Kommentar: Kein Silicon-Valley-Imitat in Deutschland

Um im digitalen Zeitalter zu bestehen, muss Deutschland so werden wie das Silicon Valley. So oder so ähnlich lautet die Botschaft auf den zahlreichen Innovationskonferenzen hierzulande. Was für ein Fehler, meint Robert Thielicke.

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Kommentar: Der Unterschied zum Silicon Valley

Lockere (Arbeits-)Atmosphäre in der Facebook-Zentrale in Menlo Park.

(Bild: Facebook)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Robert Thielicke
Inhaltsverzeichnis

Wie kann Europa, wie kann Deutschland so werden wie das Silicon Valley? So lautet eine der großen Fragen unter digitalen Vordenkern oder zumindest jenen, die sich dafür halten. Wer sie stellt, gilt beinahe als Visionär – insbesondere wenn er eine Klage über die europäische Hasenfüßigkeit, Langsamkeit und Technologieskepsis anfügt.

Ein Kommentar von Robert Thielicke

Robert Thielicke ist Chefredakteur von Technology Review und findet, dass wir das Silicon Valley nicht kopieren sollten.

Vieles wird auf diese Frage entgegnet – nur eines erstaunlich selten: Dass sie falsch gestellt ist.

Wer sie formuliert, verkennt, um was es für Deutschland und Europa eigentlich geht: eben genau nicht so zu werden wie das Silicon Valley.

Der Grund dafür ist weder Anti-Amerikanismus noch eine Verurteilung des dort entstehenden digitalen Kapitalismus. Sondern schlicht, dass ein bloßes Imitat kein Modell für ein erfolgreiches Wirtschaftssystem ist. Das Silicon Valley gibt es schon. Und gerade weil es so brillant funktioniert, ist es hoffnungslos, ihm nachzueifern. Europa muss sich auf das konzentrieren, wo das "mächtigste Tal der Welt", um den Titel des Buches von Christoph Keese zu zitieren, seine Schwächen hat. Und davon existieren einige.

Im Silicon Valley ist "das Thema Softwaretechnologien und Denken neuer Geschäftsmodelle wirklich kultiviert und schwer zu schlagen", sagte mir vor einiger Zeit Reinhold Achatz, Forschungschef von ThyssenKrupp. "Was aber auch auffällt: Immer dann, wenn man sich über Fertigungstechnologien oder die eher klassischen Themen unterhält, ist Deutschland dem Silicon Valley weit voraus."

Nun kann man die Aussage als Zweckoptimismus abtun – stammt sie doch von einem Konzern, der in der Vergangenheit mehr durch Krisen als durch Erfindungen auf sich aufmerksam gemacht hat. Aber Achatz war selbst zehn Jahre in der Bay Area, er kennt sich dort aus.

Wie also sehen die Alternativen aus?

Wenn das Silicon Valley die Privatsphäre vermarktet, dann muss Europa den Datenschutz zum Geschäftsmodell machen. Seit den Enthüllungen von Edward Snowden stehen die Chancen dazu besser denn je, und die ersten Unternehmen haben bereits überzeugende Angebote. Ein halbes Jahr bevor der NSA-Skandal seinen Lauf nahm, gründete Manuel Kasper den Messaging-Dienst Threema. Seine kryptografischen Standards machen die Kommunikation extrem sicher. Nicht umsonst war Threema 2014 und 2015 hierzulande der meistverkaufte Smartphone-Messenger.

Als der Europäische Gerichtshof das europäisch-amerikanische Datenabkommen Safe Harbour zerpflückt hatte, sagte mir Telekom-Vorstand Reinhard Clemens: "Amerika ist kein sicherer Hafen für Daten. Das ist eine Chance für Europa." Dahinter steht mittlerweile mehr als eine bloße Hoffnung: Microsoft bietet den Kunden seiner Cloud-Dienste die Speicherung und Verarbeitung von Daten in Deutschland an – bei T-Systems.

Wo das Silicon Valley ungeschlagen in Anwendungsfreundlichkeit und rasch ausprobierten Ideen ist, sollte der Kontinent auf Sicherheit und Zuverlässigkeit setzen.

Es ist okay, alle paar Tage ein Facebook-Update zu bekommen, das irgendeinen Fehler behebt. Weniger okay ist es, wenn das Gleiche bei einer vernetzten Produktionsanlage, einer Banking-Software oder einem Auto nötig ist. Bis heute hat sich vor allem auf letzterem Gebiet zwar niemand mit Ruhm bekleckert. Ein Jeep-Modell von US-Autohersteller Chrysler wurde vergangenes Jahr ebenso spektakulär gehackt wie kürzlich das Elektroauto Nissan Leaf oder die elektronischen Schlüssel von BMW, VW, Audi und Porsche.

Aber umgekehrt bedeuten derartige Lücken eben auch, dass ein großes Feld des digitalen Zeitalters noch weitgehend unbestellt ist. Es zu beackern ist weder glamourös noch einfach, aber genau mit dieser Art von Aufgaben haben viele Firmen hierzulande immer ihr Geld verdient.

Wir mögen selten die ruhmreichen Ersten sein, dafür aber oft die sicheren Zweiten. Es gibt natürlich keine Garantie, dass dem auch in Zukunft so ist. Aber wenn wir die Stärken zu Schwächen erklären, werden wir scheitern. (jle)