Google: Quanten-Chip ist millionenfach schneller

Ein kleines Start-up machte mit der Ankündigung des ersten kommerziellen Quantencomputers der Welt Furore. Die Fachwelt war skeptisch, doch jetzt hat Google als einer der ersten Kunden extreme Vorteile bestätigt – jedoch mit Einschränkungen.

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Von
  • Tom Simonite

Ein kleines Start-up machte mit der Ankündigung des ersten kommerziellen Quantencomputers der Welt Furore. Die Fachwelt war skeptisch, doch jetzt hat Google als einer der ersten Kunden extreme Vorteile bestätigt – jedoch mit Einschränkungen.

Google hat nach eigenen Angaben Beweise dafür, dass eine im Jahr 2013 gekaufte umstrittene Maschine tatsächlich Quantenphysik nutzt. Dadurch kann sie für Künstliche Intelligenz entscheidende Berechnungen deutlich schneller vornehmen als konventionelle Computer.

Regierungen und große Computerfirmen wie Microsoft, IBM und Google bemühen sich intensiv darum, so genannte Quantencomputer zu entwickeln. Denn die merkwürdige Welt der Quantenmechanik verspricht enorme Fortschritte bei der Rechenleistung. Quantencomputer sollen Software für Künstliche Intelligenz weitaus leistungsfähiger machen und große Fortschritte in Bereichen wie der Materialwissenschaft ermöglichen, die NASA will damit Raketenstarts planen und zukünftige Missionen und Raumschiffe simulieren.

Der Suchkonzern hatte im Jahr 2013 von einem kanadischen Start-up namens D-Wave eine Maschine gekauft, die als "erster kommerzieller Quantencomputer der Welt" beworben wurde. Der D-Wave 2X wurde im Ames Research Center der NASA in Kalifornien aufgestellt. Er nutzt einen supraleitenden Chip mit der Bezeichnung "Quantum Annealer". Fest darin einprogrammiert ist ein Algorithmus für die Lösung so genannter Optimierungsprobleme, die bei Maschinenlernen und Künstlicher Intelligenz häufig auftreten. Er kann diese Probleme mit – immerhin – 924 Variablen bis zu 100 Millionen Mal schneller berechnen als klassische Rechner.

Unter Quantenphysikern sind die Chips von D-Wave jedoch umstritten. Forscher innerhalb und außerhalb des Unternehmens waren bislang nicht in der Lage, zwingend zu beweisen, dass die Geräte tatsächlich mit Quantenphysik konventionelle Computer schlagen.

Jetzt aber hätten seine Forscher belastbare Beweise dafür geliefert, sagte am Dienstag Hartmut Neven, Leiter des Quantum AI Lab von Google in Los Angeles. Das Team habe eine Reihe von Wettrennen zwischen dem Computer von D-Wave bei der NASA und einem konventionellem Computer mit einem Prozessor veranstaltet. Das Ergebnis: "Für ein bestimmtes, sorgfältig gewähltes Proof-of-Concept-Problem haben wir eine Beschleunigung um das 100-Millionenfache erreicht", sagte Neven.

Später stellte Google einen Forschungsaufsatz ins Internet, der aber keinem formalen Peer-Review unterzogen wurde. Veröffentlichungen in Fachzeitschriften sollen laut Neven folgen.

Die Ergebnisse sind spektakulär – doch selbst wenn sie verifiziert werden, wäre das nur eine teilweise Betätigung für D-Wave. Auf dem im Wettkampf unterlegenen Computer lief Programmcode, mit dem er das gestellte Problem mit einem sehr ähnlichen Algorithmus wie dem im Chip von D-Wave fest eingebauten anging. Mit einem alternativen Algorithmus wäre der andere Computer deutlich besser gewesen. Wenn er sich eine, so Neven, "Schwäche" im Design von D-Wave zunutze gemacht hätte, hätte er sogar gewinnen können. Trotzdem war der Test laut Neven wichtig. Denn wenn klassische Computer demnächst gegen Quantum Annealer antreten müssen, die mit größeren Datenmengen zurechtkommen, lässt sich die angesprochene Abkürzung nicht mehr nutzen.

Laut Matthias Troyer von der ETH Zürich sind solche Fortschritte entscheidend, wenn Chips wie die von D-Wave wirklich nützlich werden sollen. "Es wird wichtig sein, herauszufinden, ob es Probleme gibt, bei denen Quantum Annealing Vorteile sogar gegenüber den besten klassischen Algorithmen hat, und ob es Klassen von Anwendungsproblemen gibt, bei denen sich diese Vorteile realisieren lassen", teilte er in einer Stellungnahme zusammen mit zwei Kollegen mit.

Im vergangenen Jahr hatte Troyers Gruppe eine viel beachtete Studie über einen früheren Chip von D-Wave veröffentlicht – mit dem Ergebnis, dass er keine Vorteile gegenüber konventionellen Rechnern biete. Das sei jetzt zum Teil überholt., so die Forscher: "Die Ergebnisse von Google zeigen tatsächlich einen riesigen Vorteil bei diesen sorgfältig ausgewählten Instanzen."

Beim Versuch, einen Quantum Annealer für nützliche Aufgaben zu entwickeln, konkurriert Google inzwischen mit D-Wave. Vergangenen Sommer eröffnete das Unternehmen ein neues Labor in Santa Barbara, geleitet von einem angesehen Akademiker, John Martinis.

Martinis arbeitet gleichzeitig auch an Quanten-Hardware, die anders als die Annealer nicht auf Optimierungsprobleme beschränkt sein soll. Ein solcher universeller Quantencomputer ließe sich für jedes Problem programmieren, wäre also weitaus nützlicher, dürfte aber noch länger auf sich warten lassen. Staatliche und Universitätslabore sowie Microsoft und IBM arbeiten ebenfalls an der Technologie.

John Giannandrea, der als Vice-President die Forschungsaktivitäten von Google koordiniert, sieht schon für die Quantum Annealer großer Potenzial: Wenn sie sich in der Praxis nutzbar machen ließen, könnten sie viele Anwendungen in der Maschinenlern-Software von Google finden. "Wir sind bei unseren Produkten schon Problemen begegnet, die mit bestehenden Computern nicht praktikabel zu lösen sind, und wir haben sehr viele Computer", sagt Giannandrea. Allerdings werde es wohl noch mehrere Jahre dauern, bis sich die Forschungsarbeit wirklich in Google-Produkten niederschlage.

(sma)