Welttag des Radios in Zeiten von Spotify und Co.

Drei von vier Deutschen schalten täglich das Radio ein. Unter jüngeren Hörern hat der Hörfunk es jedoch schwerer. Zum Welttag des Radios ein Blick in die Zukunft und in die Vergangenheit.

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Welttag des Radios in Zeiten von Spotify und Co.

(Bild: pixabay.com)

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  • dpa
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Das Radio ist schon viele Tode gestorben. Dinah Washington sang Anfang der 50er Jahre "TV is the thing this year/Radio was great, now, it's out of date". The Buggles behaupteten ein Vierteljahrhundert später "Video killed the Radio Star" – Bewegtbild galt als größter Konkurrent. Am heutigen Samstag ist Unesco-Welttag des Radios – und das Medium lebt noch immer. Aber ist es noch zeitgemäß?

Heute muss sich das Radio noch ganz anderer Konkurrenz als der des Fernsehers erwehren. Viele Menschen streamen Musik übers Internet. Das Monopol, den passenden Musikmix zu liefern, hat das Radio verloren. Was können die Sender tun, um ihre Bedeutung im digitalen Zeitalter nicht zu verlieren?

Drei von vier Deutschen hören der aktuellen Media-Analyse Agma zufolge täglich Radio – ein Wert, der seit Jahren auf ähnlich hohem Niveau ist. Nur das Fernsehen ist mit rund 80 Prozent beliebter. Alles bestens also? Nicht wirklich. Den höchsten Wert – 81 Prozent und mehr – erzielt das Radio bei den 50- bis 69-Jährigen. Unter den 14- bis 29-Jährigen ist die Quote von 2005 bis 2015 um sechs Punkte auf knapp 67 Prozent gesunken. Weiter wie bisher zu machen ist also keine Option. Bislang versuchen viele Sender, junge Menschen mit Präsenz in den sozialen Netzwerken oder Apps fürs Handy zu erreichen. Ob das auch künftig reicht, ist unsicher.

Für die allgemeine Popularität des Radios seien zwei Faktoren entscheidend, sagt der Medienwissenschaftler Kiron Patka von der Universität Tübingen: zum einen die persönliche Ansprache des Moderators, der Moderator als Marke. Zum anderen der regionale Service-Charakter. Regenjacke oder Wintermantel? Stau oder freie Fahrt? Solche Kompetenzen könne kein Streamingdienst bieten.

Themen des Weltradiotages 2016

(Bild: diamundialradio.org)

Apple versucht es dennoch. Der Konzern hat ein Radio in seinen Streamingdienst Apple Music integriert, das rund um die Uhr aus Los Angeles, New York und London moderiert wird. "Egal, wo du bist oder wann du einschaltest, du hörst dasselbe großartige Programm wie alle anderen Hörer", heißt es auf der Webseite. Diese Globalität widerspricht dem Gebot der Regionalität – Patka glaubt deshalb nicht, dass es funktioniert.

Ein weiteres Plus: "Radio ist das Nebenbeimedium schlechthin", sagt die Kommunikationswissenschaftlerin Romy Fröhlich von der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität. Der Hörer braucht nichts weiter zu tun als einzuschalten. Was er nicht muss: nachdenken, welches Lied als nächstes läuft. Nicht umsonst tüfteln die Streamingdienste an immer neuen Algorithmen, die den Geschmack des Hörers treffen sollen.

Wie aber lassen sich die bisherigen Hörer halten und junge Hörer hinzugewinnen? Romy Fröhlich und auch Golo Föllmer, Musik- und Medienwissenschaftler an der Universität Halle-Wittenberg, sehen die Zukunft in der Individualisierung des Mediums. Einerseits in Sachen Programm, andererseits in Sachen Werbung.

Bislang ist das Radioprogramm vielfach so wie noch vor Jahrzehnten. Nachrichten, Wetter, Stauwarnung, Musik und dazwischen der Moderator. Eine Alternative kann personalisiertes Radio sein. Wer keinen Sport mag, der bekommt Alternativen geboten. Wer gerne Wortprogramm hört, für den gibt es lange Reportagen und Nachrichtenstücke. Auch eine Taste, mit der Beiträge übersprungen werden können, ist denkbar. Einzelne Versatzstücke, die je nach Hörer verschieden angeordnet sind. Bei den Nachrichten zur vollen Stunde könnte das Programm wieder zusammenlaufen. "Radio à la carte", nennt Fröhlich das.

Ein Treiber dieser Entwicklung könnte die Werbebranche sein. Föllmer spricht von "targeted advertising", zielgerichteter Werbung also. Anstelle des Gießkannenprinzips – jede Werbung für jeden Hörer – könnten die Werbespots auf die Interessen des einzelnen abgestimmt werden. "Extrem attraktiv" sei das für die Werber, sagt Fröhlich. In zehn Jahren könnte es Föllmer zufolge soweit sein. Gestorben ist das Radio bis dahin sicher nicht. (Michel Winde, dpa)


1917 im Ersten Weltkrieg organisiert der Rundfunkpionier Hans Bredow (1879-1959) an der Westfront in Frankreich mit einem per Fußdynamo betriebenen Röhrensender ein Unterhaltungsprogramm für Soldaten im Schützengraben. Für die verwunderten Radiohörer der ersten Stunden spielen Offiziere Ziehharmonika oder es werden Grammophonplatten abgespielt.

"Hier ist Berlin" beginnt am 29. Oktober 1923 Deutschlands die erste offizielle Radiosendung aus dem Haus der Schallplattengesellschaft VOX in der Potsdamer Straße. Als "Deutsche Stunde" wird ein festliches Konzert übertragen. 1923 werden im Deutschen Reich nur etwa 500 Radioempfänger registriert, zwei Jahre später schon 500.000.

Das Hamburger "Hafenkonzert" des Norddeutschen Rundfunks ist die weltweit älteste noch regelmäßig ausgestrahlte Radiosendung. Für die Premiere am 9. Juni 1929 von Bord des Dampfers "Antonio Delfino" spielt das Altonaer Symphonieorchester Opern-Melodien. Unter den Kopfhörern der Detektorradios sind die hohen Töne der Streicher kein Vergnügen. Die Verantwortlichen beschließen darum, vorerst nur noch Blasorchester zu verpflichten.

Die Nationalsozialisten bringen 1933 für Propagandazwecke den "Volksempfänger" auf den Markt. Der Preis von 76 Mark entspricht damals etwa zwei durchschnittlichen Facharbeiter-Wochenlöhnen. 1938 folgt der "Deutsche Kleinempfänger" für 35 Mark. "Jetzt kannst auch Du Rundfunkteilnehmer werden", versprechen die Machthaber. Um 1940 werden bereits 15 Millionen von ihnen gezählt.

"Wir unterbrechen unser Programm für eine aktuelle Durchsage", klingt es am 30. Oktober 1938 in den USA mitten in einer Radio-Konzertübertragung. Orson Welles (1915-1985) inszenierte eine fiktive Reportage als glaubwürdiges Katastrophenszenario über den Angriff von Außerirdischen. Viele Menschen fliehen in Panik, bei der Polizei blockieren entsetzte Anrufer die Telefonleitungen. Der "Krieg der Welten" wird zum berühmtesten Hörspiel der Rundfunkgeschichte.

Am 4. Mai 1945, vier Tage vor Ende des Zweiten Weltkrieges, beginnt die britische Militärregierung von Hamburg aus den Radio-Sendebetrieb. Bis März 1946 richten die vier Besatzungsregierungen in ihren jeweiligen Zonen Rundfunkstationen ein. 1948 wird der Nordwestdeutsche Rundfunk – Vorläufer von NDR und WDR – als erste Rundfunkanstalt des öffentlichen Rechts gegründet. 1950 konstituiert sich die Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten Deutschlands (ARD). (anw)