Das Verdikt der Community
Ein deutscher Genetiker hat sein unter Kollegen beliebtes Softwareprogramm "Treefinder" für acht europäische Länder gesperrt. Denn Gangolf Jobb stößt sich daran, wie diese Staaten Immigranten begegnen.
- Inge WĂĽnnenberg
Ein deutscher Genetiker hat sein unter Kollegen beliebtes Softwareprogramm "Treefinder" für acht europäische Länder gesperrt. Denn Gangolf Jobb stößt sich daran, wie diese Staaten Immigranten begegnen. Nun hat das Fachmagazin BMC Evolutionary Biology die Veröffentlichung von Jobbs Paper zurückgezogen.
Die Welt hat sich seit dem Wochenende verändert: Die Anschläge in Paris machen auch uns in Deutschland traurig, hilflos und wütend. Wir reagieren noch empfindlicher auf Ressentiments, Intoleranz, Hass und jedwede Demokratiefeindlichkeit. Die Attentate – und ebenso die ständigen Übergriffe auf Asylunterkünfte – verändern unsere Reaktionen, lassen unser Urteil gegenüber Fanatismus und Fremdenfeindlichkeit härter und unnachgiebiger ausfallen.
Bereits in den vergangenen Wochen diskutierte zum Beispiel auch die wissenschaftliche Community über die rassistischen Äußerungen des deutschen Biologen Gangolf Jobb. Mit der auf Englisch formulierten Begründung "Wer Immigranten nach Europa und Deutschland einlädt oder dort begrüßt, ist mein Feind" untersagte der Forscher Kollegen in acht europäischen Staaten, seine 2004 veröffentlichte Software Treefinder künftig zu nutzen.
Jobb hatte das Programm, das hilft, die Sequenzdaten von Erbmaterial zu analysieren sowie mögliche Verwandtschaftsbeziehungen aufzuzeigen und graphisch darzustellen, vor elf Jahren mit den Ko-Autoren Andt von Haeseler und Korbinian Strimmer im Fachmagazin BMC Evolutionary Biology veröffentlicht. Nachdem Jobb sein Nutzungsverbot neben Deutschland auch für die Länder Großbritannien, Österreich, Frankreich, die Niederlande, Belgien, Schweden und Dänemark verhängt hat, zog BMC das mittlerweile in mehr als 700 Studien zitierte Paper des Forschers zurück: Zur Begründung gab das Journal an, die Veränderung der Lizenz sei mit den Statuten der Zeitschrift über die Verfügbarkeit von Software nicht vereinbar.
Ginge es in diesem Fall nur um weltanschauliche oder politische Fragen, müsste man dem Wissenschaftler gegenüber vielleicht toleranter sein, der bereits im Februar in den USA die Nutzung von "Treefinder" verboten hatte, weil dort "eine kleine reiche Elite, die Macht des Landes zur Beherrschung der Welt missbrauche". Aber darüber hinaus schreibt Jobb auf seiner Website etwa: "Ich bin nicht dagegen, Flüchtlingen zu helfen, aber man müsste sie strikt getrennt von uns Europäern halten, nur für eine begrenzte Zeit, bis sie heimkehren, und sie nicht hier als billige Arbeitskräfte und zusätzliche Konsumenten integrieren." Die Sicht des Wissenschaftlers, der mittlerweile selbst dem Forschungsbetrieb den Rücken gekehrt zu haben scheint, wirkt äußert subjektiv und emotional – vor allem aber durch Verlustängste und Sozialneid geprägt.
Darüber hinaus warnt Jobb aber zum Schluss noch vor "einem Verlust unseres europäischen genetischen und kulturellen Erbes". Und spätestens an diesem Punkt versteht und akzeptiert man die kompromisslosen Reaktionen seiner Kollegen, die sich nicht nur von seiner Person, sondern auch von seiner Software distanzieren: Wer sich so positioniert, muss mit dem Echo leben können, dass er provoziert. Unser Mitgefühl gilt anderen. (jle)