Testfahrt Polaris Slingshot

Geschleudert

Wie BRP mit dem Can-Am Spyder bietet jetzt auch der Konkurrent Polaris ein dreirädriges "Powersports"-Fahrzeug für die Straße an. Mit ein paar einfachen Mitteln haben sie dafür gesorgt, dass es gescheit fährt

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Wie BRP mit dem Can-Am Spyder bietet jetzt auch der Konkurrent Polaris ein dreirädriges "Powersports"-Fahrzeug für die Straße an. Mit ein paar einfachen Mitteln haben sie dafür gesorgt, dass es gescheit fährt

Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Clemens Gleich
Inhaltsverzeichnis

"Können wir schon machen, diese Dreiräder fahren halt alle ein bisschen kacke", antwortete ich dem Kollegen Florian auf seine Frage, ob wir Polaris' neues Spaßfahrzeug namens "Slingshot" bringen sollten. Meine Erfahrungen mit "zwei Räder vorne, ein Rad hinten" waren eher enttäuschend. Can-Ams Spyder zum Beispiel vereinte die Nachteile von Autos mit denen von Motorrädern und mischte noch eigene Nachteile hinein. Heraus kam ein Fahrzeug, das tricky zu steuern war, langsamer als ein Motorrad in den Kurven, so langsam wie ein Auto beim Beschleunigen und so breit, dass man nicht durch den Verkehr schneiden kann. Es war fast so physikbehindert wie Gespann fahren. "Jetzt fährst es erstmal", sagte der Polaris-Mann zu meinen Dreirad-Erfahrungen gelassen. Und nach drei Kurven war klar, dass Polaris es irgendwie hingekriegt hat, ein Dreirad zu bauen, das Auto-Kurvenspeed schafft.

In die Breite

Wie Polaris das hingekriegt hat, wird schnell klar, wenn man vor dem Fahrzeug oder vor den technischen Daten steht. Die Spur ist vorne mit 1755 mm einfach brutal breit. Die Gesamtbreite des Slingshot liegt mit 1971 mm nahe am für diese Fahrzeugklasse maximal Erlaubten. Auf dieser breiten Achse lagert das Hauptgewicht von Motor, Getriebe, Stahlrohrrahmen und selbst ein guter Teil des Passagiergewichts. Selbst mit zwei DIN-Passagieren liegen noch über 60 Prozent des Gewichts auf der Vorderachse. Die Servo-unterstützt gelenkten Räder werden von Doppelquerlenkern geführt. Eine Stabi-Stange von Bus-Dimension federt gegen Kurven-Rollbewegungen des Chassis. Das Hinterrad sitzt an einer gezogenen Aluguss-Schwinge und wird von einem Zahnriemen angetrieben. Dessen Pulley hat Polaris auf ein Umlenkgetriebe am Ende der Kardanwelle montiert. Der koreanische Reifenhersteller Kenda hat dazu Straßensportreifen geliefert und obwohl alle gezweifelt haben, ob sie die nötige Erfahrung dazu mitbringen: Diese Reifen funktionieren sehr gut. Sie bauen Sportreifen-Grip auf und erleichtern mit ihrem weichen Grenzbereich Ausprobier-Aktionen.

Den Motor kauft Polaris nebst Fünfgang-Getriebe von GM zu: 2,4 Liter Hubraum, Sauger, Reihenvierzylinder, 175 PS, 227 Nm. Also, wegen dem Motor kauft man das Teil jedenfalls nicht. Es ist einfach irgendein Antrieb. Nein, der Grund, warum Polaris nach eigenen Angaben seit dem Start im September 2014 zwischen 15.000 und 20.000 Einheiten in den USA verkauft hat, ist der des Toyota GT86: Es gibt kein anderes Fahrzeug, das so schnell und so einfach beherrschbar übersteuert. Schon mit allen Fahrhilfen angeschaltet erlaubt Polaris deutliche Schlenker, die es verblüffend sanft einfängt. Bei abgeschalteter Traktionskontrolle wandert das Rad richtig weit aus und hinterlässt in den kleinen Gängen Duftspuren aus Gummirauch in der Kurvenlandschaft. Obwohl das Fahrzeug so simpel aufgebaut ist, beeindruckte die Regelgüte alle Probefahrer. Meine persönliche Theorie ist, dass die ESP-Drehratensensoren aufgrund des sehr kurzen Fahrzeugs sehr deutliche, eindeutige Signalausschläge erhalten und die Regel-Software daraus die praktisch masselose Hinterachse durch sehr kleine Eingriffe vorn korrigieren kann.

Frontfahrzeug

Überhaupt fährst du dieses Dreirad komplett über die Vorderachse. Die Hinterachse schiebt dabei hinten schwänzelnd an wie diese hyperaktiven Kinder, die die Einkaufswägen ihrer Eltern in die Wursttheke beschleunigen. Vom Sitz aus erkennt der Fahrer die Position beider Räder anhand ihrer segelartigen, großen Kotflügel. Standardmäßig sitzt vor den Passagieren eine niedrige Scheibe. Man kann sie abmontieren oder gegen eine Double Bubble tauschen. Da es Dreipunktgurte und Rollbügel gibt, darf man sich aussuchen, ob man mit oder ohne Helm fährt. Ich persönlich würde die Scheibe demontieren, weil ihre Oberkante mein Sichtfeld genau in der Mitte durchschneidet und ab etwa 110 km/h unangenehme Rüttelwirbel am Helm erzeugt. Dann lieber einen Motorradhelm direkt anströmen lassen. Man kann natürlich ohne Helm fahren, genauso wie man auf dem Motorrad mit offenem Helm fahren kann. In der Praxis werden Leute, die relevante Distanzen fahren, Integralhelme tragen, weil Wind, der die Backen durchknetet und mit Wespen beschießt, auf Dauer als etwas unkomfortabel empfunden wird. Das Cockpit hat wie die Sitze Wasserabläufe. Der Slingshot kann daher wie Polaris' Geländedinger komplett abgekärchert werden und wie ein Motorrad im Regen herumstehen.