Segen aus dem Cyberspace
Nicht nur die christlichen Kirchen bieten ihren Gläubigen spirituelle Betreuung via Internet.
Ein rotes Gesicht hat Ganesh, der Hindugott mit dem Elefantenkopf, und er trägt eine goldene Krone. "Berühre seine Füße, um in den Tempel zu gelangen", lautet die Aufforderung an die Gläubigen. Sie stehen allerdings nicht wirklich in der indischen Hafenstadt Bombay vor dem Siddhivinayak-Tempel mit der Ganeshstatue. Sondern sie sitzen zu Hause vor dem Computer. Und die Füße des Gottes sollen sie mit der Maus anklicken. Den Segen der zahlreichen Hindugötter gibt es auch per Internet aus dem Cyberspace.
Der Mausklick auf den Fuß führt aber nicht in Sphären spiritueller Entrücktheit, sondern die nächste Seite hält einige weltliche Details bereit: Sie informiert über die Online-Zahlungsmodalitäten für eine Puja, den Gottesdienst, und über den Weg, Spenden zu überweisen. Nicht nur der Siddhivinayak-Tempel macht aus der Frömmigkeit ein E-Business. Viele Websites sind im Geschäft, und Karthik Janakiraman von saranam.com hält das für eine gute Idee: "Die Leute haben keine Zeit, einen Tempel zu besuchen, der zwei Stunden weit weg ist."
Pandit Bhuvan Joshi, ein 30 Jahre alter Priester am Arya Samaj Tempel in Neu Delhi, hält das alles für viel zu oberflächlich. Er ist von einem Geschäftsmann gerufen worden, um eine Puja zur Einweihung eines neuen Büros zu feiern. Dazu bringt Joshi Obst und Butteröl als Opfergaben mit, Götterbilder und Weihrauch, und Bücher mit den heiligen Texten in der uralten indischen Sprache Sanskrit. Während der Duft der Räucherstäbchen die neuen Computer einhüllt, fragt der Priester lächelnd: "Könnten Sie das per Internet riechen?"
Nach dem Abitur hat Joshi auf einer religiösen Schule die alten Texte und das Rezitieren der Gebete studiert und kennt die Pujas, die bei Geburt, Namensgebung, Heirat, Tod, oder auch bei der Einweihung eines neuen Hauses oder Büros gefeiert werden sollten. Bei einem Ferngottesdienst am Computer komme keine persönliche Beziehung zu Stande, kritisiert er. "Ein Pandit (Priester) lernt die Familie kennen und gewinnt ihr Vertrauen. Sein Rat wird in schwierigen Situationen gesucht, und oft ist eine Puja ein Ausweg", sagt Joshi.
Die Internetpriester versuchen dem aber nahe zu kommen. "Weißt du nicht weiter mit deinen Problemen? Frage den Pandit", heißt ein Button der Seite von saranam.com. Per E-Mail können Hindus Fragen schicken und bekommen Antwort. Sogar das Gegenstück zur christlichen Kommunion ist online zu haben. "Prasad" heißt es im Hinduismus.
Beim Gang zum echten Tempel nehmen die Gläubigen Opfergaben mit, und der Priester überreicht sie dem Götterbild, sei es Ganesh, Krishna, Ram, die Wohlstandsgöttin Lakshmi, die Furcht einflößende Kali, oder Hanuaman, der Affengott. Dann nimmt der Pandit die Gaben wieder zurück, sie gelten nun als heilig. Einen Teil behält er, den anderen gibt er an die Gläubigen weiter, und sie essen davon – das ist Prasad. Wer per Internet eine Puja bucht und Geld überweist, kann ebenfalls Prasad bekommen, ein paar Wochen später und per Post.
Die meisten Klicks verzeichnen die Tempelseiten aus dem Ausland, von Hindus, die dort arbeiten oder studieren und kein Gotteshaus in der Nähe haben. Mit ein bisschen Glück finden sie sogar einen Tempel aus ihrem Heimatort – mehrere tausend sind im Cyberspace vertreten. Sogar ein virtueller Besuch bei der "Kumbh Mela", dem größten Pilgerfest aller Zeiten am Ganges, ist möglich.
Selbst wer noch nicht an die Webwelt angeschlossen ist, kann am Computer beten: Auf Disketten gibt es Programme, die Hindugötter auf den Schirm zaubern. Mit der Maus können die Gläubigen Räucherstäbchen entzünden, Öllampen schwenken und Tempelglocken zum Klingen bringen. (Jürgen Hein, dpa) / (wst)