Soziale Schüler surfen

Die Gefahr einer Reizüberflutung und Vereinsamung der Jugendlichen durch Internet und Fernsehen sehen Medienwissenschaftler nicht - ganz im Gegenteil.

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Von
  • Tim Braune
  • dpa

Die Gefahr einer Reizüberflutung der Jugendlichen durch Internet und Fernsehen sehen Medienwissenschaftler nicht. Zwar nutzt jeder Vierte der 15 bis 24-Jährigen das Internet, 42 Prozent besitzen jedoch keinen eigenen Computer. Generell gilt: Wer im Internet surft, ist sozial attraktiver: "Dass Internet-Junkies isolierte, depressive Menschen sind, ist widerlegt", sagte die Jugendforscherin Yvonne Fritzsche zum Auftakt der Fachkonferenz "User & Loser?" in Mainz. Dort diskutieren drei Tage lang mehr als 100 Erzieher, Wissenschaftler und Politiker über Chancen und Risiken der elektronischen Medien für die Kinder- und Jugendarbeit.

Gerade die "Heavy User", die jede Woche mindestens drei Stunden online sind, legten mehr Wert auf reale Vertrauenspersonen als ihre gleichaltrigen Internet-Muffel. Zudem sei jeder Zweite dieser Gruppe Vereinsmitglied, berichtete die Mitautorin der bundesweiten Shell-Jugendstudie. TV-Serien und Internet förderten auch die Fähigkeit zu Mitgefühl und Rollenverständnis.

Sorge bereitet Pädagogen und Wissenschaftlern, dass bei der Multimedia-Nutzung eine Kluft zwischen reichen und armen Familien droht. "Wir müssen aufpassen, dass Kinder aus ärmeren Familien nicht auf der Strecke bleiben", sagte Max Fuchs, Direktor der Remscheider Akademie für musische Bildung und Medienerziehung. Die Jugendeinrichtungen seien gefordert, Material und Know How bereitzustellen.

Digitale Bilderwelten werden nach Einschätzung der Fachleute auch die Kindergärten erobern. Schon heutzutage malten, musizierten und bastelten die Kleinen in Modellprojekten am Computer, berichtete der Münchner Spielpädagoge Zacharias. Es komme immer auf die kompetente Vermittlung und die Inhalte an. Gerade dort lauern aber auch die schlimmsten Gefahren: "Ich möchte meine Tochter selbst aufklären und nicht durch einen Hardcore-Porno aus dem Internet", meinte der rheinland-pfälzische Jugendstaatssekretär Joachim Hofmann-Göttig.

Der Pädagoge der Zukunft muss ein Internet-Profi sein. Nur wer die Kniffe der elektronischen Medien beherrscht, kann die technikbegeisterten Jugendlichen für Kultur- und Freizeitangebote begeistern. "Kulturpädagogik muss sich virtuell und real verhalten. Es gibt nichts schlimmeres als Pädagogen, die hinterherrennen", sagte der Medienpädagoge Wolfgang Zacharias auf der Konferenz.

Einigkeit herrschte bei den Experten über die Vorzüge des Internets als Informationsquelle und Kontaktbörse für junge Menschen. Jedoch dürfe in der Kulturarbeit der "Bereich der sinnlichen und handwerklichen Künste" nicht vernachlässigt werden, warnte Peter Kamp, Vorsitzender des veranstaltenden Bundesverbandes der Jugendkunstschulen und Kulturpädagogischen Einrichtungen (BJKE). Auch Wilfried Matanovic vom Bundesbildungsministerium riet den Jugend- und Sozialarbeitern, die "Elemente Licht, Luft, Sonne und Wasser" weiterhin in die Betreuung einzubringen. (Tim Braune, dpa) ()