Das informationelle Selbstbestimmungsrecht neu denken, aber ohne Google

Nichts Geringeres als die Zukunft der informationellen Selbstbestimmung will das Berliner "Forum Privatheit" des Bundesministeriums für Bildung und Forschung definieren. Auf der Auftaktveranstaltung geriet Google unter heftigen Beschuss.

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Von
  • Detlef Borchers
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Rund 180 Millionen Euro will das Bundesforschungsministerium bis 2020 in seinem Forschungsrahmenprogramm "Selbstbestimmt und sicher in der digitalen Welt" für IT-Sicherheit ausgeben. Der Löwenanteil fließt dabei in Informatikprojekte, aber Jurisprudenz, Soziologie und Wirtschaftswissenschaften wollen auch bedacht sein.

Für sie startete in Berlin das Forum Privatheit mit dem Ziel, das 1983 mit dem Volkszählungsurteil entstandene Recht auf informationelle Selbstbestimmung dem täglichen Leben in der digitalen Welt anzupassen: Wie kann dieses Recht normativ verteidigt werden in einer Zeit, in der der mündige Verbraucher im Internet eine Fiktion zu werden droht?

Eric Clemons bezeichnete Google als ein "Accidental Monopoly".

Vor langer Zeit erschien im fernen Westen der Artikel The Right to Privacy. Gleich der erste Satz dieser juristischen Schrift, die von den schleswig-holsteinischen Datenschützern übersetzt wurde, hat es faustdick in sich: Das Recht auf Privatheit ist ein uraltes Recht der Gemeinschaft, muss aber von Zeit zu Zeit neu definiert werden, um wirksam zu schützen.

Nicht anders ist es um das deutsche Recht auf informationelle Selbstbestimmung von 1983 bestellt, das der Kasseler Jurist Gerrit Hornung aus heutiger Sicht "wie ein Märchen aus vergangener Zeit" charakterisierte. Was ist mit dieser Selbstbestimmung in Zeiten, in denen Menschen auf Facebook Details aus ihrem Leben preisgeben oder gleich nach WhatsApp weiterziehen, weil diese Datenwegelagerei sie nervt? Wie kann ein zeitgemäßer, selbstbestimmter Schutz aussehen, bei dem Nutzer ihr digitales Selbst unter Kontrolle haben?

Zu denken gab ein Referat der Psychologin Ricarda Moll von der Universität Münster, die zu den Einstellungen von Jugendlichen im Alter von 16 Jahren forscht. Diese glauben an eine Form der kollektiven Privatheit, die bedenklich sei: "Man kann doch nicht alles abhören, das schaffen die doch gar nicht", zitierte Moll eine repräsentative Meinung.

Die amüsant vorgetragene Keynote zum Start des Forums über "selbstbestimmtes Leben in der digitalen Welt" beschäftigte sich indes überhaupt nicht mit der Selbstbestimmung, sondern mit der Fremdbestimmung durch Google. Im Raum stand die Frage, wie Europa den US-Giganten würgen kann, um Milliarden an Schadensersatz für den erlittenen rechtswidrigen Datenmissbrauch einzufahren.

Eric Clamons von der Wharton School of Business ließ seine Keynote von der Huffington Post übersetzen, damit seine Gedanken breite Resonanz finden. Clamons folgt dem Ansatz der Accidental_Empires von Mark Stephens über Firmen wie Microsoft oder Oracle und erklärte die Entstehung von Google als "Accidental Monopoly" .

Es entstand zu einer Zeit, als niemand den Wert von Suchmaschinen erkannte. Seiner Ansicht nach habe die Europäische Union eine gute Chance, Google für die eklatante Verletzung der europäischen Gesetz zu belangen, weil es Google nicht daran gelegen sein kann, den europäischen Markt zu verlieren. Ohnehin sei Google als Suchmaschine dem Ansatz von Bing technisch unterlegen, meinte Clemons. Sollte sich Google dennoch zurückziehen, würden europäische Firmen den Markt sofort selbst besetzen – wenn sie denn gut genug seien.

Auch der ehemalige Bundesdatenschützer Peter Schaar hatte Google in seiner Keynote im Visier. Er erinnerte an den Skandal, als Google beim Kartographieren der Straßen WLAN-Daten schürfte, eine Aktion, die bis heute ohne Konsequenzen geblieben sei. Bis heute sei diese Aktion nicht geahndet worden.

Und das Argument "ach ja, das waren unsere Ingenieure", die mal schnell etwas ertüfteln können, stimme bedenklich in Zeiten, in denen VW mit ähnlichen Sätzen den Abgasskandal wegwischen würde. Richtig giftig wurde Schaar, als er die Rede vom Datenreichtum kritisierte, die auf dem IT-Gipfel der Bundesregierung vor wenigen Tagen kommod war. "Die Rede vom Datenreichtum ist ein zentraler Angriff auf das Grundrecht der informationellen Selbstbestimmung." (jk)