Netzneutralität - ein amerikanisches Problem?

Bei der Netzneutralitätskonferenz in Bonn konnten sich die verschiedenen Parteien auf keinen gemeinsamen Nenner einigen. Immerhin stimmte man darin überein, dass in Europa die Frage der Netzneutralität nicht so drängend ist wie in den USA.

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  • Torsten Kleinz

Viele Köpfe, viele Meinungen: Bei der Netzneutralitätskonferenz in Bonn konnten sich die verschiedenen Parteien auf keinen gemeinsamen Nenner einigen. Immerhin stimmten Wissenschaftler, Unternehmensvertreter und Berater überein: In Europa ist die Frage der Netzneutralität nicht so drängend wie in den Vereinigten Staaten. Streit gab es trotzdem.

Die US-Vertreter auf der Netzneutralitätskonferenz zeigten sich – durch die langwierigen Diskussionen jenseits des Atlantiks vorsichtig geworden – umgänglich. So führte Verizon-Manager Dennis Weller aus, dass die wesentlichen Prinzipien der Netzneutralität vom Markt selbst erfüllt werden. Dies war aber nicht immer so: So hatte der US-Konzern in der vergangenen Woche die Öffnung seine Mobilfunknetzes verkündet, sodass die Verizon-Kunden in Zukunft selbst entscheiden können, mit welchen Geräten sie sich ins Netz einwählen.

Nachdem die Konferenz eher verhalten begonnen hatte, zog der Vertreter der Deutschen Telekom, Klaus Müller, die Samthandschuhe aus und feuerte eine Breitseite gegen eine drohende Regulierung auf europäischer Ebene. "Europa glaubt einfach nicht an den freien Markt", beklagte der Telekom-Manager. Vorschläge wie die Festsetzung eines Mindestqualitätsniveaus verglich er gar mit dem DDR-Einheitsauto Trabant. "Die Konsumenten werden nicht von einer langsamen Verbindung profitieren", erklärte Müller. Gerd Eickers von QSC sah das freilich anders. Zwar seien neue Regulierungsmaßnahmen nicht zu begrüßen, aber nur unter bestimmten Bedingungen: "Zugang zu den Top-Breitband-Netzen zu vernünftigen Preisen sollte Gesetze zur Wahrung der Netzneutralität unnötig machen", erklärte der Telekom-Konkurrent.

Der Kampf um Netzneutralität ist ein Verteilungskampf zwischen Content-Anbietern, Access-Provider, Backbone-Providern und auch Telekommunikationsfirmen. Da die Besitzer der Breitband-Netze hohe Investitionskosten zu finanzieren haben, gleichzeitig aber nur geringe Margen herausschlagen können, sehen sie sich nach neuen Einnahmequellen um, die boomende Branche der Inhalte-Anbieter scheint da ein attraktives Ziel. Diesem Ansinnen erteilte Rob Frieden, Professor für Telekommunikationsrecht an der University von Pennsylvania, eine Absage: "Diese Unternehmen haben kein geheiligtes Recht, einen zweiseitigen Markt aufzubauen."

Dieser zweiseitige Markt setzt aber die Errichtung neuer "Next Generation Networks" (NGN) voraus, in denen Provider bestimmte Dienste priorisieren können. Für ein solches Modell sprach sich Walter Brenner, Professor von der Universität St. Gallen aus. Er erklärte, dass zukünftige Dienste wie Internet-Telefonie auf ein bestimmtes Qualitätsniveau der Übertragung angewiesen seien. Alleine mit der "best efforts"-Methode, bei der die Provider nach besten Kräften weiterleiteten, seien nicht mehr lange ausreichend, da die Nachfrage immer weiter steige, die Kapazitäten aber begrenzt seien.

Um die Qualität der Übertragung in Zukunft abzusichern, sieht Brenner ein System als notwendig an, bei dem Contentanbieter für gewisse Servicelevel (QoS) bezahlten und die Entgelte zwischen den beteiligten Providern aufgeteilt werden. Voraussetzung dafür sei doch ein gemeinsamer Standard zur Definition der QoS-Level und ein gemeinsames Zahlungssystem notwendig, über das Provider ihre Dienste abrechnen könnten. Widerspruch erntete der Professor dabei von einem Praktiker. Arcor-Manager Josef Schäfer bezweifelte die Umsetzbarkeit des Modells: Sein Unternehmen habe mit NGN experimentiert und in der Praxis keine Auswirkungen festgestellt – die Qualität der Internet-Verbindungen sei auch unter dem Best-efforts-Paradigma gesichert. Problematisch sieht Schäfer die derzeitige Praxis bei der Zahlungsabrechnung im Peering- und Transfer-Markt. So zahlten Unternehmen wie Google zwar für ihre Internet-Konnektivität – davon bekämen aber die kleineren Provider nichts ab.

Dass eine Abkehr von der Netzneutralität nicht nur technische Gründe haben kann, skizzierte Jonathan Cave von der Denkfabrik RAND Europe. So seien in der Pariser Metro zwei unterschiedliche Klassen von U-Bahnen eingeführt worden: Zwar hätten sich die Wagen in der Technik nicht unterschieden, die teurere Klasse sei aber nicht für jeden erschwinglich gewesen, und daher hätten die wohlhabenderen Fahrgäste mehr Platz gehabt. Im Netz herrsche mittlerweile ein ähnlich dichtes Gedränge wie in U-Bahnen. Er kritisierte Anbieter wie Skype, die sich mit technischen Tricks Vorrang vor anderem Datenverkehr sicherten: "Wenn dies jeder Anbieter so machen würde, hätten wir ein Problem." Den Vorwurf wollte das Unternehmen nicht auf sich sitzen lassen. Skype-Vertreter Huey Tan bezeichnet sein Unternehmen als reinen Software-Anbieter. Nicht Skype betreibe ein Kommunikationsnetz, die Skype-Nutzer würden ihre Gespräche lediglich untereinander austauschen.

Doch auch diese Interpretation des Skype-Geschäftsmodells ist nicht ohne Probleme: Dass besonders Peer-to-Peer-Traffic zum Problem werden kann, zeigte Yasu Taniwaki vom japanischen Telekommunikationsministerium. Obwohl die Japaner im internationalen Vergleich über die größte Bandbreite zu den niedrigsten Preisen verfügten, sei die Kapazität immer schnell ausgelastet – alle zwei Jahre verdopple sich der Internetverkehr. Nach einer Untersuchung des Ministeriums sind dafür vor allem die Nutzer von P2P-Diensten verantwortlich: Nur zehn Prozent der Internet-Nutzer verursachten 60 bis 90 Prozent des Datenverkehrs, das aktivste Prozent der Netznutzer gar bis zu 60 Prozent. Die japanische Regierung hat deshalb mehrere Komissionen eingesetzt, die die verschiedenen Möglichkeiten überprüfen – zum Beispiel eine Priorisierung des Internet-Verkehrs.

Kernfrage der Netzneutralität in Europa ist: Sollen die Regulierungsbehörden präventiv tätig werden, um eine Gefährdung der Netzneutralität abzuwenden? Selbst die Regulierer sehen dafür keine unbedingte Notwendigkeit: "Wenn der Markt wirklich funktioniert, haben wir kein Problem bei der Netzwerkneutralität", führte die Henzeler-Unger, Vizepräsidentin der Bundesnetzagentur, aus. Dass der Wettbewerb in Europa wesentlich ausgeprägter sei, ist einer der wenigen Punkte, bei dem alle Konferenzteilnehmer einer Meinung waren.

Zur Auseinandersetzung um die Netzneutralität siehe auch die Hintergrundinformationen und die Übersicht zur bisherigen Berichterstattung in dem Online-Artikel in c't – Hintergrund: (jk)