Geschützt oder Gemeingut? Streit ums Urheberrecht von Anne Frank

Anne Frank schrieb ein weltberühmtes Tagebuch. Doch 70 Jahre nach dem Tod des jüdischen Mädchens gibt es Streit darum, wer die Texte nutzen und veröffentlichen darf. Gegen den Willen des Anne Frank Fonds steht eine niederländische Version frei im Netz.

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Anne Frank deutsche Erstausgabe

Cover der deutschen Erstausgabe.

(Bild: Woodland987, CC BY-SA 4.0)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Sebastian Kunigkeit
  • Annette Birschel
  • Thomas Burmeister
  • dpa

Was Anne Frank in ihrem holländischen Versteck ins Tagebuch schrieb, bewegt die Menschen noch heute. Generationen von Jugendlichen haben anhand ihrer ergreifenden Texte nachvollzogen, was der Nationalsozialismus für ein jüdisches Mädchen bedeutete. Ein historisches Dokument, das zum Ärger des Anne Frank Fonds nun frei im Internet publiziert wurde. Jetzt tobt ein Streit um das Urheberrecht – und indirekt auch um die Frage, wie das Erbe Anne Franks am besten bewahrt werden kann.

Anlass für den Zwist ist ein trauriger Jahrestag: 2015 jährte sich der Tod des Mädchens im Konzentrationslager Bergen-Belsen zum 70. Mal. Nach Ansicht der französischen Grünen-Abgeordneten Isabelle Arrand und des Wissenschaftlers Olivier Ertzscheid von der Universität Nantes ist damit der Urheberschutz ausgelaufen. Sie schufen Fakten. Am 1. Januar stellten die beiden das Tagebuch ins Internet. "Dieser Text ist noch mehr als andere dazu bestimmt, aller Welt zu gehören", sagt Ertzscheid der Deutschen Presse-Agentur.

Der in der Schweiz beheimatete Anne Frank Fonds, gegründet von Annes Vater Otto Frank und Alleinerbe der Autorenrechte, hält die Veröffentlichung dagegen für einen Rechtsbruch. Auch wenn es sich nur um eine "Kurzversion" auf Niederländisch aus dem Jahr 1947 handele, verletze sie dennoch das Copyright, sagt Fonds-Sprecher Yves Kugelmann. Die Stiftung argumentiert mit der komplizierten Geschichte der Veröffentlichungen des Tagebuchs – der Schutz gelte deshalb noch viele Jahre weiter.

Die Amsterdamer Anne Frank Stiftung, die die Original-Schriften als Dauerleihgabe vom niederländischen Staat erhalten hat, und der Baseler Fonds trafen sich wegen der Urheberrechte sogar schon vor Gericht. Der Fonds hatte zuletzt gegen die geplante Veröffentlichung einer wissenschaftlichen Studie der Stiftung geklagt. Doch ein niederländisches Gericht entschied anders. Texte aus dem Tagebuch dürfen nach dem Urteil vom Dezember für wissenschaftliche Zwecke kopiert und veröffentlicht werden. Die Freiheit der Wissenschaft habe Vorrang vor dem Urheberrecht.

Die Richter bestätigten aber auch die Verlängerung des Urheberrechts. Da noch 1986 die textkritische Gesamtausgabe mit bis dahin unveröffentlichten Textpassagen erschienen war, gelte das Urheberrecht weitere 50 Jahre bis 2036 – zumindest in den Niederlanden. Dem stimmt auch die Stiftung zu und legte ihren Plan einer erneuten Veröffentlichung auf Eis. Im Hinblick auf die 1947 veröffentlichte erste Printversion führt der Schweizer Fonds noch ein Argument ins Feld: "Die gedruckte Version des Tagebuches wurde von Otto Frank kurz nach dem Zweiten Weltkrieg herausgegeben; sie basierte auf den zwei sich überschneidenden, aber jeweils nicht komplett von Anne Frank ausgearbeiteten hinterlassenen Versionen des Tagebuchs", heißt es auf ihrer Webseite.

Nach Ansicht des Fonds hat der 1980 gestorbene Otto Frank sich mit der Zusammenstellung ein eigenes Copyright erworben. "Das erscheint mir als falsches Argument, das die Öffentlichkeit am Zugang zu einem entscheidenden Zeugenbericht hindert", kritisiert Olivier Ertzscheid. Er fürchtet sogar, diese Argumentation könne von Antisemiten zum Vorwand genommen werden, die Echtheit des Tagebuchs anzuzweifeln. Die Stiftung betont dagegen ihren Auftrag, mit den Autorenrechten eben genau darauf zu achten, dass die Tagebuch-Texte nicht verfälscht werden.

Ob sie nun vor Gericht zieht, beantwortet die Stiftung zunächst nicht. Kugelmann schreibt, man prüfe bei Rechtsverletzungen "von Fall zu Fall ob und wie wir vorgehen". "Wir verhandeln das aber nicht in der Öffentlichkeit." Ertzscheid nimmt das Risiko jedenfalls in Kauf – in einem Anwaltsschreiben, das er ebenfalls auf seiner Webseite veröffentlichte, hatte die Stiftung ihm vorab mit Konsequenzen gedroht. Er meint: "Es ist ein Fall, der es verdient, diskutiert zu werden." (kbe)