Bundesliga-Rechte: DFL, Kirch und der "Microsoft-Paragraph"

Geradezu überrumpelt fühlten sich einige Bundesliga-Vereine bei der Verabschiedung des Milliarden-Deals der DFL mit Leo Kirch. Die Clubs könnten nun aber Artikel 82 des EG-Vertrags ins Spiel bringen, der bereits Microsoft zum Verhängnis wurde.

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Von
  • Florian Müller

Reinhard Rauball ist ein Mann der Taten: Obwohl keineswegs sicher gestellt ist, dass das neue Vermarktungsmodell der Medienrechte für die Spielzeiten 2009/10 bis 2014/15, über das die 36 Profivereine der ersten und zweiten Fußball-Bundesliga erst vergangene Woche auf einer außerordentlichen Mitgliederversammlung entschieden, einer juristischen Überprüfung stand hält, hat der Chef der Deutschen Fußball Liga (DFL) den mit drei Milliarden Euro dotierten Kontrakt mit dem Münchner Medienunternehmer Leo Kirch bereits unterzeichnet. Doch hinter den Kulissen rumort es. Nach viel Kritik am Zustandekommen der Entscheidung und Spekulationen über eine Klage scharren nun auch die Wettbewerbshüter mit den Hufen.

Sirius garantiert der DFL sechs Jahre lang Mindesteinnahmen von durchschnittlich 500 Millionen Euro pro Saison. Damit es nicht wieder zu erheblichen finanziellen Verlusten für die Vereine wie beim Zusammenbruch des einstigen Kirch-Imperiums im Jahr 2002 kommt, besteht die DFL diesmal auf 100-prozentigen Bankbürgschaften. Eine der wesentlichsten Veränderungen beim künftigen Vermarktungsmodell der Bundesliga-Medienrechte ist, dass Sirius gemeinsam mit der DFL ein komplettes Bundesliga-TV-Programm produzieren will, welches die letztlichen Abnehmer der Rechte – Pay-TV-Sender, Kabelnetzbetreiber, Mobilfunkunternehmen oder Internetmedien – als Teil des Pakets erwerben müssen. Kritiker sehen dadurch die journalistische Unabhängigkeit bei der Berichterstattung allerdings erheblich gefährdet.

Es droht ein neuer "Fall Bosman"

In den vergangenen Tagen gab es dann widersprüchliche Meldungen hinsichtlich eines möglichen Rechtsstreits, der die Vereinbarung noch kippen könnte. So fragte etwa die Süddeutsche Zeitung (SZ) den Vorstandsvorsitzenden des Hamburger Sportvereins, Bernd Hoffmann, ob sein Club eine Klage gegen den Rechte-Deal beabsichtige. Der gebürtige Berliner hatte sich auf der außerordentlichen Mitgliederversammlung des Ligaverbands in Frankfurt als Einziger klar gegen den Vertrag mit Kirch ausgesprochen. Hoffmanns Antwort gegenüber der SZ lautete zunächst: "Nein." Tags darauf berichtete jedoch die Springer-Presse, der HSV prüfe sehr wohl eine Anfechtung, weil auf der Tagesordnung der Versammlung lediglich der Punkt "Weiteres Vorgehen Medienrechte" aufgeführt war, dann aber auf einmal sehr konkrete Entscheidungen getroffen wurden: Ohne Zeit zum Nachdenken sollten die Vereine einen Milliarden-Deal abnicken.

Sollte der Hamburger Sportverein oder auch einer der zahlreichen Clubs, die sich bei der fraglichen Abstimmung enthielten, tatsächlich den Rechtsweg beschreiten, dann könnte es um mehr gehen als nur um Formfehler. Es droht ein neuer "Fall Bosman". Denn gravierende rechtliche Erwägungen sprechen dafür, dass ein Sportverein zur Teilnahme an einer gemeinsamen Fernsehrechte-Vermarktung von seiner Liga nicht gezwungen werden kann – und erst recht nicht zur Mitwirkung an der besonders umstrittenen Zentralproduktion von Bild- und Tonsignal.

Mit ihrem "Weißbuch des Sports", einem Strategiepapier zur wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Rolle des Sports in den kommenden Jahren, hat die EU-Kommission erst im Juli dieses Jahres erneut bestätigt, dass die Sportverbände sich bei ihren kommerziellen Aktivitäten an das europäische Wettbewerbs- und Binnenmarktrecht zu halten haben. Da half es auch nichts, dass UEFA-Präsident Michel Platini einem EU-Kommissar vorwarf, die Thematik nicht zu verstehen, da er nie selbst Sport getrieben habe. Ein FIFA-Funktionär soll gar gegenüber EU-Parlamentariern getönt haben: "Wir sind die Regierung des Fußballs."

Zentralvermarktung

Das EU-Recht könnte nun jedem Bundesligisten zu Pass kommen, der dem DFL-Kirch-Deal seine Zustimmung verweigert hat und ihn gerichtlich angreifen will. Denn die DFL kann die Übertragungsrechte an der Bundesliga nur vermarkten, indem sie die Vereine dazu verpflichtet, auf die eigene Vermarktung ihrer diesbezüglichen Rechte zu verzichten. Dieser Zwang sieht so aus, dass jeder Bundesliga-Club nur dann eine Lizenz für eine Spielzeit erhält, wenn er sich der Zentralvermarktung – und künftig dann auch noch der Zentralproduktion des Signals – unterwirft. Der Verband verkauft die Rechte und verteilt die Einnahmen nach einem festgelegten Schlüssel. Zum Vergleich: In Spanien und Italien darf jeder Club die Medienrechte an seinen Heimspielen selbst vermarkten und die Einnahmen behalten. Dies wird von den Spitzen-Clubs klar bevorzugt.

Im Weißbuch des Sports stellt auch die EU-Kommission fest, dass die Zentralvermarktung "Wettbewerbsfragen" aufwerfe, jedoch von ihr "unter bestimmten Voraussetzungen akzeptiert" werde. Unter Auflagen hat die Generaldirektion Wettbewerb der Brüsseler Behörde in drei früheren Fällen ihr Plazet zur Zentralvermarktung erteilt: für die UEFA Champions League, die englische Premier League und die deutsche Bundesliga.

Dass Fußballvereine bestimmte Partien nach Spielende im Internet in voller Länge streamen dürfen, hat die EU-Kommission den Sportverbänden abverlangt, um die Entwicklung des Marktes für Breitbandmedien gegen die Folgen frühzeitiger Monopolbildung zu schützen. Die separate Vermarktung von Fernseh- und IP-basierten Rechten fällt in den gleichen Zusammenhang. In ihren betreffenden Entscheidungen wies die Kommission stets darauf hin, dass es im Wesentlichen zwei Arten von Content sind, die Pay-TV und neuen Medien die Akquise und Bindung großer Abonnentenzahlen ermöglichen: Live-Übertragungen von Fußballwettbewerben, die über einen großen Teil eines Jahres ausgetragen werden, sowie Kinofilme.

Die Kommission stützte sich hier ausschließlich auf Artikel 81 des EG-Vertrags, den Kartellparagraphen des Europarechts. Das heißt allerdings, dass sie stillschweigend vorausgesetzt hat, alle teilnehmenden Vereine würden aus freien Stücken bei der Zentralvermarktung mitmachen. Bei der DFL-Abstimmung über den Sirius-Deal votierte aber einer (der HSV) dagegen und etwa ein Viertel der insgesamt 36 Clubs enthielt sich. Wird ein Club nun zur Mitwirkung an einem Rechtedeal, den er gar nicht wollte, verpflichtet, kann er Artikel 82 des EG-Vertrags – den Missbrauchsparagraphen – ins Spiel bringen.

Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung

Auf Grundlage jenes Artikels 82, der den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung verbietet, wurde beispielsweise Microsoft zu hohen Strafzahlungen, dem Anbieten von Windows-Varianten ohne Media Player und der Offenlegung von Schnittstellen verurteilt. Nach EU-Recht kann nicht nur ein klassischer Konzern, sondern auch ein Verband, der große Sportwettbewerbe veranstaltet, eine marktbeherrschende Stellung bis hin zu einem Monopol haben. Erhält ein deutscher Profifußballclub keine Lizenz von der DFL, wird er so schnell keine andere deutsche Fußballliga finden, die ihm vergleichbare Einnahmemöglichkeiten bietet.

Der Missbrauchsparagraph ist weit gefasst, beschreibt aber auch einige Formen missbräuchlichen Verhaltens. So darf ein marktbeherrschendes Unternehmen nicht "sonstige Geschäftsbedingungen" diktieren, die unangemessen sind. Die Teilnahme an der Zentralvermarktung der Fernsehrechte als Bedingung für den Erhalt einer Bundesliga-Lizenz könnte darunter fallen. Durch sie wird ein wesentliches immaterielles Eigentum eines Vereins – seine Übertragungsrechte beziehungsweise sein Recht, Übertragungen untersagen zu lassen – vergemeinschaftlicht. Die Verbände argumentieren unter anderem mit dem Prinzip der "Solidarität" und dem Erhalt des sportlichen Gleichgewichts mittels Einnahmeteilung, jedoch müssten sie davon erst einmal ein Gericht überzeugen. Die Gegenposition ist, dass es nur dem Staat zustehe, sich über Steuern und Abgaben als Umverteiler zu betätigen.

Der neue DFL-Deal böte im Falle einer Anfechtung noch eine weitere Angriffsfläche, die bei früheren Fällen der Zentralvermarktung in dieser Form gar nicht bestand: das Bundesliga-TV-Programm, das Kirch vorproduzieren will. Sowohl die Vereine als auch die Fernsehsender, die letztlich die Abnehmer sein sollen, könnten sich darüber beschweren, dass eine "Einschränkung der Erzeugung [...] zum Schaden der Verbraucher" erfolge und die Sender "zusätzliche Leistungen abnehmen" müssten, "die weder sachlich noch nach Handelsbrauch in Beziehung zum Vertragsgegenstand" stünden. Selbst wenn kein Club, TV-Sender oder Internetanbieter klagt, droht der DFL Ungemach: Das Bundeskartellamt will laut FTD die Zentralvermarktung von sich aus auf den Prüfstand stellen.

Der Autor war früher gegen Softwarepatente aktiv und vertrat im Vorfeld des "Weißbuch des Sports" der EU die Interessen von Real Madrid, insbesondere im Kontext eines siebenjährigen Fernsehrechtevertrags mit mehr als 1,1 Milliarden Euro Volumen. Hierbei stellte er sich gegen Forderungen zum Beispiel des FC Bayern München, dass auch die spanische Primera División die Zentralvermarktung einführen sollte. (ha)