ITU-Chef Touré: "Vielleicht war ich provokativ"

IUT-Generalsekretär Hamadoun Touré äußert sich im Interview mit heise online zur Arbeit des Internet Governance Forum, zur Internet Corporation for Assigned Names and Numbers und zu IPv6.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 1 Kommentar lesen
Lesezeit: 13 Min.
Von
  • Monika Ermert

Die Internationale Fernmeldeunion (ITU) hat immer wieder ihre Ansprüche angemeldet, bei der Verwaltung des Netzes mitzumischen. Die Genfer UN-Organisation, die seit Mitte des 19. Jahrhunderts fürs Telefonieren und die Telekommunikation zuständig ist, hätte gerne auch Codes und Zonen im Internet verwaltet. Doch die Aufgabe ging Ende der 90-er Jahre an die Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN). Seither schwelt der institutionelle Wettbewerb. Im Rahmen des Internet Governance Forum der UN, das sich zuletzt eher ICANN-freundlich zeigte, sparte der Generalsekretär der ITU, Hamadoun Touré nicht an Kritik.

heise online: Herr Generalsekretär, die ITU hat den Weltgipfel der Informationsgesellschaft (WSIS) mit organisiert, aus dem wiederum das Internet Governance Forum (IGF) hervorging. Nun haben sie das IGF sehr kritisiert und als Zeitverschwendung bezeichnet. Die Arbeit der Regierungen in der ICANN nannten sie "schwach". Was muss das IGF denn tun, um ihr Mandat zu erfüllen?

Hamadoun Touré: Ich hätte einfach gerne eine Bewertung des IGF. Wir haben gerade das dritte IGF hinter uns gebracht und es ist notwendig, dass wir die Ergebnisse und Fortschritte messen, und zwar unter Berücksichtigung der Ergebnisse des Weltgipfels der Informationsgesellschaft in Tunis. Das IGF ist eine Chance für die UN, Bedenken anzusprechen, die viele Länder im Bereich der Netzverwaltung haben. Die ITU hat den IGF-Prozess immer unterstützt. Aber wir glauben, den Kernfragen muss in der Debatte der verschiedenen Interessengruppen deutlich mehr Beachtung geschenkt werden. Als Chef der ITU hätte ich gerne einen Prozess, an dem alle teilnehmen können.

Das IGF bezeichnet sich durchaus als offen.

Hamadoun Touré: Für Entwicklungsländer ist es schwierig, am IGF teilzunehmen, denn sie können nur einen oder zwei Vertreter schicken. Ich sähe meine konstruktiven Vorschläge gerne positive aufgenommen. Vielleicht war ich provokativ, aber ich wollte lediglich die Diskussion anregen. Nun interpretieren die Leute das und sagen, die ITU will die Arbeit der ICANN übernehmen und das Domain Name System managen. Das ist überhaupt nicht der Fall.

Sie haben also kein Interesse, die Arbeit der ICANN zu übernehmen?

Hamadoun Touré: Nein. ITU und ICANN haben jeweils ihre Rolle im DNS-Management und sie ergänzen sich dabei. Lassen Sie mich die Entscheidung der ITU-Generalversammlung (ITU Plenipotentiary Conference) zum DNS zitieren, in der es heißt, "es wird entschieden, den Generalsekretär anzuweisen, weiterhin eine maßgebliche Rolle in den Diskussionen und Initiativen im Bereich der Verwaltung der Internet-Domains und IP-Adressen zu übernehmen, soweit sie unter das Mandat der ITU fallen". Das heißt nicht, dass wir die Arbeit der ICANN machen sollen, vielmehr sollen wir Probleme identifizieren, und die ICANN davon in Kenntnis setzen, damit sie sie lösen kann. Mein Mandat kommt von den Mitgliedern der ITU, das sind 191 Mitgliedsstaaten. Es gibt darunter Befürworter und Gegner der Idee, dass die ITU als die auf Informations- und Kommunikationstechnik spezialisierte Agentur der UN das DNS managen soll. Die Tunis-Agenda beim Weltgipfel war ein Durchbruch. Ich hoffe auf einen Erfolg im Geist der Tunis-Agenda.

Wird die ITU selbst eine Stellungnahme zur Evaluierung des IGF abgeben?

Hamadoun Touré: Das überlassen wir den ITU-Mitgliedstaaten und Sektormitgliedern. Ich denke, die Evaluierung sollte von einer unabhängigen Gruppe von Leuten vorgenommen werden. Die ITU ist eine von wenigen Organisationen, die in der Tunis Agenda aufgefordert sind, zum Erfolg des IGF beizutragen. Wir werden das IGF daher weiterhin unterstützten und sicherstellen, dass es seine Ziele erreicht.

Die Evaluierung sollte nicht durch IGF-Teilnehmer erfolgen? Der UN-Generalsekretär könnte eine Gruppe von Leuten für diese Aufgabe auswählen.

Hamadoun Touré: Mein Appell geht lediglich dahin, dass wir nicht so tun, als wäre alles gut, wie es bisher gelaufen ist. Diskussionen sollten nicht dadurch unterbunden werden, dass gesagt wird, ich hätte Hintergedanken. Tatsache ist, dass das IGF geschaffen wurde, um spezielle Fragen zu adressieren, zu denen es keinen Konsens beim ersten Weltgipfel in Genf gab. Wenn es nach fünf Jahren kein Ergebnis gibt, werden die UN Mitglieder den Abschlussbericht zu würdigen haben und entscheiden müssen, ob sie weitermachen wollen, vielleicht in einem anderen Format, oder ob sie den Prozess beenden wollen. Auf jeden Fall sollten wir aber einen Misserfolg mit Ansage vermeiden. Auch die, die mich nun kritisieren für meine Äußerungen sagen mir im persönlichen Gespräch, dass es Probleme gibt. Vielleicht ist es unverblümt, wenn ich sage, wir müssen unsere Karten auf den Tisch legen.

Einige beurteilen den Dialog in der IGF schon als Erfolg.

Hamadoun Touré: Wenn jemand denkt, dass Reden ausreichend ist, will ich das nicht kommentieren. Meine Frage ist aber, ist es wirklich genug, nur zu reden? Wir brauchen Taten. Wir brauchen Ergebnisse.

In Hyderabad gab es einen Vorschlag, dem IGF gewisse Aufsichtsfunktionen über ICANN zu übertragen, wenn der Vertrag zwischen den USA und der ICANN im kommenden Jahr ausläuft. Ein guter Vorschlag?

Hamadoun Touré: Wir wollen Ergebnisse, nicht neue Strukturen. Meine Kritik zielt nicht darauf, ICANN zu ersetzen. Immer wenn es ein Problem gibt, kommt der Ruf nach einer neuen Organisation. Lasst uns nicht ein neues Gremium schaffen, über das wir nichts wissen. Bei der ICANN passieren viele positive Dinge. Die bestehenden Probleme sollten nicht dazu führen, dass wir die ICANN abschaffen oder unter das Dach der ITU bringen. Einen solchen Vorschlag hat es nie gegeben. Ich habe schon genug zu tun, während die ITU sich der globalen Herausforderung stellt, die Welt ans Netz zu bringen. Die Entscheidungen in der Tunis-Agenda zum IGF sind übrigens klar: Das IGF hat keine Aufsichtsrolle über bestehende Arrangements, Mechanismen, Institutionen oder Organisationen und sollte auch nicht versuchen, solche zu ersetzen.

Sie haben den Regierungsbeirat als schwächsten Teil der ICANN kritisiert. Was lautet ihre Empfehlung?

Hamadoun Touré: Die beratende Rolle sollte verschwinden. Es sollte einen Regierungsrat geben und wir müssen einen Mechanismus finden, der alle an den Beratungen beteiligt. Die sagen, der ICANN-Regierungsbeirat GAC habe hundert Mitglieder, aber im Moment ist nur eine Handvoll aktiv. Auch wenn diese wenigen einen fantastischen Job machen, denkt sogar der GAC selbst, dass es Raum für Verbesserungen gibt. Ich würde sagen, sie könnten einen besseren Job bei der Vertretung der Ansichten von mehr Ländern machen.

Was muss getan werden, um die Regierungen an den Tisch zu bringen? Ist die Tür beim GAC nicht offen?

Hamadoun Touré: Man kann immer sagen, die Tür ist offen, aber lädt man mich auch wirklich ein? Jeder kann kommen, aber ich habe festgestellt, dass es seine Menge De-facto-Exklusivität gibt. Man muss die Hand ausstrecken, mehr Länder einladen und einbeziehen. Man sollte nicht sagen, wenn ihr nicht kommt, entscheiden wir für Euch. Man muss es so demokratisch wie möglich machen und die Empfehlungen des GAC mit Blick auf seine Rolle als Regierungsvertreter berücksichtigen.

Besteht nicht die Gefahr, dass Entwicklungen im DNS behindert oder verlangsamt werden, wenn Regierungen Entscheidungen zu treffen haben?

Hamadoun Touré: Wenn das nicht gut gemanagt wird, könnte das passieren. In der ITU sind wir sehr schnell mit Entscheidungen, und trotzdem berücksichtigen wir die Meinungen von Ländern und Industriemitgliedern. Sicherlich hat die ICANN einige Fragen, die verstärkt ideologische Debatten nach sich ziehen. In der ITU vermeiden wir Ideolgiediskussionen.

Könnte sich das ändern, nachdem die ITU das Thema Schutz von Kindern aufgegriffen hat?

Hamadoun Touré: Eine gute Frage. Normalerweise gehen wir Themen dieser Art nicht an. Wissen Sie, warum wir es getan haben? Wir haben es getan, weil jedermann einverstanden ist damit, Kinder im Cyberspace zu schützen. Es gibt kein weltweites Übereinkommen zu vielen anderen Arten von Cyberkriminalität, aber es herrscht Einigkeit, wenn es um Kinder geht. Das ist während des WSIS klar geworden. Wir wollen diesen Punkt daher aufgreifen und einen Rahmen für die Zusammenarbeit entwickeln während wir zugleich das Thema der globalen Agenda für Cybersecurity weitertreiben. Der Schutz von Kindern markiert den Anfang hier, lasst uns zumindest einen Code of Conduct haben. Der Weltgipfel hat die ITU mit der Arbeit innerhalb der Akionslinie C5 betraut, in der es um "Cybersecurity" und "Cybercrime" geht. Wir sollten auch versuchen, einen "Common Code of Conduct for Cyber Crime" zu bekommen.

Die ITU World Telecom Standardization Conference hat auch entschieden, sich um IPv6 zu kümmern und der ITU-Rat hat dem zugestimmt. Was haben Sie hier vor?

Hamadoun Touré: Im Kern geht es in der Resolution darum, Ländern bei der Bewältigung regionaler Aufgaben zu helfen, auf die Bedeutung von IPv6 hinzuweisen und die Abtrennung von IPv6-Adressraum für die Zuweisung und Registrierung durch die Mitglieder zu erforschen. Diese Arbeit startet im kommenden Jahr und entsprechende Informationen zur Umsetzung werden auf unserer Webseite zu finden sein.

Wollen Sie Adressraum für Mitgliedsstaaten bei den regionalen Internetadressvergabestellen oder bei IANA beantragen?

Hamadoun Touré: Da wir mit der Umsetzung erst im kommenden Jahr starten, gerade was die Studie anbelangt, werden weitere Informationen über die Mechanismen noch zur Verfügung gestellt. Immer, wenn wir uns etwas anschauen, haben die Leute gleich Angst, dass wir Ihnen was wegnehmen wollen. Nein, wir wollen die Diskussion bereichern und niemandes Arbeit stören. Genauso ist es ist mit der Zurückverfolgbarkeit von IP-Adressen (IP Trace-back). Wir sind dafür ziemlich kritisiert worden. Aber ich muss sagen, ich kenne nicht ein einziges Land, dass IP-Adressen nicht zurückverfolgen würden, wenn es darum geht, kriminelle Machenschaften zu identifizieren. Wir schauen doch nur, wie zusammengearbeitet und so Prozesse harmonisiert werden können, dass sich ein Standard ergibt. Diejenigen, die sich um den Datenschutz sorgen, sage ich, sie müssen verstehen, dass das Ganze auf der Ebene der IP-Adressen endet. Wenn Land A sieht, dass im Land B etwas Kriminelles passiert, wird A eine Mitteilung machen, dass etwas nicht in Ordnung ist. Unser Beitrag ist die Sicherstellung der Zusammenarbeit. Die ITU unterstützt Dinge wie Datenschutz und Privatheit uneingeschränkt.

IPv6, eine neue Unterarbeitsgruppe zum Thema Internetpolitik und das World Telecommunication Policy Forum (WTPF) das über die gleichen Themen wie das IGF diskutiert – es gibt Leute, die der ITU Expansionsgelüste vorwerfen. Können Sie das nachvollziehen?

Hamadoun Touré: Wir haben das erste WTPF schon 1998 organisiert, lange bevor der WSIS das IGF ins Leben gerufen hat. Denken Sie, das IGF wird alle Probleme lösen? Bei den vier Policy-Foren beschäftigen wir uns mit Themen, die einen politischen Austausch zwischen den Interessengruppen auf oberster Ebene erfordern. Bei der Planung fürs WTPF im kommenden Jahr standen die Kosten für den Datenaustausch im Netz im Vordergrund. Die Art und Weise wie das aktuell läuft, ist nicht fair. Menschen in Entwicklungsländern bekommen eine Menge Spam, für die sie bezahlen, weil sie durch verschiedene internationale Austauschknoten gehen. Wir müssen einen Rahmen dafür diskutieren. Das steht auf der Agenda des WTPF. Wenn das IGF das Problem vor dem WTPF löst, werden wir selbstverständlich sagen, das ist erledigt. Es bestünde keinerlei Notwendigkeit, das neu aufzurollen.

Nichtregierungsorganisationen beschweren sich, dass sie von den Diskussionen bei der ITU ausgeschlossen sind. In Hyderabad diskutierten sie, ob sie Zugang zum WTPF einfordern sollen. Kann die Zivilgesellschaft teilnehmen?

Hamadoun Touré: Ja. Die Zivilgesellschaft kann teilnehmen. Es handelt sich nicht um ein reguläres ITU-Treffen, sondern ein Forum. Die Zivilgesellschaft kann immer teilnehmen, sie weiß einfach nicht, wie das geht. Sie sollte zur ITU kommen, um die entsprechenden Informationen zu bekommen. Sie finden sie auf unserer Webseite. Es ist einfach, man füllt ein Formular aus und man braucht eine Unterschrift der Regierung, die zusichert, dass es sich um eine Nichtregierungsorganisation des entsprechenden Landes handelt. Allerdings müssen NGOs für die Teilnahme bezahlen.

Warum können die NGOs nicht kostenlos teilnehmen?

Hamadoun Touré: Wenn eine Nicht-Regierungsorganisation nachweisen kann, dass sie nichtkommerziell tätig ist und ihre Arbeit der Arbeit der ITU dienlich ist, können wir auf die Gebühren verzichten. Ich möchte die Zivilgesellschaft einladen, den Bericht über die bestehenden Teilnahmemöglichkeiten von Nicht-Mitgliedern an WSIS-Aktivitäten zu lesen. Darin sind verschiedene Teilnahmemöglichkeiten für Nicht-Mitglieder im Rahmen des bestehenden ITU-Regelwerks aufgeführt.

Eine Arbeitsgruppe in der ITU beschäftigt sich mit der Öffnung der ITU für die Zivilgesellschaft. Wie weit ist die Arbeit?

Hamadoun Touré: Sie hat gerade erst begonnen. Ich mische mich in die Arbeit der Mitgliedsstaaten nicht ein. Das Sekretariat sorgt nur für die entsprechende Infrastruktur für die Arbeit. Der endgültige Bericht soll bei der nächsten Generalversammlung (Plenipotentiary) 2010 debattiert werden. (anw)