Analyse: Microsoft beerdigt Lumias und Windows Phone? Wohl kaum.

Microsoft wolle die Entwicklung der Lumia-Smartphones stoppen oder Windows 10 Mobile gleich ganz beerdigen, schallt es durch die Gerüchteküche. Da steckt vielleicht ein wahrer Kern drin, aber die Schlussfolgerung stimmt nicht, meint Jörg Wirtgen.

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Analyse: Zu dem Gerücht, Microsoft stelle Lumias und Windows 10 Mobile ein
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Stampft Microsoft Windows 10 Mobile ein und die Lumia-Familie gleich mit? Dieses heiße Gerücht macht gerade die Runde durchs Netz. Der russische Blogger Eldar Murtazin will aus Kreisen von Microsofts Hardware-Partnern erfahren haben, dass Windows 10 Mobile vor dem Aus steht und die Lumia-Smartphones einem Surface-Phone mit Intel-Prozessor weichen sollen. Das klingt natürlich aufregend. Doch meiner Meinung nach ist da nichts dran – auch wenn Microsoft den Partnern durchaus interessante Pläne verraten haben dürfte.

Ein Windows-Phone mit x86-Prozessor mag durchaus kommen: Android-Phones mit Intels Atom-Abkömmlingen gibt es seit Jahren, und die Anpassungen für Treiber und Software dürften Microsoft leicht fallen. Ob sich das für einen Telefonhersteller lohnt, ist unter anderem eine Frage der Rabatte, die Intel oder die ARM-Konkurrenz bieten, von den LTE-Fähigkeiten der Chips mit Blick auf die Zielmärkte, vielleicht auch von Stückzahlen.

Eine Analyse von Jörg Wirtgen

Schreibt seit 1999 für c't und heise online, anfangs über Mainboards und Prozessoren, seit vielen Jahren nun über Notebooks, Smartphones und Tablets. Daneben beschäftigen ihn Android-Programmierung und die Synchronisation des ganzen Geräteparks.

Für Microsoft hätte ein x86-Smartphone den zusätzlichen Reiz, dass Continuum – die Technik, mit der das Smartphones zum Desktop-Rechner wird, siehe Test in der aktuellen c't 3/15 – auf Win32-Apps ausgebaut werden könnte. Damit ließen sich Desktop-Apps auf den Smartphones installieren, wenn auch vermutlich nicht unterwegs nutzen, sondern nur im Desktop-Modus unter Continuum. Die Performance solcher x86-Smartphones läge etwa auf dem Niveau der billigen Atom-Netbooks und -Tablets, was für manchen Außendiensteinsatz oder gar Büroalltag völlig ausreicht.

Ob Microsoft so ein x86-Smartphone mit Super-Continuum nun als Lumia oder Surface verkauft, entscheiden die Marketing-Abteilungen. Dabei werden sie die Verkaufszahlen der Surface-Tablets und des Surface Book genau beobachten.

Denkbar ist, dass alle Lumias nach und nach x86-Prozessoren bekommen. Beim darauf folgenden Windows-Update könnte der ARM-Code dann auch komplett aus Windows entfernt werden. Ich bezweifele allerdings, dass der x86-Umstieg kurzfristig passiert, denn noch wären solche Geräte so teuer, dass Microsoft den in einigen Märkten durchaus achtbaren Erfolg der Billig-Lumias gefährden würde. Zudem hatte Microsoft vor kurzem erst angekündigt, Windows 10 Mobile fit für die 64-Bit-ARMs zu machen.

Nun wird trotzdem spekuliert, dass Microsoft die Lumias beerdigt und damit einen endgültigen Schlussstrich unter die glücklose Nokia-Übernahme zieht. Den Ausstieg dürfte das Unternehmen intern schon durchgespielt haben. Doch Microsoft ist zuzutrauen, so etwas gerade gegenüber den Hardware-Partnern zu einem geschickteren Zeitpunkt anzukündigen – und nicht die just vorgestellten Lumias zu ungeliebten Altlasten abzustempeln.

Vielleicht möchte Microsoft nur die Nokia-Marke loswerden und die Telefone unter einem anderen Namen vertreiben? Aber warum eine zumindest in einigen Märkten ganz gut funktionierende Marke aufgeben zugunsten einer völlig unbekannten? Wahrscheinlicher ist ein Nebeneinander: Hochpreisige Surface-Smartphones für den Business-Einsatz, die günstigeren Lumias für den Privatanwender.

Vielleicht überlasst Microsoft den Billigmarkt sogar ganz den Hardware-Partnern und konzentriert sich auf das Highend-Segment – ähnlich wie es Google mit den Nexus- und Pixel-Geräten macht. Dann wäre es wohl folgerichtig, mit eigenen Modellen nur unter Surface-Marke aufzutreten, so wie es Microsoft schon bei Tablets und Notebooks macht. Doch das birgt das Risiko, dass die Windows-Telefone dann nicht in allen Marktsegmenten erhältlich sind, in denen Microsoft sie gerne sehen würde – mit den Lumias behält Microsoft das selbst in der Hand.

Doch wie auch immer der Plan hier aussieht, nichts davon bedeutet das Aus für Windows 10 Mobile als Plattform. Bei bei der jüngsten Insider Preview von Windows 10 hatte Microsoft – vielleicht als Reaktion auf die Gerüchte – hauptsächlich die Build-Nummern der Desktop- und Mobile-Version zusammengefüht. Das klingt nicht gerade nach einem bevorstehenden Ende. Microsoft will den Code beider Versionen mit der Xbox- und Hololens-Codebasis vereinheitlichen und dann nur noch einen OneCore genannten Kern weiterentwickeln. In diesem Sinne endet die bisherige Entwicklung von Windows Phone – möglicherweise hat Murtazins Quelle da was falsch verstanden.

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Ein Kommentar zu den Microsoft-Apps:

Auch hat Microsoft voriges Jahr erst riesige Anstrengungen unternommen, die Konvertierung von Apps zu erleichtern: Entwickler sollen iOS- und Android-Sourcecode mit wenigen Änderungen für Windows fit machen können. Die Windows Bridge genannten Projekte befinden sich zwar fast ein Jahr nach der Ankündigung noch immer in der Preview-Phase. Doch immerhin hat die iOS-Preview vor zwei Wochen ein Update bekommen, was ebenfalls nicht nach einem Ausstieg aussieht.

Schließlich würde ein Ausstieg Microsofts "Mobile-First"-Mantra widersprechen. Apps sollen demnach überall gleich aussehen, Daten beim Wechsel des Geräts sofort vorhanden sein – das lässt sich mit einer eigenen Mobilplattform am besten realisieren. Klar, die iOS- und Android-Versionen von Office, Skype oder OneDrive leisten das zum Teil, aber eben nicht vollständig. Selbst eine Art Microsoft-Android ähnlich dem Amazon-Ansatz würde nicht allen Anforderungen gerecht werden.

Zusammengefasst: Ja, x86-Smartphones mit Windows 10 Mobile könnten kommen, einem Surface-Telefon stände das sogar gut. Die Lumias verschwinden vielleicht, entweder nur als Marke, vielleicht aber auch die Geräte. Doch auf Windows 10 Mobile kann Microsoft derzeit nicht verzichten, selbst wenn der Erfolg weiterhin ausbleibt.

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(jow)