Thüringens Verfassungsschützer Kramer in der Kritik

Wegen seiner Forderung, dass Nachrichtendienste die Verschlüsselung von Nachrichten und E-Mails umgehen können sollten, muss sich der Chef des Thüringer Verfassungsschutzes Stephan Kramer scharfe Kritik gefallen lassen.

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Nachrichtenverschlüsselung

(Bild: Bild: dpa, Ole Spata/Archiv)

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  • dpa

Thüringens Verfassungsschutzpräsident Stephan Kramer ist erst wenige Wochen im Amt, doch mit seiner Forderung nach staatlichen Werkzeugen zum Aushebeln von Verschlüsselungstechniken im Internet hat er nun scharfe Kritik aus den Reihen der rot-rot-grünen Regierungskoalition in Erfurt provoziert. Mit solchen Vorschlägen fache er das Misstrauen vieler Menschen gegenüber Nachrichtendiensten nur weiter an, äußerte sich die netzpolitische Sprecherin der Grünen-Landtagsfraktion, Madeleine Henfling gegenüber der dpa. Kramer rüttle an den Grundfesten einer freiheitlichen Gesellschaft. Wie Henfling lehnen auch die Linke-Netzpolitikerin Katharina König sowie der Landesdatenschutzbeauftragte Lutz Hasse staatliche Möglichkeiten zum Aushebeln von Verschlüsselungen ab.

Kramer hatte vor wenigen Tagen in einem Interview mit Spiegel Online eingeräumt, dass Nachrichtendienste wie der Thüringer Verfassungsschutz Schwierigkeiten hätten, Nachrichten zu beobachten, die über Smartphone-Apps verschickt werden. "Und ich sage ganz deutlich: Das kann nicht wahr sein! Wir wissen, dass gerade subversive Gruppen sich natürlich inzwischen dieser Messenger bedienen." Wenn es für analoge Kommunikationswege wie den Brief die Möglichkeit gebe, diese zu überwachen, müsse das auch in der digitalen, verschlüsselten Welt gelten. "Hier besteht politischer Handlungsbedarf", hatte Kramer gesagt.

"Ich verstehe Verschlüsselung auch als digitale Selbstverteidigung, um mich, meine Daten und die Menschen, mit denen ich kommuniziere, zu schützen", betonte dagegen Henfling. Die Forderung Kramers sei daher "völlig unverständlich". Es gebe keinerlei rot-rot-grüne Überlegungen, solche Eingriffe in die Sicherheit von Verschlüsselungstechniken durch die "Hintertür" zu fördern, sagte die Linken-Abgeordnete König. "Wir werden keinesfalls die nachrichtendienstlichen Befugnisse zum Grundrechtseingriff für das Amt für Verfassungsschutz erweitern." Für den Behördenleiter Kramer sei nur maßgeblich, was das Regierungsbündnis als Grundlage der Koalition vereinbart habe.

Vor allem auch das FBI warnt immer wieder mit dem Mantra "Going Dark", dass Ermittler aufgrund zunehmender Verschlüsselung im Internetzeitalter "blind" werden. Hingegen betonen Harvard-Experten erst kürzlich, dass die Befürchtungen von Ermittlern stark übertrieben seien, dass sich aufgrund zunehmender Verschlüsselung Verdächtige nicht mehr überwachen ließen.

Kramer ist seit Dezember 2015 Chef des Thüringer Inlandsnachrichtendienstes. Er war von Rot-Rot-Grün auf diesen Posten geholt worden, nachdem der Präsidentenjob jahrelang vakant gewesen war. Kramers Vorgänger Thomas Sippel war über den NSU-Skandal gestürzt.

Für Landesdatenschützer Hasse kommt Kramers Vorstoß zur Unzeit. Das in Folge von NSU- und NSA-Skandal verloren gegangene Vertrauen der Menschen in die Nachrichtendienste sei noch längst nicht wieder hergestellt. Weil der Staat nichts tue, um die digitale Sicherheit seiner Bürger zu gewährleisten, seien die Menschen auf Verschlüsselungstechnologien aller Art geradezu angewiesen. Dies setze voraus, dass diese Verschlüsselungstechniken sicher und nicht zu knacken seien. Weil er aber auch die Sorgen Kramers verstehe, wolle er das Gespräch mit ihm suchen.

Wie Hasse argumentierte auch Henfling, es sei ein Irrglaube anzunehmen, dass sich zum Beispiel Terroranschläge durch das Aushebeln von Verschlüsselungen verhindern ließen. Gerade der Terror von Paris habe gezeigt, dass es nicht zu wenig Daten für die Sicherheitsdienste gebe, sondern dass aus den vorhandenen Daten nicht die richtigen Schlüsse gezogen worden seien, sagte Henfling. Vor den Attentaten in der französischen Hauptstadt im November seien mehrere der Täter den Behörden bekanntgewesen. (pen)