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Datenströme, Überwachung und die Konsequenzen: "Digital Archives" im Kunstverein Hannover

Pünktlich zur CeBIT hat der Kunstverein Hannover "Digital Archives" eröffnet, eine eindrucksvolle Ausstellung zu Datenströmen, Überwachung und die Konsequenzen daraus.

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Digital Archives
Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Dr. Jürgen Rink

Zeitgenössische Kunst hat zu Recht den Ruf, schwer zugänglich zu sein. Eine löbliche Ausnahme davon ist die Ausstellung "Digital Archives", die zehn Kunstprojekte zeigt. Die acht Künstler haben sich alle schon sehr früh mit digitalen Strukturen beschäftigt. Während der CeBIT hat die Schau bis 21 Uhr geöffnet, die Messekarte berechtigt zum ermäßigten Eintritt. In einigen Hotels liegen auch Freikarten.

Im großzügigen Treppenhaus begegnet einem die grell leuchtende Laufschrift, die zur Verwendung einer bestimmten DNS aufruft. Zur Installation von Arno Auer gehört eine Broschüre, die erklärt, wie man einen zensurfreien DNS statt des ISP ansteuert. Weiter geht es mit einer Wand voller englischer, zum Teil grotesker und witziger Namen. Trevor Paglen hat nach Decknamen von Operationen und Programmen diverser Geheimdienste gesucht und sie an die Wand gebannt.

Kunst als Ergebnis einer Recherche demonstriert Paglen noch in zwei anderen Arbeiten. Ein großformatiges Foto zeigt Sterne und rötliche Wolken, fast übersieht man die weiße Spur eines geheimen Forschungssatelliten, dessen Auflösung auf der Erde vermutlich 10 cm beträgt. Paglen hat außerdem nach geheimen Hochsicherheitszonen geforscht, die er mit Teleskopen aufgenommen hat. Die großformatige Installation, die diese Gelände zeigt, vermittelt zum Teil ästhetische Ansichten, deren Sinn und Zweck dieser Ästhetik entgegen steht.

"Digital Archives" im Kunstverein Hannover (13 Bilder)

Praktische Kunst: Arno Auer erklärt zusätzlich zu seiner Installation mittels einer Broschüre, wie man über zensurfreie DNS surft (Arno Auer »to be installed within reach of a public webcam (Hannover I)«, 2016, Installationsansicht, Kunstverein Hannover, 2016)
(Bild: Raimund Zakowski)

Die eindrucksvollste Installation ist von Ryoji Ikeda, der neun schwarze Stelen in einem riesigen dunklen, langen Raum aufgestellt hat. Ein Projektor in jeder Stele wirft Visualisierungen von digitalen Datenströmen an die Wand, untermalt von akustischen Klangmustern. Als Datengrundlage dienen unter anderem Chromosomen, NASA-Informationen und Überbleibsel von Festplatten-Crashs.

Diverse Leuchtgloben stellt Ingo Günther aus, die alle auf Augenhöhe stehen. Sein Projekt Worldprocessor hat er bereits 1988 begonnen, hunderte von Globen entstanden seitdem. Jeder Globus visualisiert Daten, darunter die Reichweite von Atomwaffen, Flüchtlingsströme oder auch ökonomische Vergleiche. Eindrücklilcher kann man die Probleme der Erde kaum darstellen.

Christoph Faulhaber zeigt in einem gut eine Stunde langen Film seine Erfahrungen und Konsequenzen als Terrorverdächtiger. Durch Kunstaktionen gerät er auf eine US-Terrorliste, verliert sein Stipendium in den USA, deutsche Behörden reagieren nicht mehr auf seine Anfragen – persona non grata. Faulhaber lotet mit seinen Aktionen gerne die Grenzen der herrschenden Systeme aus. Besucher sollten viel Zeit mitbringen: Viele wollen sich das Werk ein paar Minuten lang anschauen und bleiben eine Stunde lang.

"Digital Archives" endet mit einer Installation des Kollektivs Bitnik: Eine eigens dafür entwickelte Software kauft zufällig einmal pro Woche im Darknet Illegales ein für Bitcoins im Wert von 100 Dollar: Kreditkarte, gefälschte Turnschuhe, Generalschlüssel, Ecstasy-Pillen. Nach einer Ausstellung beschlagnahmte die Schweizer Staatsanwaltschaft die Produkte, doch wer haftet eigentlich? Was bedeutet es für die Gesellschaft, wenn Computerprogramme autark handeln?

Digital Archives (12.3. - 29.5. 2016)
Kunstverein Hannover
(jr)