Die Banalität des Dark Commerce: Das Darknet als Einkaufsmeile

Unter der inoffiziellen Darknet-Endung .onion hat sich eine vielfältige, kommerzielle Landschaft entwickelt. Die illegalen Kryptomärkte sind hoch professionell und ähneln den Pendants im legalen Onlinehandel. Ein Einblick in die Welt des Dark Commerce.

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Die Banalität des Dark Commerce: Das Darknet als Einkaufsmeile

Doctor D ist mit knapp 5.000 der sechsgrößte Kryptomarkt. Um sich von den anderen abzuheben, setzt er auf Mehrsprachigkeit und auf bunte Bilder und Animationen.

Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Stefan Mey
Inhaltsverzeichnis

Sie heißen Alphabay, Nucleus Marketplace oder Darknet Hereos League - und beerben den zu unrühmlicher Bekanntheit gelangten Krypto-Marktplatz Silk Road. Jede Menge illegale Marktplätze sind unter der inoffiziellen Internetendung .onion zu finden, die sich nur mithilfe des Anonymisierungs-Dienstes Tor betreten lassen. Diese .onion-Inhalte sind zumeist gemeint, wenn über das Darknet geredet wird. Auf "Branchen"-Blogs wie Deepdotweb.com oder in Listen auf der Diskussionsplattform Reddit finden Neulinge die Links zu den großen und kleinen Kryptomärkten.

Auf den Amazons und Zalandos der digitalen Unterwelt werden alle Arten illegaler Güter angeboten, fein säuberlich nach Kategorien geordnet. Das Geschäft funktioniert ähnlich wie der klassische Onlinehandel, meint der Administrator von Alphabay, dem zur Zeit größten Kryptomarkt: "Alphabay ist ein Online-Marktplatz so wie jeder andere auch. Der einzige Unterschied ist, dass bei uns auch illegale Güter verkauft werden können."

19 aktive Marktplätze listet das Blog Deepdotweb in einer Übersicht auf. Die Märkte unterscheiden sich vor allem in der Zahl ihrer Listings. Alphabay hat mehr als 70.000 Produktangebote unterschiedlicher Händler. Der kleine Konkurrent Tochka kommt nur auf knapp 700. Der aus der legalen Internetwirtschaft bekannte Netzwerkeffekt, kommt auch im Darknet voll zum Tragen. Der größte Marktplatz hat etwa so viele Listings wie die vier folgenden Wettbewerber zusammen:

  1. Alphabay – 75.375 Produkt-Listings
  2. Nucleus Marketplace – 29.783 Produkt-Listings
  3. Crypto Market – 18.722 Produkt-Listings
  4. Dreammarket – 17.747 Produkt-Listings
  5. Valhallah – 6361 Produkt-Listings
  6. Dr. D's Multilingual Market – 4839 Produkt-Listings
  7. Hansa Market – 4404 Produkt-Listings
  8. East India Company – 3793 Produkt-Listings
  9. Darknet Heroes League – 3507 Produkt-Listings
  10. Python – 3497 Produkt-Listings

Einkaufen im Darknet (7 Bilder)

Alphabay ist mit mehr als 70.000 Produktangeboten verschiedener Händler der zur Zeit größte Kryptomarkt und feierte im Oktober die Marke von 200.000 Nutzern.

Dieser Größen-Effekt wird im Darknet allerdings immer wieder gebrochen, da mit schöner Regelmäßigkeit die jeweiligen Marktführer vom Markt verschwinden. Sei es wegen eines Polizeizugriffs wie beim legendären Marktplatz Silk Road Ende 2013 oder einem "Exit Scam" wie im Fall von Evolution im März dieses Jahres, bei dem Millionen geparkter Nutzerguthaben verschwanden. Und im August vermeldete der damals größte Kryptomarkt Agora, aus Sicherheitgründen offline zu gehen. Den Betreibern war das Geschäft doch zu riskant geworden.

Der Konkurrenzkampf zwischen den Märkten wird oft mit harten Bandagen ausgefochten. "Als wir mit Hansa angefangen haben, mussten wir DDoS-Attacken abwehren und Versuche, uns zu hacken." erinnert sich der der Betreiber von Hansa Market. "Solche Angriffe scheinen im Umgang von Darknet-Märkten miteinander zum Tagesgeschäft zu gehören." Beim Konkurrieren mit anderen Märkten gehe es zum einen darum, wer die beste Technik hat, meint der Administrator von Doctor D, man müsse aber auch immer mit Angriffen rechnen: "DDOS-Attacken, Diebstähle von Bitcoins und ähnliches. Vor solchen Dingen muss man sich schützen, damit einem die anderen nicht schaden können."

Die Produktpalette auf den Marktplätzen ist oft identisch. Die größte Gruppe machen Drogen aus, vor allem Marihuana, Ecstasy, Kokain und Speed. Zu "Drugs and Chemicals", der größten Kategorie auf Alphabay, zählen auch noch verschreibungspflichtige Medikamente, vor allem Schmerzmittel, Beruhigungsmittel und Potenzpillen.

Prominent vertreten sind auch verschiedenste Fälschungen. Eine Dreierpackung 20-Euro-Scheine etwa ist für 22 US-Dollar zu haben. Ein deutscher Personalausweis mit Hologramm und Wasserzeichen kostet 685 US-Dollar. Auch eher Banales ist im Angebot, etwa ein Rolex-Imitat für 99 US-Dollar. Und manche Marktplätze – wenn auch längst nicht alle – führen auch Waffen. Auf Alphabay beispielsweise werden in der Kategorie Butterfly-Messer, Pfefferspray und Schlagringe auch Waffen des österreichischen Waffen-Herstellers Glock angeboten.

Dann gibt es noch verschiedene digitale Güter, etwa Lebenszeit-Accounts für Netflix (1,95 US-Dollar), Spotify (0,50 US-Dollar) oder diverse Porno-Streaminganbieter. Und die Kryptomärkte sind auch eine Volkshochschule für Online-Kriminelle. Ein Ratgeber für 0,50 US-Dollar erklärt, wie man von einem gehackten PayPal-Account Geld abzieht, ein umfassendes Hacking-Tutorial kostet 5,50 US-Dollar. Hinzu kommen diverse Helferlein für kleine und große Cyber-Ganoven: gehackte Kreditkartendaten etwa oder Software für Onlineattacken.

Wie auch auf Webshops im offenen Netz gibt es mitunter sehr klare Produktpolitiken. Strikt verboten sind auf Alphabay beispielsweise Kinderpornographie und Auftragsmorde.

Der Tausch von Kinderpornographie, das dunkelste Kapitel der Darknet-Nutzung, läuft eh nicht über diese Marktplätze ab, wie Thomas Hofmann, Mitarbeiter des Referats Kinderpornografie der Abteilung Schwere und Organisierte Kriminalität des Bundeskriminalamts, erklärt. Bilder missbrauchter Kinder werden in versteckten Tor-Foren getauscht, in einer perfiden Tauschwirtschaft ohne industrielle Strukturen: "Wir haben – von seltenen Ausnahmen abgesehen – bisher nicht feststellen können, dass es in Tor-Boards um Geld geht, sondern um den Austausch von Kinderpornografie unter gleichgesinnten Pädophilen."

Auch im Darknet werden zum Black Friday Kunden mit tatsächlichen oder vermeintlichen Rabatte geködert.

Da auch bei Kryptomärkten im Darknet die Wettbewerber stets nur einen Klick entfernt sind, lassen sich Mechanismen beobachten, die denen im klassischen E-Commerce ähneln. So beteiligten sich Händler mit tatsächlichen oder vorgeblichen Sonderpreisen an der Rabattschlacht des "Black Friday ". Viele Marktplätze haben ein Freunde-werben-Freunde-Programm, bei dem man für jeden geworbenen Käufer oder Händler belohnt wird.

Das eigentliche Killer-Feature dürften allerdings die Nutzerbewertungen sein, die jeder Käufer abgeben kann. "Beste verkäufer ever vielen dank ich komm wieder." schreibt einer, der gerade 2,5 Gramm Kokain erworben hat. Auch ein Käufer des Schmerz- und Rauschmittels Tilidin zeigt sich durchwegs zufrieden: "Ich habe gestern bestellt, es war heute abend da. Fairer Preis und angemessene Sicherheitsmaßnahmen." Auf diese Art lassen sich "schwarze Schafe" unter den Händlern identifizieren.

Händler und Betreiber von Darknet-Märkten sagen deswegen gern, dass dieses Reputationssystem zu einer hohen Qualität der gehandelten Güter führe. "Wer Produkte in unzureichender Qualität verkauft, könnte bald keine Geschäfte mehr machen. Auf der Straße muss man das kaufen, was man kriegt." meint der Administrator von Hansa Market. Deswegen seien Kryptomärkte gut für Konsumenten und absolut nicht unmoralisch. Was nach einer leicht durchschaubaren Marketing-Argumentation klingt, wird immer wieder auch von Studien festgestellt. Der jährlich durchgeführte Global Drug Survey geißelt zwar die leichte Verfügbarkeit von Drogen im Darknet, attestiert aber durchaus auch positive Effekte dieses neuen Vertriebswegs: "Weniger Gefährdung durch Gewalt, weniger verunreinigte Drogen, mehr Vertrauen in die Produktqualität und ein Abwandern des Straßenhandels waren klare Vorteile."

Grams durchsucht verschiedene große Kryptomärkte. Oft dominieren in den Trefferlisten allerdings wenige, große Anbieter.

Für Transparanz in der digitalen Unterwelt will auch eine kleine Szene spezialisierter Darknet-Dienstleister sorgen, mit Geschäftsmodellen, die man teilweise aus der legalen Netzwirtschaft kennt. Die Produktsuchmachine Grams (.onion-Link) aggregiert Angebote von Händlern auf verschiedenen großen Marktplätzen. Über Grams Ads können Händler dann Textanzeigen zu einzelnen Suchbegriffen schalten. Der Grams-Gründer hat auch ein Händler-Vergleichsportal aufgebaut und mit Tor Ads (zur Zeit allerdings offline) ein Werbenetzwerk, über das Inhaber von Darknet-Seiten ihre Inhalte monetarisieren können.

Zum kommerziellen Ökosystem des Darknets gehören auch die verschiedenen Bitcoin-Mixer wie Bitcoin Blender oder Helix. Sie verschleiern die Herkunft von Bitcoins, der Leitwährung des Darknets.

Vor allem der Ermittlungsdruck des Staates ist es, der die Geschäfte auf dem Kryptomarkt prägt. "Wir müssen wissen, was sich im Darknet abspielt. Rechtsfreie Räume, in denen Straftäter unbehelligt agieren, dürfen wir nicht zulassen." sagt Dirk Büchner, Referent in der Gruppe Cybercrime des BKA. Man gehe derzeit von 20 bis 25 illegalen Marktplätzen aus, die für Deutschland relevant sind.

Die Angst, trotz aller Sicherheitsmaßnahmen aufzufliegen, dürfte der Grund dafür sein, dass viele Marktplätze und auch Händlerprofile oft erstaunlich kurzlebig sind. Immer wieder gelingen der deutschen Polizei punktuelle Zugriffe. Im Februar etwa wurde der junge Leipziger "Shiny Flakes" verhaftet, der aus seinem Zimmer in der elterlichen Wohnung knapp eine Tonne Drogen gehandelt haben soll. Mitte November gab es bundesweit Razzien gegen Käufer von Falschgeld. Und Mitte November wurde ein mutmaßlicher Waffenhändler aus Baden-Württemberg hochgenommen.

Schaut man sich an, wie unbekümmert im Darknet Geschäfte gemacht werden, scheint es allerdings, als ob die Gefahr dann doch nicht so groß ist. Den Ermittlungsdruck müsse man natürlich sehr ernst nehmen, meint der Administrator von Doctor D. Wenn man jedoch auf ein hohes Level an IT-Sicherheit achtet, sei das Risiko trotzdem vertretbar: "Wenn deine Sicherheitsvorkehrungen gut genug sind, und du nicht so dumm bist, mit jemandem einen engeren persönlichen Kontakt aufzubauen, ist es immer noch sicher." meint er.

Und auch der Alphabay-Betreiber ist davon überzeugt, dass er sich angemessen zu schützen weiß: "Behörden haben ihre Grenzen, und wir wissen, wie wir einer Entdeckung entgehen können. Dass man verdächtigt wird, kann passieren, aber um verurteilt zu werden, braucht man substanzielle Beweise, was in solchen Fällen sehr schwierig ist."

  • Weitere Details zum Handel mit Waffen, Ausweisen und Drogen im deutschen Darknet liefert der Beitrag "Schwarzmarkt Deutschland" aus c't 13/12016

(mho)