Motorradfahrer sollen sich vor der Saison fit machen. Warum?

Fitnesswahn

Jedes Frühjahr werden Kradfahrer mit erhobenem Zeigefinger aufgerufen, unbedingt Sport zu treiben, bevor sie sich nach der Winterpause wieder auf ihr Zweirad schwingen. Liebe Bedenkenträger, was glaubt ihr, was wir Motorradfahrer bei den ersten warmen Tagen im Frühling machen?

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Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Florian Pillau
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Jedes Frühjahr kommt von diversen Institutionen die gebetsmühlenartige Warnung: Motorradfahrer müssen fit sein für die kommende Saison! Mit erhobenem Zeigefinger werden Kradfahrer aufgerufen, unbedingt Sport zu treiben, bevor sie sich nach der Winterpause wieder auf ihr Zweirad schwingen. Liebe Bedenkenträger, was glaubt ihr, was wir Motorradfahrer bei den ersten warmen Tagen im Frühling machen? Gehirn ausschalten, mit Vollgas aus der Garage starten und in maximaler Schräglage um die erste Kurve rasen? Oder direkt eine Zehn-Stunden-Marathonfahrt absolvieren?

Dennoch ebbt der Strom der Mahner nicht ab. Die Deutsche Verkehrswacht rät allen Ernstes zu „Lauf- oder Radtraining, Zirkeltraining und Cardio-Übungen im Fitnessstudio“, als wären sie unsere Personal Fitness-Coaches. Es kommt noch besser: „Liegestützen und Sit-ups sind effiziente Übungen, um die für das Motorradfahren wichtige Körperspannung zu trainieren“. Wer aber angespannt auf einem Motorrad hockt, macht etwas grundsätzlich falsch, wie schon der Psychologe, Fach-Autor und bekennender Motorradfan Bernt Spiegel in seinem Werk „Die obere Hälfte vom Motorrad“ erklärt. Es geht ganz im Gegenteil darum, möglichst entspannt sein Zweirad zu steuern. Motorradfahren hat nichts mit aufgepumpten Muskeln zu tun. Selbstverständlich ist gegen körperliche Fitness nichts einzuwenden, aber unsportlichen oder gar übergewichtigen Menschen zu unterstellen, sie wären nicht in der Lage, sicher ein Motorrad zu führen, grenzt an Diskriminierung.

Erfahrung und Umsicht verhindern Unfälle

Der deutsche Durchschnittsmotorradfahrer nähert sich deutlich der 50, hat meistens etliche Kilo zuviel auf den Hüften und würde wahrscheinlich beim Zirkeltraining nach wenigen Minuten nach einem Sauerstoffzelt japsen. Ist er deshalb nicht mehr in der Lage, ein Motorrad im Frühjahr zu fahren? Wer sich zu Saisonbeginn auf den Landstraßen umsieht, wird überwiegend Zweiräder sehen, deren Fahrer sich bereits im fünften Jahrzehnt befinden, einen Body-Maß-Index weit oberhalb des Durchschnitts aufweisen und wahrscheinlich keine zehn Sit-ups hinbekommen, aber ihr Motorrad mit traumwandlerischer Sicherheit bewegen. Warum? Langjährige Erfahrung und Risikobewusstsein!

Es grenzt schon an Rufschädigung, dass den Motorradfahrern stets Unverantwortlichkeit und Unfähigkeit unterstellt wird. Die überwältigende Mehrheit fährt umsichtig, hält sich an Verkehrsregeln und trägt komplette Schutzkleidung. Natürlich gibt es auch unter den Zweiradlern schwarze Schafe, aber hält man es dem durchschnittlichen deutschen Autofahrer vor, dass einige Jungspunde und übertrieben ehrgeizige Autobesitzer eifrig zu den Bußgeld- und Unfallstatistiken beitragen?

Konzentration statt Muskeln

Der TÜV Süd rät sogar „Bikern, sich mit Mountainbike-Fahren wieder in Form zu bringen.“ Mal abgesehen davon, dass wohl nur ein Bruchteil aller Motorradfahrer über ein Mountainbike verfügt, erhebt sich doch gleich die Frage, wie sie sich im Winter für die nicht ganz ungefährliche Sportart Mountainbiken fit machen sollen. Oder drohen hier keine Stürze im Gelände oder Unfälle im Straßenverkehr bei schlechten Witterungsverhältnissen?