Gemeinschaft im Ausverkauf
Tom Slee nimmt die groĂźen Versprechen der Sharing Economy auseinander und liegt dabei ziemlich richtig.
- Robert Thielicke
Mit dem Beginn der Sharing Economy lebte die große Hoffnung wieder auf, dass mit dem Web auch gleich eine neue Weltordnung einzieht. Die Wirtschaft des Teilens sollte neu errichten, was im Zeitalter von Google, Facebook und Amazon zusammengestürzt war: das Internet als Raum, in dem Egalität wichtiger ist als Konkurrenz, Gemeinschaft wichtiger als Geld. Mithilfe des Webs sollte eine Tauschgemeinschaft jenseits des Materiellen entstehen, mit Menschen, die verleihen statt besitzen, die Autos und Wohnungen genauso teilen wie Musikstücke und Fotos. 2010 machte Rachel Botsman den Begriff der Sharing Economy mit ihrem Buch "What's Mine is Yours" populär.
Tom Slee holt ihn nun in die Wirklichkeit zurück. In seinem Buch "Deins ist meins" schreibt er: "Was als Aufruf zu Gemeinschaftlichkeit begonnen hatte (...), ist zum Spielplatz von Milliardären, der Wall Street und Wagniskapitalgebern geworden." Statt einer neuen Wirtschaftsordnung gab es nur das nächste Geschäftsmodell.
Bei einem Unternehmenswert von 51 Milliarden Dollar für den Fahrdienst Uber oder 25,5 Milliarden Dollar für die Zimmervermittlung Airbnb ist das Argument nicht von der Hand zu weisen. Würde Slee den Plattformen allerdings nur ihr Gewinnstreben übelnehmen, wäre sein Buch nichts weiter als eine wenig einfallsreiche Systemkritik. Würde er ihnen lediglich vorwerfen, dass sie sich gemeinschaftlich geben, aber kapitalistisch handeln, wäre es nicht mehr als eine Klage über geschicktes Marketing.
Doch Slees Kritik geht tiefer. Für ihn ist die Sharing Economy zu einem Mäntelchen verkommen, "das in Wahrheit eine noch härte Form des Kapitalismus vorantreibt: Deregulierung, neue Formen des anspruchsvollen Konsums und eine neue Welt prekärer Arbeitsverhältnisse". Zumindest die großen Vertreter nutzen das Mantra vom Gemeinschaftsgefühl, um eine andere Wirtschaftsordnung durchzusetzen. Sie spielen David gegen Goliath.
Doch mit dem Einstieg der Investoren sind sie mittlerweile selbst die Goliaths. Sie sind nicht die Alternative, sondern nur das neue Gesicht der alten Ordnung. Bei den Plattformen Lending Club und Prosper etwa dominieren nicht die Mikrokreditgeber, sondern große Investoren. Sie stellen 65 Prozent der Kredite, und "in fast allen Fällen waren es institutionelle Investoren und nicht Einzelpersonen", zitiert Slee eine Analyse. Er zerpflückt die nett klingende Angabe von Airbnb: "87 Prozent unserer Gastgeber vermieten die Wohnung, in der sie leben." Doch seinen Gewinn macht der Zimmervermittler mit den restlichen 13 Prozent. "Sie vermitteln nicht weniger als 40 Prozent aller Unterkünfte und wickeln über 43 Prozent der Besuche in New York City ab."
Für Slee reichen die Folgen über das Wirtschaftssystem hinaus. Die Sharing Economy heftet dem alltäglichen Geben und Nehmen ein Preisschild an. "Aber beim sozialen Austausch ändert Geld alles." Das Gefühl, eine Verpflichtung gegenüber der Gemeinschaft zu haben, geht verloren. Die These ist nicht grundsätzlich neu, und man kann sie für übertrieben halten. Aber die Stärke des Buchs ist, mit eindrucksvollen Zusammenhängen und klug gewählten Fakten auf diese Verwerfung hinzuweisen.
"Deins ist Meins", Tom Slee, Verlag Antje Kunstmann, März 2016, 300 Seiten, 22,95 Euro (bsc)