Telepräsenz mit Hirnsignalen

Menschen mit schweren motorischen Einschränkungen könnten eine neue Methode bekommen, um mit der Welt zu interagieren: über einen Roboter, der von ihren eigenen Gedanken gesteuert wird.

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Von
  • Signe Brewster

Menschen mit schweren motorischen Einschränkungen könnten eine neue Methode bekommen, um mit der Welt zu interagieren: über einen Roboter, der zum Teil von ihren eigenen Gedanken gesteuert wird.

Italienische und Schweizer Forscher haben einen experimentellen Telepräsenzroboter entwickelt, der zum Teil von eigenen Algorithmen gesteuert wird und zum Teil von Gedanken des Nutzers. Das System wird als gemeinsame Steuerung bezeichnet: Über ein Headset, das Gehirnwellen detektiert, lässt der Nutzer den Roboter wissen, wohin er sich bewegen soll, um Details wie das Umfahren von Hindernissen und das Bestimmen der besten Route kümmert sich die Maschine dann selbst.

Im Wesentlichen handelt es sich bei dem Roboter um ein auf einem Rollgestell befestigter Laptop. Der Nutzer sieht sein Umfeld über die Webcam des Geräts und kann über Skype mit anderen Menschen kommunizieren.

Um den Roboter zu steuern, tragen Nutzer eine Kappe mit einer Reihe von EEG-Sensoren und stellen sich Bewegungen mit ihren Füßen oder Händen vor. Jede Bewegung entspricht einem anderen Kommando, also etwa vorwärts, rückwärts, links oder rechts. Software übersetzt die unterschiedlichen Anweisungen in Aktionen für den Roboter.

Wie er am besten vorwärtskommt und wann er beschleunigen kann, entscheidet die Kontrollsoftware des Roboters jedoch eigenständig. Neun Infrarot-Sensoren dienen der Entdeckung von Hindernissen.

Dieses Konzept erleichtert die Nutzung des Roboters so sehr, dass er eine praktische Möglichkeit werden könnte, um behinderten Menschen mehr Unabhängigkeit zu geben, sagt Robert Leeb, ein Forscher an der ETH Lausanne, der an dem Projekt beteiligt war. "Stellen Sie sich einen Endnutzer vor, der angeschlossen an alle zur Lebenserhaltung nötigen Systeme zuhause im Bett liegt", so Leeb, "mit so einem Telepräsenz-Roboter könnte er wieder am Familienleben teilnehmen."

Getestet haben die Forscher ihren Roboter, indem sie ihn von Menschen mit und ohne Behinderung durch mehrere Räume voller Hindernisse navigieren ließen. Beide Gruppen legten den Kurs in ähnlichen Zeiten zurück. Insgesamt mussten sie dafür weniger Anweisungen geben als für eine Komplettsteuerung des Roboters, und der Kurs wurde schneller absolviert.

Bei den nicht-behinderten Teilnehmern wurde auch getestet, wie schnell sie den Roboter ohne jedes Autonomie-Element mit der Hand steuern konnten. Wie sich zeigte, ging das nur wenig schneller als die Steuerung mit gemeinsamer Kontrolle und Hirn-Computer-Schnittstelle. Die Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift Proceedings of the IEEE veröffentlicht.

Der Einsatz von Hirn-Computer-Schnittstellen wird derzeit in vielen Bereichen getestet, etwa zur Steuerung von Rollstühlen oder für das Bewegen von Prothesen. Mit im Hirn implantierten Lösungen lassen sich Roboter-Prothesen beeindruckend gut steuern, doch sie sind schwierig zu installieren und zu warten, so dass sie noch nicht weit verbreitet sind.

Nichtinvasive Hirn-Computer-Schnittstellen dagegen erfassen EEG-Signale, indem sie lediglich an mehreren Punkten die Kopfhaut berĂĽhren. Das ist weniger genau, aber deutlich praktischer. Einfache Systeme fĂĽr die Heimnutzung wie das Kopfband Muse, das beim Meditieren helfen soll, oder Emotiv fĂĽr den Spielebereich sind bereits verfĂĽgbar.

"In den vergangenen fünf Jahren haben Hirn-Computer-Schnittstellen einen großen Schritt aus dem Labor heraus in Krankenhäuser und Privathaushalte gemacht", sagt Gernot Müller-Pulz, Leiter des BCI Institute an der Technischen Universität Graz. Geräte, die früher nur zu Forschungszwecken entworfen wurden, würden jetzt mit mehr Aufmerksamkeit für die Bedürfnisse von Menschen neu gestaltet, die darüber mit Technologie interagieren wollen oder müssen.

Allerdings erklärt Leeb, dass sein System der gemeinsamen Kontrolle mit Robotern noch jahrelang nicht auf den Markt kommen wird. Denn die meisten Bemühungen zur Kommerzialisierung von EEG-basierten Hirn-Computer-Schnittstellen konzentrieren sich auf günstige Geräte mit nur einer Anwendung, nicht auf hochwertige Sensoren, die für viele unterschiedliche Zwecke genutzt werden können.

"Wenn wir ein System entwickeln, das von jedem leicht genutzt werden kann, genau wie ein Mobiltelefon, wĂĽrde das der Technologie fĂĽr Hirn-Computer-Schnittstellen deutlich weitere Verbreitung verschaffen", sagt Leeb.

(sma)