Wahlprogramme unter der Lupe (4): FDP

Ähnlich wie die Union will die FDP mit ihrem "Deutschlandprogramm" schon im Titel der Arbeit "Vorfahrt" geben. Es gibt aber zahlreiche Reibungsflächen zur CDU/CSU, insbesondere im Bereich Innere Sicherheit und Datenschutz.

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Ähnlich wie die Union will die FDP mit ihrem "Deutschlandprogramm" schon im Titel der Arbeit "Vorfahrt" geben. Ansonsten gibt es in der mit 56 Seiten umfangreich ausgefallenen Wahlkampfschrift allerdings zahlreiche Reibungsflächen zur CDU/CSU, insbesondere im Bereich Innere Sicherheit und Datenschutz. Im Zentrum steht die Vision der "liberalen Bürgergesellschaft, die ihre Kraft aus der Eigeninitiative und Kreativität der Bürgerinnen und Bürger schöpft und nicht von einer anonymen Staatsbürokratie gelähmt wird" (S. 1). Die Liberalen hatten den Surfern knapp zwei Monate zwischen Mai und Juli Zeit gegeben, das Wahlprogramm mit "zu erarbeiten".

Forschung und Spitzentechnologieförderung

Die Grundlage für die Entfaltung des mündigen liberalen Bürgers sind nach Ansicht der FDP "Bildung und Ausbildung und die Vermittlung von Werten" (S. 2). Die Qualität des deutschen Bildungswesens wollen die Liberalen verbessern, "indem die einzelnen Bildungseinrichtungen in einen Wettbewerb um die beste Ausbildung treten" (S. 23). Innovative neue Wirtschaftszweige erhoffen sie sich vor allem aus der Biotechnologie, der Medizintechnik allgemein und der Nanotechnologie. Diese könnten helfen, "Medikamente individuell herzustellen und in kleinsten Dosen zielgenau und ohne Nebenwirkungen an den Krankheitsherd zu bringen", und neue Werkstoffe zu produzieren. Die Liberalen treten daher ein für eine Änderung der deutschen Stammzellengesetzgebung und wollen das therapeutische Klonen unter strengen Auflagen zulassen. Nano-Kompetenznetze sollen gestärkt und international ausgerichtet werden, die Förderung der Nanotechnologie vor allem auf die Produktentwicklung gerichtet werden. Die Informationstechnologie betrachtet die FDP als "Querschnittstechnologie, die als Forschungs- und Wettbewerbsbeschleuniger dient." Deshalb sei es wichtig, auch sie voranzutreiben "und neuere Entwicklungen, in denen Deutschland mit führend ist, wie zum Beispiel die Radiofrequenz Identifikation oder Breitbandtechnologien zum Nutzen von Wirtschaft und Verbrauchern einzusetzen." Dabei betonen die Liberalen aber, dass "der Datenschutz zu wahren" sei (S. 26f.).

Konkrete Zielmarken zur Forschungs- und Technologieförderung nennt das Programm nicht. Vielmehr enthält es das globale Versprechen, dass die Liberalen ab 2006 eine neue "Dekade der Forschung, Gründung und Innovation" einläuten wollen. Spitzenwissenschaftler sollen mit "exzellenten Bedingungen an Hochschulen und Forschungseinrichtungen" in Deutschland gehalten werden. Dazu gehöre neben einer verlässlichen Finanzausstattung und der Entlastung von administrativen Aufgaben "auch die Sicherheit, Forschungsergebnisse unbürokratisch und schnell in Produkte umsetzen, anwenden, patentieren und publizieren zu können". (S. 27).

Verbraucherschutz

Die FDP setzt beim Verbraucherschutz vor allem auf die "Eigeninitiative" der Wirtschaft, etwa durch "freiwillige Selbstverpflichtungen" (S. 20). Eine der Ausnahmen stellt der Schutz der Privatsphäre der Bürger dar, da die Liberalen nicht nur den Staat, sondern vermehrt auch Unternehmen auf Datenjagd sehen. "Die FDP wird deshalb den Datenschutz gerade im nicht-öffentlichen Bereich weiterentwickeln: Das Schutzniveau wird durch Ausweitung und Präzisierung des Einwilligungsvorbehalts verbessert, Datenschutzverletzungen deutlich geahndet und datenschutzgerechte Technik gefördert", geloben sie. Die Videoüberwachung auch durch Private etwa an Tankstellen oder in Geschäften bedarf ihrer Ansicht nach "dringend einer gesetzlichen Grundlage". Generell will die FDP mit aller Macht verhindern, dass der Kunde "gläsern" und "überall lokalisierbar und identifizierbar wird". Bei datenschutzrechtlichen Regelungen wollen sie mit der Entwicklung neuer Überwachungstechnologien wie RFID Schritt halten. "Für uns steht fest: Der Einzelne muss selbstständig darüber bestimmen können, wem er welche personenbezogenen Daten zu welchem Zweck mitteilt", betonen die Liberalen. Auch die elektronische Gesundheitskarte dürfe nicht den "gläsernen Patienten" schaffen. (S. 31).

Geistiges Eigentum

In der Debatte zur weiteren Reform des Urheberrechts bewegten sich die Liberalen bislang auf Allgemeinplätzen und bezogen zu konkreten Fragen wie der Schaffung eines Auskunftsanspruch gegen Provider keine klare Stellung. Ähnlich schwammig fallen die Formulierungen im Wahlprogramm aus: "Die digitale Welt braucht ein starkes Urheberrecht, denn erst ein wirksamer Schutz des geistigen Eigentums durch das Urheberrecht schafft die notwendigen Anreize für kreative Tätigkeit und für Investitionen in deren wirtschaftliche Verwertung", heißt es dort verbunden mit der Aussage, dass "die Modernisierung des Urheberrechts fortgesetzt werden muss". Letztlich bezieht die FDP eine industrienahe Position: Notwendig sei vor allem eine weitere Verbesserung des Rechtsschutzes gegen die illegale Nutzung geschützter Werke, eine zeitgemäße Überarbeitung des urheberrechtlichen Abgabensystems in Richtung Individuallizenzierung mit Absicherung durch Digital Rights Management (DRM) sowie eine "sachgerechte Erleichterung der Nutzung von Archivbeständen in neuen Nutzungsarten" (S. 44). Die FDP hat im Bundestag den interfraktionellen Beschluss gegen Softwarepatente unterstützt. Auf EU-Ebene präsentieren sich die Liberalen bei diesem Thema gespalten.

Innere Sicherheit

"Die freie wirtschaftliche Betätigung der Bürger darf keiner lückenlosen Überwachung durch den Staat unterworfen werden", fordern die Liberalen. Sie geloben insbesondere, "das Bankgeheimnis wiederherzustellen" und die von Rot-Grün eingeführten Befugnisse zur Konteneinsicht zurückzunehmen. Gleichzeitig lehnen sie eine "Steueridentifikationsnummer, die jedem Neugeborenen zugewiesen werden soll", ab, da diese den Datenaustausch zwischen den Behörden und die Kontrollmöglichkeiten des Staates zu sehr erhöhen würde (S. 30). Die auf EU-Ebene geplante "verdachtsunabhängige massenhafte Vorratsdatenspeicherung" im Telekommunikationsbereich wollen die Liberalen verhindern. Zugleich sprechen sie sich gegen eine "automatische Kennzeichenerkennung auf deutschen Straßen ohne konkreten Anlass" aus. Die totale Erfassung sämtlicher Bewegungsdaten der Bürger im realen und virtuellen Raume führe nicht zu mehr Fahndungseffizienz, sondern nur zu einem weiteren Schritt in Richtung Überwachungsstaat. Ebenso sei mit der FDP keine flächendeckende Videoüberwachung zu machen. (S. 31).

Generell sind die Liberalen der Meinung, dass die Innere Sicherheit nur durch den Rechtstaat verteidigt werden könne, nicht gegen ihn. Sie setzen daher "auf konsequente Anwendung des geltenden Rechts, optimale Ausstattung der Polizei- und Sicherheitsbehörden, einen einheitlichen Digitalfunk in Deutschland und eine Verbesserung ihrer Organisationsstruktur sowie der internationalen Zusammenarbeit." Biometrische Daten halten sie für schutzwürdig, "insbesondere vor Manipulation und einem heimlichen Auslesen." Der Einführung von Reisepässen "mit einem digitalen / digitalisierten Lichtbild" wollen sie sich nicht in den Weg stellen. Die Aufnahme weiterer biometrischer Daten halten sie aber "ebenso wie die zentrale Speicherung" nicht für erforderlich. Das umstrittene EU-Fluggastdatenabkommen mit den USA lehnt die FDP ab (S. 32).

Beim Großen Lauschangriff fordern die Liberalen "eine grundlegende Überprüfung aller staatlichen Überwachungsmaßnahmen vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (S. 33). Der FDP-Rechtsexperte Max Stadler räumte jüngst allerdings ein, dass an einem solchen Punkt eine Koalition mit der Union nicht scheitern würde. Die seit Jahren zunehmende Zahl der durch den Staat abgehörten Telefongespräche wollen die Liberalen zum Anlass nehmen "für eine Strukturreform der Telefonüberwachung". Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Anordnung und die Dauer einer entsprechenden Maßnahme wollen sie konkretisieren. Der Katalog der Straftaten, die eine Telefonüberwachung begründen können, müsse "kritisch überprüft werden". Die Benachrichtigung der Betroffenen sei genauso sicherzustellen wie die parlamentarische Kontrolle. Als beste Mittel der Terrorabwehr sehen sie die "Förderung von Freiheit, Entwicklung und Wohlstand, Demokratie und Marktwirtschaft, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten" sowie den "Dialog der Kulturen und Religionen in der ganzen Welt" (S. 49).

Medien- und Internetpolitik

Credo der FDP ist, dass "Bürger und Medien Zugang zu Informationen brauchen, damit sie durch Kontrolle und Kritik dazu beitragen können, machtbedingten Verkrustungen in Staat und Gesellschaft vorzubeugen." Ein "erster wichtiger Schritt" in diese Richtung sei mit der den Liberalen zu verdankenden Verabschiedung eines Informationsfreiheitsgesetzes des Bundes getan worden (S. 31). Künftig wollen die Liberalen "den Prozess der Digitalisierung beschleunigen." Angesichts der "rasanten Veränderungen im Bereich der Telekommunikation, des Rundfunks, der Telemedien" erachten sie einen einheitlichen Rechtsrahmen für nötig. Der Schutz der Verbraucher, insbesondere der Kinder und Jugendlichen, müsse sichergestellt sein, dürfe aber nicht zum Hindernis der technischen und wirtschaftlichen Entwicklung werden. Missbrauchsgefahren im Internet sei hauptsächlich durch stärkere internationale Zusammenarbeit und technische Schutzmaßnahmen zu begegnen. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk bedarf nach Ansicht der Liberalen einer umfassenden Reform. "Werbefreiheit, eine klare Definition des Programmauftrags und die Gewährleistung eines sparsamen Umgangs mit den Rundfunkgebühren" sollen dabei die zentralen Ziele sein (S. 44). Die FDP hat in diesem Sinne auch die Einführung von GEZ-Abgaben auf Internet-PCs scharf kritisiert.

Sonstiges

Die FDP fordert, "dass neue Gesetze grundsätzlich daraufhin überprüft werden, ob sie befristet und mit einem Verfallsdatum versehen werden können". Neue Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften des Bundes sollen grundsätzlich auf fünf Jahre befristet werden (S. 18). Schnelligkeit, Effizienz und Transparenz der Verwaltung sollen beispielsweise über "E-Government­Portale" verbessert werden. Diese "müssen dem Bürger auf jeder Verwaltungsebene ermöglichen, möglichst alle Verwaltungsvorgänge problemlos im Internet vornehmen zu können", fordern sie (S. 19). Allgemein will sich die FDP konsequent für mehr Möglichkeiten für Bürgerentscheide, Bürgerbegehren und Bürgerbefragungen auch auf Landes- und Bundesebene einsetzen, um die wachsende Distanz zwischen der Politik und den Bürgern zu verringern(40). Darüber hinaus plädieren die Liberalen für eine Stärkung des EU-Parlaments, das mit dem gesetzgeberischen Initiativrecht und der vollständigen Budgethoheit auf der Ausgabenseite ausgestattet werden soll (S. 45f).

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(jk)