Computer nur scheinbare Erleichterung für Analphabeten
Für die schätzungsweise vier Millionen Analphabeten in Deutschland ist der Computer nach Ansicht von Experten trotz einiger Vorteile weniger Hilfe als eine neue Hürde.
Für die schätzungsweise vier Millionen Analphabeten in Deutschland ist der Computer nach Ansicht von Experten weniger Hilfe als eine neue Hürde. "Zwar gibt es eine Reihe von Vorteilen durch bebilderte Software, Rechtschreibprogramme, Lernprogramme und gesprochene Anweisungen", sagte der Geschäftsführer des Bundesverbandes Alphabetisierung, Peter Hubertus, der Nachrichtenagentur dpa in Münster. "Aber das ist letztlich nur der Einstieg – die Nutzung des Mediums selbst erfordert schnelles und selektives Lesen." Anders als bei einem Buch könnten die funktionalen Analphabeten nicht Tempo und den Schwierigkeitsgrad des Stoffes bestimmen.
Unter funktionalen Analphabeten versteht der Verband Betroffene, die einige Buchstaben beherrschen, vielleicht ihren Namen schreiben sowie leichte Sätze lesen können. Dies genüge aber nicht für ein Auskommen im beruflichen oder privaten Leben. Sie seien immer von anderen abhängig, die für sie alles Schriftliche übernehmen. Trotz Schulpflicht liege deren Zahl bundesweit bei rund vier Millionen Erwachsenen. Pro Jahr verließen immerhin 70.000 bis 80.000 junge Menschen die Schulen ohne Abschluss, sagte Hubertus. In dem Anfang September erscheinenden Buch Ihr Kreuz ist die Schrift, finanziert vom Bundesbildungsministerium und nach dem Erscheinen auch als kostenloser Download erhältlich, will der Bundesverband Alphabetisierung die Öffentlichkeit für die Analphabeten sensibilisieren.
"Während man mit Mathe- oder Chemieproblemen in der Schule sogar kokettieren kann, hört der Spaß bei dem Mangel an Lesen und Schreiben auf", sagt Hubertus. Für die meisten Menschen gelte als dumm, wer nicht Lesen und Schreiben kann. "Zwar liegt es in Einzelfällen auch an den persönlichen Fähigkeiten, aber Eltern und Schule tragen dazu bei", sagte der Experte. Kinder, die zu Hause kaum angesprochen werden und schon schwierig sprechen lernten, nicht mit Bilderbüchern oder Briefen in Berührung kämen, könnten dies später schlecht ausgleichen. Die Schule sei oft keine Hilfe, da vielfach noch der 'Fibeltrott' das Lernen im Gleichschritt propagiert: "Dann heißt es: 'Wir sind auf Seite sieben' und das individuelle Lerntempo wird ignoriert".
Der Bundesverband plädiert dafür, neben Grundschulen auch die Alphabetisierungskurse für Erwachsene mit Computern und Internetzugang auszustatten, um die Schwellenangst zu nehmen. Mit einem eigens für funktionale Analphabeten abgestimmten "Chat-Room" will der Verband im kommenden Jahr die Internetnutzung der Betroffenen weiter fördern und Möglichkeiten zum "anonymen Üben" geben. Bundesweite Informationen zu Erwachsenenkursen sowie anonyme Beratung bietet der Bundesverband Alphabetisierung unter der Münsteraner Telefonnummer 0251/53 33 44 und auf seiner Webseite. (dpa) (jk)