Zentrum für Plasmamedizin 2014 in einem Positionspapier schrieben. "Wir wünschen uns trotzdem große Studien zur weiteren Untersuchung der Sicherheit", sagt von Woedtke.

Dennoch gilt eher im Gegenteil kaltes Plasma als mögliche neue Waffe für die Tumorbehandlung. Einer der Pioniere ist Hans-Robert Metelmann, Direktor der Klinik und Poliklinik für Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie in Greifswald. Er behandelt meist Patienten mit Krebserkrankungen im Kopf-Hals-Bereich im fortgeschrittenen Stadium. "Mit dem Plasma können wir die Belastungen für die Patienten reduzieren, die mit einem Bakterienbefall der [zum Teil offen liegenden] Tumoren einhergehen: die Sepsis-Gefahr, den Geruch und den Einsatz von Schmerzmitteln mit deren erheblichen Nebenwirkungen", sagt Metelmann.

Da die Plasmabehandlung nur an der Oberfläche wirkt, "werden wir damit keine Massenentfernung von Tumoren machen", sagt der Mediziner. Sie ließe sich aber nach dem Herausschneiden der Geschwulst als Alternative zu den aggressiven Bestrahlungs- oder Lasermethoden einsetzen: Zum Beispiel um an schlecht erreichbaren Stellen wie im Kiefer oder an kritischen Stellen wie der Schlagader liegende Tumorreste zu beseitigen. Potenziell ließen sich damit auch übrig gebliebene, aber nicht erkennbare Krebszellen ausmerzen. Denn das Plasma setzt offenbar die sogenannte Apoptose wieder in Gang, eine Art Selbstzerstörungsprogramm für kranke Zellen, das Krebszellen meist ausgehebelt haben. Danach dauert es nur ein bis zwei Tage, bis sich gesunde Ersatzzellen bilden. So entsteht kein Loch im Gewebe.

Für engräumige Behandlungen wie bei verwinkelten kleinen Tumoren oder Zahnwurzelbehandlungen arbeiten Techniker am INP bereits an Prototypen von flexiblen Plasmageräten mit feineren Plasmajets. "In die Anwendung und medizintechnische Zulassung müssen das dann Unternehmen bringen", sagt von Woedtke. Aber auch hier ist das INP mit von der Partie: neoplas tools etwa ist ein Spin-off, das den von Gutgesell genutzten Plasma-Pen entwickelt hat.

Ein weiteres, bereits mit Förderpreisen bedachtes INP-Spin-off ist Coldplasmatech. Weil die händische Behandlungsweise, wie sie etwa Carsten Gutgesell praktiziert, zeitaufwendig und deshalb kaum wirtschaftlich ist, hat sich Coldplasmatech eine neue Technik ausgedacht: Eine etwa schokoladentafelgroße, flexible Wundauflage auf Silikonbasis. Sie wird so über die Wunde gelegt, dass darüber ein abgeschlossener Hohlraum entsteht. Darin wird per Hochspannung ein Plasma gezündet, das einige Minuten gleichmäßig auf die gesamte Fläche einwirkt, ohne dass der Arzt später ständig dabeisitzen muss. Noch ist weitere Entwicklungsarbeit nötig. Doch Mitgründer und Medizinökonom Tobias Güra hofft, den Zulassungsantrag als Medizintechnikprodukt bis Jahresende einreichen zu können. (bsc)