Meinung: Falsches Vorbild

Wenn hierzulande Branchenvertreter den zögernden Breitbandausbau beklagen, gilt ihnen oft Amerika als leuchtendes Vorbild. Warum nur? Gerade in den USA haben Monopolisten und Regierungen beim Ausbau versagt. Gerichtet hat es ausgerechnet – Google.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht
Lesezeit: 6 Min.
Von
  • James Surowiecki

Wenn hierzulande Branchenvertreter den zögernden Breitbandausbau beklagen, gilt ihnen oft Amerika als leuchtendes Vorbild. Warum nur? Gerade in den USA haben Monopolisten und Regierungen beim Ausbau versagt. Gerichtet hat es ausgerechnet – Google.

Viel zu oft heißt es, ein bestimmtes Ereignis habe bei Technologie "alles verändert". In Bezug auf die Bedeutung von Google Fiber für Breitband-Internet in den USA aber ist dieser Spruch durchaus zutreffend. Im Februar 2010 forderte Google Städte auf, sich um die Installation von Glasfaserleitungen zu bewerben, die ihren Bürgern Internetzugänge mit einem Gigabit pro Sekunde bringen sollten. Bis dahin hatte es kaum Aussichten auf schnellere Breitbandverbindungen für die Amerikaner gegeben.

Der Grund dafür waren nicht etwa technische Hürden. Stattdessen mangelte es an den richtigen Anreizen. Der Aufbau deutlich schnellerer Netze war eine teure Angelegenheit mit hohen Investitionen, wie sie an der Wall Street meist nicht gern gesehen werden. Und weil Internetzugang in den meisten Städten entweder von einem Beinahe-Monopol oder einem gemütlichen Duopol verkauft wurde, gab es wenig Wettbewerbsdruck. Solange alle Anbieter den Status quo intakt hielten, so schien es, konnten sich die Internet-Provider auf viele Jahre mit hübschen Gewinnen freuen, ohne viel Geld in ihre Netze zu investieren. Vom Gigabit-Internet keine Spur. Laut dem nationalen Breitbandplan der staatlichen Telekommunikationsbehörde FCC sollten 100 Millionen US-Haushalte bezahlbaren Zugang zu Download-Geschwindigkeiten von gerade mal einem Zehntel von einem Gigabit pro Sekunde bekommen, also 100 Megabit pro Sekunde.

Auch die Regierungen der Bundesstaaten und Kommunen taten wenig dafür, am Status quo zu rütteln oder die Provider zu Modernisierungen zu drängen. Schnellere Anschlüsse subventionieren oder gar komplett selbst bezahlen wollten sie erst recht nicht. Die Folge von all dem: Langsam, aber sicher fielen die USA bei schnellen und bezahlbaren Internetzugängen hinter andere Länder wie Schweden, Südkorea oder Japan zurück.

Fünf Jahre später hat sich einiges geändert. Zwar waren bis Ende 2013 nur drei Prozent aller US-Haushalte an Glasfaserleitungen angeschlossen, haben nur 15 Prozent von ihnen Anschlüsse mit mindestens 25 Megabit/Sekunde. Damit liegen die USA immer noch hinter Schweden und Südkorea. Im Vergleich zur Situation vor einigen Jahren ist der Fortschritt jedoch dramatisch. Das liegt an den Aktivitäten von Google – und an der Reaktion der anderen Breitbandanbieter auf die Initiative des Digitalkonzerns.

Nach dem Debüt von Google Fiber kündigte AT&T an, bald ebenfalls Ein-Gigabit-Anschlüsse anzubieten – in bis zu 100 Städten und zu Preisen, die bis dahin als undenkbar gegolten hatten. CenturyLink und Cox haben in einigen Städten inzwischen ebenfalls Gigabit-Internet im Programm, und Suddenlink verspricht das für die nahe Zukunft. Ob solche Versprechungen gehalten werden, ist natürlich eine andere Frage, aber allein, dass sie gemacht werden, ist bemerkenswert. Selbst in Gebieten, in denen superschnelles Internet noch auf sich warten lässt, haben Kabel-TV-Unternehmen die verfügbare Geschwindigkeit zumindest deutlich gesteigert, oft ohne Preiserhöhungen. Vor diesen Initiativen erklärte Time Warner Cable noch, man biete kein Gigabit-Internet an, weil es keine Nachfrage dafür gebe. Heute verkauft das Unternehmen immerhin Anschlüsse, die fünfmal so schnell sind wie seine schnellsten Anschlüsse von früher.

"Ich würde gern glauben, dass all das passiert ist, weil wir im Breitbandplan so überzeugend für reichlich Bandbreite argumentiert haben", sagt Blair Levin, Hauptautor des nationalen Breitbandplans der FCC, inzwischen Geschäftsführer des Konsortiums Gig.U. "Aber so ist es nicht. Ohne Google hätte es keinen derartigen Fortschritt gegeben." Die USA hätten noch viele Jahre in einem dunklen Breitbandzeitalter festgesteckt. Die Regierung tat kaum etwas dagegen, weder durch eigene Aktivitäten noch durch Gesetze für mehr Wettbewerb. Google hat das Land also quasi im Alleingang gerettet.

Das wirft eine naheliegende Frage auf: Warum ist Google bei Breitband-Internet aktiv geworden, obwohl Investitionen in physische Infrastruktur wenig mit seinem Kerngeschäft zu tun haben? Google Fiber wurde anfangs als "Experiment" bezeichnet. Mittlerweile aber sieht Google das gewachsene Projekt als eigenes Geschäftsfeld an und steuert es auch so. Seine direkte Rendite dürfte dabei gering sein (Google verlangt für Gigabit-Internet ungefähr dieselben Preise wie Kabelanbieter für deutlich langsamere Anschlüsse). Doch zumindest bringt es für Google positive Nebeneffekte wie ansprechendere Internetnutzung und mehr Onlineverkehr.

Das Beunruhigende dabei: Gegenwart und Zukunft von Breitband-Internet in den USA scheinen jetzt zu großen Teilen in der Hand eines einzelnen Unternehmens zu liegen, das sich zudem in vielerlei Hinsicht sehr von normalen Unternehmen unterscheidet. Ohne seine extrem dominante Stellung bei Suchen und Online-Werbung hätte Google nicht genügend Ressourcen für hohe Investitionen, die sich nicht sofort rentieren müssen – Google Fiber wäre also womöglich nie realisiert worden.

Ebenfalls außergewöhnlich an Google ist, dass seine Führung überhaupt bereit ist, hohe langfristige Investitionen außerhalb des Kerngeschäfts vorzunehmen. Außerdem hat das Unternehmen zwei unterschiedliche Aktienklassen, die dafür sorgen, dass die Macht seiner Gründer erhalten und der Einfluss der Wall Street begrenzt bleibt. Wenn irgendetwas davon anders wäre, wären Gigabit-Anschlüsse in den USA vermutlich noch heute nur ein Traum. Dazu noch einmal Levin: "Wir hatten das Glück, dass ein Unternehmen mit wirklich langfristiger Sichtweise in diesen Markt eingetreten ist." Wahrscheinlich wäre es gut, die US-Technologiepolitik so zu gestalten, dass der Fortschritt beim nächsten Mal keine reine Glückssache mehr ist.

Surowiecki schreibt die "Financial Page" beim Magazin "New Yorker" und ist unter anderem Autor des Bestsellers "Die Weisheit der Vielen". (bsc)