EU-Workshop: Die Blockchain als Facebook- und Uber-Killer

Kann die dezentrale Datenbanktechnik Blockchain, auf der unter anderem Bitcoin basiert, die alten Versprechen des Internets erfüllen? Bei einem Workshop im EU-Parlament waren Experten dieser Ansicht.

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EU-Workshop: Die Blockchain als Facebook- und Uber-Killer

(Bild: gov.uk)

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Die in Wirtschaft, Gesellschaft und Politik immer stärker gehypte Blockchain sei ein gutes Werkzeug, um "verteilte Innovationen" und Kooperationen zu fördern, waren sich Sachverständige am Mittwoch bei einem Workshop im EU-Parlament einig. Im Kern erlaube es das digitale, kryptografisch abgesicherte Kassenbuch, "Werte auf einer Peer-to-Peer-Basis" (P2P) auszutauschen, erklärte Primavera De Filippi von der Forschungsgemeinschaft Coalition of Automated Legal Applications (Coala). Künftige praktische Anwendungen seien jenseits von Bitcoin etwa "dezentralisierte soziale Netzwerke und Marktplätze".

Blockchain

Die Block Chain ist das Journal, in dem alle Bitcoin-Transaktionen verzeichnet werden. Sie besteht aus einer Reihe von Datenblöcken, in denen jeweils eine oder mehrere Transaktionen zusammengefasst und mit einer Prüfsumme versehen sind.

Schon das Internet an sich war von seinen Vorreitern mit solchen Verheißungen verknüpft worden. Das Problem dabei war laut De Filippi aber, dass die bisherige Online-Umgebung aufgrund der bestimmenden Netzwerkstrukturen erneut eine Tendenz habe, zentrale Plattformen wie Facebook, Uber oder Airbnb zu begünstigen. Diese großen Betreiber hingen zwar von den Inhalten ab, die die Nutzer selbst produzierten. Sie fügten die Wertschöpfung aber dann zusammen, koordinierten sie und machten sich so mehr oder weniger unabkömmlich für die Anwender, auch wenn diese ihre Eingaben nicht gerecht verteilt zurückerhielten.

"Mit der Blockchain können diese Monopole aufgebrochen werden", meinte die in Paris und Harvard tätige Wissenschaftlerin. Mit der "nicht korrumpierbaren" und "manipulationssicheren" Datenbanktechnik werde es einfach, die produzierten Werte direkt wieder an die Schöpfer auszuschütten. Da das für Interaktionen nötige Vertrauen durch die Blockchain technisch hergestellt werde, könnten auch ganz neue soziale Strukturen und Institutionen mithilfe "intelligenter Verträge" ("smart contracts") entstehen. Als Beispiele nannte sie einen Firmenzusammenschluss, der gemeinsam einen Patentpool rund um Erfindungen für eine technische Neuerung anlege. Die Tantiemen könnten über die Blockchain dann automatisch gemäß der investierten Ressourcen ausgeschüttet werden.

Henning Diedrich von IBM, der als Privatmann sprach, beschrieb das Wesen der Blockchain als "Garantie einer Ausführung". Unveränderliche kleine Programmskripte sorgten dafür, dass eine darin umfasste Aufgabe quasi vollstreckt oder ein implizierter Wert auf technischer Ebene durchgesetzt werde. Auch in darauf aufbauenden smarten Verträgen garantierten der Code beziehungsweise die Metadaten, "dass das Verabredete eingehalten wird". Dieser Prozess könne nur gestoppt werden, wenn man die ganze Blockchain anhalte.

Für den Programmierer ist die Technologie so ein Ansatz für "voll automatisierte Geschäftsbeziehungen". Da sich die beteiligten Parteien dank des einprogrammierten Vertrauensersatzes nicht kennen müssten, würden ganz neue Märkte ermöglicht. Davon könne eine Art "Demokratie" der vernetzten Geräte im Internet der Dinge beflügelt werden, da die Blockchain ein "Verhandeln der Maschinen" gestatte. Daten würden dabei vermehrt in den Sensoren beziehungsweise den Geräten am Rand des Netzwerks selbst gespeichert und so erst analysierbar gemacht. Die in heutigen zentralen Speichern abgelegten Informationen würden hingegen kaum durchgesehen und stellten begehrte Angriffspunkte für Cyberkriminelle dar.

Von neuen Verwertungs- und Kommerzialisierungsmöglichkeiten, die keiner gezielten Erlaubnis mehr bedürften, schwärmte in ähnlicher Weise Pindar Wong von der Hongkonger Firma VeriFi. Generalmodell digitaler Interaktion werde mit der Blockchain der Transfer von Daten, nicht mehr das Kopieren. Jeder könne in der öffentlichen Struktur die Übergabe eines Informationswerts registrieren und bis zum Ursprung zurückverfolgen. Der Unternehmer räumte aber ein, dass es "Spannungen" zwischen dem traditionellen, mit Gesetzen hantierenden Prinzip der Rechtsstaatlichkeit geben könne und der skizzierten digitalen "Herrschaft des Codes".

Wichtig ist es daher laut Wong, eine breite gesellschaftliche Debatte über technisch durchgesetzte soziale Verträge zu starten. Die eingebauten Regeln müssten wie bei Asimovs Robotergesetzen jetzt in weiser Voraussicht festgezurrt werden, was aber etwa auch für autonome Autos gelte und daher nicht nur die Blockchain betreffe, ergänzte Diedrich. Nötig seien Programmierer mit weitgefassten Fähigkeiten genauso wie Anwälte, "die Code schreiben können".

Die liberale EU-Abgeordnete Marietje Schaake hatte den Nachmittag als Hauptorganisatorin unter die Frage gestellt, ob die Blockchain reguliert werden müsse oder selbst ein gutes Mittel zur Regulierung sei. Diedrich unterstrich, dass die Technik generell dazu führe, Verbraucher und Individuen zu stärken, nicht aber Konzerne oder Kriminelle begünstige. Die weitere Adaption der Technik sei eh kaum zu blockieren, höchstens in schummrige Randbereiche abzudrängen.

Für De Filippi ist die Blockchain durchaus eine Regulierungstechnik, da sie das Problem löse, wer die Überwacher überwachen solle. Noch fehle aber ein auf Konsens basiertes Protokoll, um algorithmisch überprüfbare Transaktionen auch gesellschaftlich abzusichern. Schwer sei es auch, im Code die Flexibilitäten und Graubereiche abzubilden, die das derzeitige Rechtssystem erlaube.

Harald Stieber von der EU-Kommission sah die Blockchain ebenfalls als einen Weg, um Regulierung weniger bürokratisch und stattdessen effizienter zu gestalten. Damit werde ein "sehr differenzierter Zugang zu Daten" möglich. Er warnte aber davor, die Technik als Allheilmittel anzusehen, um demokratische Probleme zu lösen. Es müsse verschiedene Konsens- und Mehrheitsmodelle für unterschiedliche Regulierungsaspekte geben. Die Kommission und das Parlament haben derzeit vor allem Bitcoin im Visier im Hinblick, ob die virtuelle pseudonyme Währung etwa Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung erleichtert. (axk)