Arten retten mit virtueller Realität

Vom Nördlichen Breitmaulnashorn gibt es weltweit nur noch vier Exemplare. Während Genetiker versuchen, künstlich eine neue Generation zu züchten, wollen zwei Filmemacher die Tiere mit einem neuartigen Film zumindest in der Erinnerung bewahren.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht
Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Simon Parkin

Vom Nördlichen Breitmaulnashorn gibt es weltweit nur noch vier Exemplare. Während Genetiker versuchen, künstlich eine neue Generation zu züchten, wollen zwei Filmemacher die Tiere mit einem neuartigen Film zumindest in der Erinnerung bewahren.

Im Keller des Laborkomplexes im Zoo von San Diego steht ein gut einen Meter hoher, mit flüssigem Stickstoff gekühlter Aluminiumkanister. Dieser "Tiefkühl-Zoo", wie er genannt wird, enthält tausende Hautproben von gefährdeten Tierarten wie dem Nördlichen Breitmaulnashorn, einer Unterart, die sehr nah an der völligen Auslöschung steht. Weltweit gibt es nur noch vier dieser Tiere. Ein genetisches Rettungsteam des Zoos arbeitet deshalb daran, aus den gefrorenen Zellen Stammzellen zu machen, mit deren Hilfe sich die Spermien und Eizellen gewinnen lassen, um durch künstliche Befruchtung eine neue Generation dieser Nashörner zu züchten.

Die Zeit ist dabei kostbar. Nola aus dem Safari Park des San Diego Zoo, das einzige lebende Nördliche Breitmaulnashorn in Gefangenschaft, ist unfruchtbar. Von den übrigen drei Exemplaren, die sich im Ol Pejeta Conservatory in Kenia befinden und von bewaffneten Wachen vor Wilderern geschützt werden, sind zwei weiblich. Die Ranger leben neben ihren Tieren und wechseln sich nachts beim Schlafen ab.

Amerikanische Wissenschaftler und kenianische Ranger sind nicht die Einzigen, die sich um die Erhaltung des Breitmaulnashorns bemühen. Auch Kel O'Neill und Eline Jongsma, ein amerikanisch-niederländisches Filmemacher-Paar, wollen diese Tiere retten – nicht mit Reagenzgläsern oder Gewehren, sondern in der virtuellen Realität (VR). Ihr Projekt The Ark ist ein VR-Dokumentarfilm über das Leben der vier letzten Nördlichen Breitmaulnashörner sowie die Wissenschaftler und Ranger, die sich eine halbe Welt voneinander entfernt für diese Kreaturen einsetzen.

"Wir haben jetzt eine kleine Tochter, und wir haben die Sorge, dass sie eine ganze Dimension der Erde, wie sie heute ist, nicht mehr wird erleben können, wenn sie erwachsen ist", sagt Jongsma. Natur-Dokumentarfilmer filmen schon seit Jahrzehnten vor dem Aussterben stehende Tiere, um zumindest die Erinnerung an sie zu bewahren. Das Ark-Projekt scheint die nächste Evolutionsstufe dieser Bemühungen zu sein: O'Neill und Jongsma machen 360-Grad-Aufnahmen der Tiere, so dass Zuschauer einen Rundumblick haben, die Perspektive selbst bestimmen können und so ein besseres Gefühl dafür bekommen, wie es ist, den Tieren direkt gegenüberzustehen.

Virtuelle Realität, so glauben die beiden Filmemacher, gibt den Zuschauern "die direkteste Erfahrung einer Geschichte, die möglich ist". Sam Watts, ein VR-Produzent bei Make Media, stimmt dem zu: "Eine der größten Stärken des Mediums ist, dass es ein echtes Gefühl der Empathie für ein bestimmtes Subjekt schaffen kann, weil der Nutzer voll in die Szene und die erzählte Geschichte eintauchen kann", sagt er.

Das Versprechen ist reizvoll. Noch aber steckt die Produktion von VR-Filmen in den Kinderschuhen, so dass O'Neill und Jongsma erst einmal die technischen Prozesse dafür verbessern müssen. "Wir arbeiten mit einem Array aus zehn GoPro-Kameras", erklärt O'Neill. "Wir wollen, dass der Nutzer sich fühlt wie in einer Bewusstseinsblase, wenn er den Film sieht." Das bedeutet: Wenn man nach unten blickt, soll nicht das Stativ für die Kameras oder das Logo eines VR-Unternehmens zu sehen sein, sondern der Boden.

Das Projekt ist das erste dieser Art für O'Neill und Jongsma, die seit 2006 Dokumentarfilme drehen. Sie befinden sich auf einer steilen Lernkurve. "Es gibt jetzt kein 'hinter der Kamera' mehr", sagt Jongsma. "Heute muss es eher 'um die Kamera herum' heißen. Man muss viel verstecken und vieles in langen Aufnahmen ohne Eingriffe laufen lassen."

The Ark soll auch mit verbreiteten und billigen VR-Headsets wie Google Cardboard und GearVR zu sehen sein. Vor diesem Hintergrund ist es kein Wunder, dass der Film bereits eine Schar begeisterter Anhänger um sich versammelt hat. Ein Teil der Finanzierung kommt vom Tim Hetherington Trust, einer privaten Stiftung, die sich für humanitäre und soziale Projekte weltweit einsetzt. Zusätzlich kamen mehr als 35.000 Dollar auf der Crowdfunding-Plattform Kickstarter zusammen, um die Kenia-Reise des Filmemacher-Paars zu finanzieren.

An dem Vorhaben, das Nördliche Breitmaulnashorn in einem neuen und immersiven digitalen Medium zu erhalten, dürfte kaum jemand etwas auszusetzen haben. Die Wissenschaftler in San Diego dagegen (die selbst Geld für die Kickstarter-Kampagne gespendet haben) werden für ihre Arbeit mit Stammzellen kritisiert. O'Neill aber hat keine solchen Bedenken: "Den meisten Menschen ist klar, dass wir schon so weit über 'natürlich' und 'unnatürlich' hinaus sind, dass wir ebenso gut alles versuchen können, um die Biodiversität hier auf der Erde zu erhalten und zu erhöhen", sagt er.

(sma)