4W

Was war. Was wird. Vom Löschen, Tauschen, Spielen.

Ach ja. Deutsch sein. Dazu gehört wohl, machmal peinlich, manchmal übereifrig, immer aber sehr bemüht nach Definitionen dieses "Deutsch seins" zu suchen, befürchtet Hal Faber. Nein, relaxed, das gehört wohl eher nicht dazu. Ausgechilled vielleicht schon.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 71 Kommentare lesen
Elsässer, Alsatian, Schäferhund

Nein. Das ist kein Deutscher. Das ist ein Elsässer. Aber ist ein Alsatian nicht auch nur ein Deutscher Schäferhund? Ach. Identität. Was für eine unbeantwortbare Frage.

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Satire darf alles, doch was ist Satire? Einen Menschen mit den Worten "Sackdoof, feige und verklemmt" zu bezeichnen, gehört in den Bereich der Schmähkritik, wobei es wirklich nicht hilft, diese Schmähkritik ausdrücklich als Satire zu bezeichnen. Insofern war es kein gelungener Aprilscherz des Zweiten Deutschen Fernsehens, einen Beitrag von Jan Böhmermann zu löschen, sondern eine schlichte juristische Notwendigkeit. Allenfalls stellt sich hier die Frage, wieso die Aufzeichnung der "Parodie einer Schmähkritik", die als lupenreiner Rassismus einherkommt, überhaupt gesendet wurde und die gereimte Dümmlichkeit keinem ZDFler auffiel. Spätestens bei "Recep Fritzl Priklopil" hätten alle Warnlampen angehen müssen, was die bekannten "Grenzen der Satire bei uns in Deutschland" sind.

*** So gesehen ist es ein trauriger Zwischenfall, der das eigentliche Problem verdeckt: Nach dem Beleidigtsein eines Erdogans nach Ausstrahlung einer gelungenen Musiknummer müsste grob gefragt werden, was das für eine Flüchtlingspolitik ist, die einen Politiker wie Erdogan als demokratischen Partner Europas hofiert. Das ist das eigentlich Verwunderliche beim "Tauschgeschäft", nicht Erdogans Verwunderung, darüber dass ein Land wie Deutschland, das Flüchtlingsrechte ignoriert, beim Presserecht keinen Spaß kennt.

*** Doch hach, wir sind längst weiter, schon beim nächsten Aufreger, was es ausmacht, ein Deutscher zu sein und was daran peinlich gefunden wird und wie man von Hitler profitieren kann. Wieviele Flüchtlinge und Jahre braucht man eigentlich, dass dieser Unsinn mit den Definitionen des Deutsch-Seins aufhört?
"Früher oder später wird das Asylrecht für politische Flüchtlinge abgeschafft. Es passt nicht in die Gegenwart. Als die bürgerliche Ideologie Freiheit und Gleichheit noch ernst nahm und die ungehemmte Entwicklung aller Individuen noch als Zweck der Politik erschien, mochte auch der politische Flüchtling als unantastbar gelten. Das neuere Asylrecht gehörte zum Kampf des dritten Standes gegen den Absolutismus, es beruhte auf der Solidarität des westeuropäischen Bürgertums und seinesgleichen in zurückgebliebenen Staaten. Heute, wo das in wenigen Händen konzentrierte Kapital zwar in sich gespalten, aber gegen das Proletariat zur solidarischen und reaktionären Weltmacht geworden ist, wird das Asylrecht immer störender. Es ist überholt. Soweit die politischen Grenzen Europas nicht gerade den Interessensdifferenzen von gegnerischen, mehrere Nationen umspannende Wirtschaftsgruppen entsprechen, fungieren sie fast bloß als allgemeines ideologisches Herrschaftsmittel und als Reklamemittel der Rüstungsindustrie."
Das schrieb der politische Flüchtling Max Horkheimer unter dem Pseudonym Heinrich Regius in "Dämmerung", seinen Notizen über Deutschland zum Abschied aus Deutschland. Eine erhellende Kurz-Analyse, was den Ursprung des politischen Asylrechts anbelangt, erhellend aber auch die Sicht auf ein Europa, in dem Wirtschaftsinteressen Vorfahrt haben vor den Menschenrechten.

*** Das Horkheimer-Zitat gemahnt zum Tode von Hans-Dietrich Genscher auch an seine Balkon-Rede in der Prager Botschaft, schließlich glaubte Genscher mit dem Zusammenbruch des Ostblocks, dass Fragen nach einem politischen Asyl bald der Vergangenheit angehören werden. Selbst ein Genschman konnte die Welt nicht zum Allguten hin verändern.

*** In Amerika angekommen, schrieb Horkheimer basierend auf seinen Vorlesungen an der Columbia University die "Kritik der instrumentellen Vernunft". Das Werk ist eines der Bücher, die das verquere Verhältnis des Menschen zur Natur kritisierte, die von instrumentell denkenden Menschen restlos ausgebeutet wird. Die Warnung vor der Technik und den nur auf die Technik fixierten Fachwissenschaftler wird verständlich angesichts der Kriegsspieltheorien, mit denen damals Kybernetiker wie Herman Kahn und John von Neumann erste Entwürfe für den zu erwartenden Nuklearkrieg voraus dachten – nicht zu vergessen John Nash. Damit schwenkt diese kleine Wochenchau wieder in die überschaubare Welt der IT ein, denn mit dem IBM-Ingenieur Max Woitschach gibt es einen, der die Spieltheorie aufgriff und als Unternehmensplanspiel weiter entwickelte. Sein Werk wird nun wissenschaftlich erforscht, seine Kritik der unreinen Vernunft steht noch aus. Manager, die spielerisch Entscheidungen üben und dabei von Computern und Big Data hantierten, waren vor 40 bis 50 Jahren bei allen westdeutschen Firmen hoch im Kurs: Für die Bundesrepublik sind 117 Unternehmensplanspiele nachgewiesen worden, die bei Bull Deutschland, Hoechst, IBM oder Siemens ausdauernd gespielt wurden. Eine besondere Rolle "spielte" dabei IBM, weil ihre Unternehmensspielsoftware Topic-1 gratis mit den Computern ausgeliefert wurde. Wer heute über Serious Gaming oder etwas Ökolopoly schwadroniert, vergisst diese Wurzeln. Die modischen Floskeln von einer Kultur des Scheiterns, Ausprobierens und Lernens, mit denen der Spiegel heute um sich wirft, haben alte Vorgänger.

*** Zurück zu den Wurzeln will man auch im Bundesinnenministerium, wobei es hier um west- wie um ostdeutsche Ministerialgeschichte geht. Nach Arbeiten über die braunen Wurzeln des Bundeskriminalamtes und die schattige Geschichte des Bundesnachrichtendienstes ist es an der Zeit, über die Ministerien zu forschen, die sich mit der Bevölkerungskontrolle in allen Aspekten befassten. Die Absicht ist vorbildlich formuliert: "Wie viele Mitarbeiter mit Nazi-Vergangenheit hatte das Bundesinnenministerium (BMI) in der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg? Wirkte sich eine ehemalige NSDAP-Mitgliedschaft auf die deutsche Innenpolitik der Jahre 1949-1970 aus?" Man könnte die historischen Frage auch ruhig auf die Jetztzeit ausdehnen: Wer dachte sich eigentlich im BMI das Konzept des Staatstrojaners aus? Die Antwort, ob dieses Tool rechtmäßig ist und nicht gegen das Grundgesetz verstößt, wird ja mit Spannung erwartet. Am 20. April will das Bundesverfassungsgericht seine Entscheidung bekannt geben und mündlich begründen.

Was wird.

Womit wir schon hopplahopp in der Zukunft sind. Schluss ist's mit den elenden Aprilscherzen und den scherzbehafteten Jubiläen, mit Tay-Sprüchen und Anwürfen gegen die Künstliche Intelligenz. Wobei der schönste Aprilscherz diesmal von der "Süddeutschen Zeitung" kam, deren Chefredakteur Kister stolz auf den Titel "Gutmenschen-Prawda" ist:. Zum 1. April gab es unter dem Titel "Radikale Roboter" den gut gemeinten Ratschlag, wie beim Turing-Test der falsche Mensch enttarnt werden kann: "Fragen Sie ihn, was sich hinter und neben ihm befindet. Das kapiert er nicht." Das kapieren Computer nicht. Wenn sie antworten, dass neben ihnen und hinter ihnen weitere Racks stehen, haben sie sich enttarnt.

Ein Jubiläum gibt es noch: Heute vor 20 Jahren wurde der Unabomber Ted Kaczynski verhaftet, nachdem sein "Manifest" gegen die Künstliche Intelligenz und andere Technologie-Gefahren veröffentlicht worden war. Seine Schwägerin und sein Bruder erkannten ihn am Schreibstil. Zu diesem Jubiläum startet am Donnerstag in Dortmund die Ausstellung Vigilanten und Whistleblower, die Kaczynski umstandlos den "Figuren des digitalen Widerstands" zurechnet, die sich auf eine "höheres Recht" berufen wie etwa Edward Snowden und Chelsea Manning. Das ist zwar völliger Unsinn, aber eben auch künstlerische Freiheit, die dieses unsere Land auszeichnet. Der Informatiker und KI-Forscher David Gelernter, dem Kaczynskis Bombe eine Hand, ein Auge und einen Lungenflügel zerstörte, warnte unlängst in der Zeitung vor dem "Gehirn des Golems" und unbesonnenen Eingriffen in die Physiologie von Geist und Bewusstsein. Tempora mutantur, nos et mutamur in illis.

Es gibt aber auch Konstanten, die ihresgleichen suchen: Fern am Horizont, doch schon Ende des Monats stattfindend, taucht das Vintage Computer Festival Europe auf. Es wird zum letzten Male im schrägen Setting der Mehrzweckhalle des Eisenbahnsportlervereins München-Ost stattfinden: Am Tag nach dem proletarischen Kampftag wird das Gebäude abgerissen, damit schicke Lofts, Penthäuser und Latte-Schlürfstuben entstehen können. Beim Hipster-verdächtigen Thema "Was mit Medien" ist natürlich der Jubiliar Apple mit von der Partie, mit einem Gerät, von dem Admins heute noch schwärmen. Repariert wird nicht mehr, Geschichte wird gemacht. (jk)