Wenn der Chef ein Algorithmus ist
Der Fahrdienst Uber sieht sich als reiner Vermittler mit vollkommen unabhängigen Mitarbeitern. Wie eine Studie zeigt, nimmt das Unternehmen über sein Computersystem trotzdem regelmäßig Einfluss auf die Fahrer.
- Tom Simonite
Der Fahrdienst Uber sieht sich als reiner Vermittler mit vollkommen unabhängigen Mitarbeitern. Wie eine Studie zeigt, nimmt das Unternehmen über sein Computersystem trotzdem regelmäßig Einfluss auf die Fahrer.
Sie verschickt in letzter Minute Anfragen zu Extraschichten und antwortet nicht auf Bitten um eine Gehaltserhöhung: Die Software, die für Uber Fahrer verwaltet, hat offenbar einiges mit unfreundlichen menschlichen Chefs gemeinsam.
Forscher sehen mit automatischen Managementsystem wie bei Uber und seinem Konkurrenten Lyft eine neue Dynamik zwischen Arbeitnehmern und ihren Brötchengebern enstehen, die nähere Untersuchungen erfordert. Ein Ende November von dem nicht-kommerziellen New Yorker Forschungsinstitut Data & Society veröffentlichter Fachaufsatz beschreibt, wie das Uber-System Einfluss auf das Verhalten der Fahrer nimmt, und regt an, die Aufsichtsbehörden sollten sich damit beschäftigen.
Uber bezeichnet seine Fahrer als "unabhängige Dienstleister" und lockt neue Fahrer mit dem Versprechen "Du bist dein eigener Boss". Alex Rosenblat, Forscherin bei Data & Society und eine der Autorinnen des Aufsatzes, hat einige Fahrer ausführlich befragt, weniger formell vom Rücksitz von Uber-Autos aus mit vielen weiteren gesprochen und fast ein Jahr lang Diskussionen zwischen Fahrern in Online-Foren beobachtet. Die Realität für Uber-Dienstleister, so sagt sie, sieht anders aus: "Uber kontrolliert auf vielerlei Weise, wie sich Fahrer in dem Job verhalten."
Bei der Erstanmeldung für Uber oder Lyft müssen neue Fahrer meist mit einem echten Menschen sprechen. Anschließend interagieren sie mit einem automatisierten Managementsystem, das hauptsächlich über eine App funktioniert.
Wenn ein Fahrer angemeldet ist, weist die App ihm Fahrtanforderungen von Kunden in der Nähe zu. Als Feedback nutzt das System die Quote der angenommenen Fahrten (Lyft und Uber lassen den Fahrern jeweils 15 Sekunden Zeit für die Entscheidung) und die durchschnittliche Bewertung von Passagieren nach der Fahrt. Wer nicht genügend Fahrten akzeptiert oder zu schlechte Ratings bekommt, kann gesperrt werden. Mit vorübergehenden Preiszuschlägen werden Anreize geschaffen, zu bestimmten Zeiten oder in bestimmte Gebiete zu fahren.
Manche Passagiere mögen die Preisaufschläge nicht, doch Uber-CEO Travis Kalanick verteidigt sie als einfachen Mechanismus, um Angebot und Nachfrage in Einklang zu bringen.
Manchmal jedoch bekommen Fahrer Nachrichten, die sie dazu drängen, an einem bestimmten Tag zu einer bestimmten Zeit zu arbeiten, weil zum Beispiel hohe Nachfrage vorausgesagt wird. Und laut Berichten erhalten sie auch Nachfragen, wann genau sie in den kommenden Tagen arbeiten werden.
Laut Rosenblat zeigt das, dass Uber nicht einfach nur den Markt entscheiden lässt. Fahrer müssten entscheiden, wie sehr sie dem Unternehmen trauen wollen, um mehr zu verdienen. Und viele schätzen die kleinen Schubser vom System gar nicht oder ignorieren sie, berichtet die Forscherin.
"Uber sagt, man wolle als neutraler Intermediär agieren, der Angebot und Nachfrage über einen automatischen Mechanismus für das Finden des richtigen Preises zusammenbringt", sagt Rosenblat. "Man kann aber schlecht behaupten, eine neutrale Plattform zu sein, wenn man aktiv versucht, Angebot und Nachfrage zu steuern."
Auch die Rückmeldungen der Fahrgäste nutzt Uber, um das Verhalten der Fahrer zu beeinflussen, sagt Rosenblat. Um keine Sperre zu riskieren, sind die Fahrer stark motiviert, eine gute Bewertung zu behalten. Manchmal verschickt das Unternehmen E-Mails mit sehr konkreten Ratschlägen dazu, wie man positive Ratings bekommt – etwa mit kleinen Snacks oder Gesprächen über andere Geschäftsinteressen.
Für Rosenblat ist ausgemacht, dass die Aufsichtsbehörden prüfen sollten, ob die Beeinflussung von Fahrern durch Uber zu weit geht. Die Handelsaufsicht U.S. Federal Trade Commission zeige bereits Interesse an der Studie, die zusammen mit Luke Stark von der New York University als Co-Autor entstand und Ende November bei einer Konferenz über Arbeit in der on-demand-Wirtschaft in Brüssel vorgestellt wurde.
Min Kyung Lee, Forscherin am Center for Machine Learning der Carnegie Mellon University, hat in diesem Jahr eine eigene Studie über Arbeiten für Uber und Lyft vorgestellt. Demnach waren die Fahrer meist zufrieden mit dem "algorithmischen Management", das ihnen Fahrten zuweist und in Spitzenzeiten die Preise anhebt. Manchmal aber klagten sie auch, zu unvernünftig erscheinenden Aktionen gedrängt zu werden, etwa dazu, weit entfernte Fahrgäste abzuholen.
Lee wie Rosenblat berichten, sie hätten angenehme Kontakte zu Uber gehabt, und das Unternehmen zeige sich interessiert an ihrer Forschung. Laut Sprecherin Jessica Santillo stellt Uber den Fahrern Informationen zur Verfügung, mit denen sie ihr Einkommen steigern können; ebenso gut könnten sie die Hinweise aber ignorieren. "Fahrer nutzen Uber zu ihren eigenen Bedingungen. Sie bestimmen, wie sie die App nutzen", sagt sie.
Gegen Uber läuft eine Sammelklage von früheren Fahrern, deren Ergebnis davon abhängt, wie viel Kontrolle das Unternehmen über sie ausübt. Die Fahrer müssten als Angestellte verstanden werden, nicht als freie Dienstleister, so dass ihnen auch die entsprechenden Nebenleistungen und die rechtliche Stellung zustehe, heißt es in der Klage.
Laut Rosenblat hat das drohende juristische Problem dafür gesorgt, dass manche Fahrer ihr Verhältnis zu Uber eher in Frage stellen. "Fahrer sind sich der Unabhängigkeit bewusst geworden, die sie als Dienstleister genießen sollten. Also beginnen sie, Fragen zu stellen wie 'Warum kann ich den Grundtarif nicht selbst bestimmen?'", berichtet sie. In manchen US-Städten beträgt der Mindesttarif nur 5 Dollar – vor dem Anteil für Uber.
Lee fürchtet, dass solche Spannungen zunehmen könnten, wenn Unternehmen nach dem Vorbild von Uber mächtiger werden und automatische Managementsysteme auch in anderen Bereichen Einzug halten. "Ich sehe viel Gutes in solchen Algorithmen, aber wir müssen vorsichtig dabei sein, wie wir sie auslegen", sagt sie.
(sma)